26 - Epilog

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„Reichst du mir mal die Kiste da?", fragte Moritz der gerade dabei war die letzten Kartons in Becks Auto zu laden. Heute würde auch sie mich verlassen, doch ich konnte nicht anders als darüber zu lächeln, denn meine beste Freundin lebte ihren Traum.

„Ich bringe Lucas dafür um, dass er nicht auch mithilft.", meinte ich bitter, denn eigentlich hatte ich aus beiden starken Typen in meinem Umfeld Profit schlagen wollen, doch nun mussten sowohl Becks, als auch ich mithelfen, um sicher zu stellen, dass sie pünktlich losfahren konnte. Mein Bruder hatte seit Tagen kaum sein Zimmer verlassen und dachte deswegen nicht daran, seine wertvolle Zeit für das verrückte Mädchen mit den lila Haaren zu opfern.

„Du weißt doch wie er gerade ist – es war eigentlich klar, dass man seine Nase so kurz vor den Abschlussprüfungen nur noch in Büchern sieht.", stellte Moritz klar und unterbrach seinen Versuch so viele überfüllte Kisten wie möglich in den Kofferraum zu stopfen, um mich grinsend anzusehen.

„Glücklicherweise stellt er die Prüfungen auch über Maries Nähe."

„Vielleicht macht sie ja bald Schluss."

„Hoffentlich!" Ich lachte – das war eine große Sache, denn in letzter Zeit lachte ich nicht oft – Marie war sowohl mir als auch Moritz lästig und so verbrachten wir die meiste Zeit damit, darüber zu spekulieren, wann mein Bruder endlich seine Augen aufmachte und sah, welch ein Biest sich hinter ihrer Fassade versteckte.

Bevor mir der Blonde antworten konnte, kam Becks mit der letzten Kiste auf dem Arm zu uns gelaufen: „Ich bezahle euch nicht fürs rumstehen!", rief sie laut aus, noch bevor sie uns erreichte.

„Du bezahlst uns gar nicht.", murrte Moritz genervt. Ich glaube er mochte Becks nicht sonderlich und half ihr nur, weil ich ihn darum gebeten hatte.

„Aber das werde ich, wenn ich erst einmal die Laufstege dieser Welt mit meiner Mode erfülle." Becks stellte die Kiste vor unseren Füßen ab und vollführte eine Handbewegung, die zeigte, dass sie bereit war, die Welt zu erobern. Ich schenkte ihr ein Grinsen, während Moritz sich kopfschüttelnd der letzten Kiste widmete.

„Ich werde dich vermissen." Auf einmal überfiel mich wieder die Gewissheit, dass meine beste und einzige Freundin aus meinem Leben verschwinden würde – wir würden zwar noch Telefonieren, doch das war sicher nicht dasselbe. Im letzten Monat hatte ich kaum einen Tag ohne sie verbracht, wäre ohne ihre Unterstützung sicherlich wahnsinnig geworden, doch nun ging sie fort und ich musste lernen wieder ohne Stützräder zu fahren.

„Hast du was von ihm gehört?" Ich wusste sofort wen sie meinte, doch dieses Thema steigerte meine Laune in keinster Weise.

„Er hat mich gestern Abend angerufen.", antwortete ich gepresst. Ich hatte noch immer Schwierigkeiten damit, Alec zu verzeihen, auch wenn mein innerstes wusste, dass er jegliches Recht dazu gehabt hatte, mir dasselbe anzutun, wie ich ihm.

Vor etwa einem Monat war Alec bei uns zuhause aufgetaucht. Es war kurz nachdem das Jugendamt Emma mitgenommen und die Polizei Lisa – das Monster, wie ich sie lieber nannte – verhaftet hatte. Der Junge mit den eisblauen Augen war zwar über Achtzehn, doch ohne ein geregeltes Einkommen konnte er nicht das Sorgerecht für seine kleine Schwester beantragen und hatte zumindest in diesem Moment alles verloren, was ihm etwas bedeutet hatte.

Also war er aufgetaucht und hat sich an mir – die Person, die sein Leben zerstört hatte – gerecht, indem er mein Geheimnis vor meinen Vätern verraten hatte. Sie wollten ihm erst nicht glauben, doch als er ihnen das Bild von meinen Narben zeigte, die zwar schon vor Jahren entstanden waren und nun aber durch dutzende andere begleitet wurden, schickten sie mich zu einem Psychologen.

Inzwischen lag mein letzter Schnitt genau achtzehn Tage hinter mir, doch wenn Becks nun weggehen würde, konnte ich mir nicht vorstellen, auch nur eine Stunde schlaf finden zu können, ohne meine Gedanken auszuschalten.

„Was wollte er?", fragte sie natürlich sofort. Es war ein gutes Zeichen, dass Alec sich gemeldet hat – das war selbst mir klar – doch trotzdem traute ich mich noch nicht, neue Hoffnung auf eine erneute Bindung zwischen uns zu schöpfen.

„Er hat einen Job in einer Werkstatt bekommen und arbeitet nun so viel es geht, um Emma zu sich zu holen. Ich glaube sie darf ihn mittlerweile auch schon alleine in seiner Wohnung besuchen."

„Das ist doch toll!" Ich wäre auch gerne so enthusiastisch, denn dieser Teil des Gesprächs freute mich tatsächlich, doch der Rest lag wie ein bitterer Beigeschmack auf meiner Zunge. Denn Alec und ich haben uns das erste Mal seit über einem Monat wieder richtig miteinander unterhalten und sind uns darüber einig, dass wir beide Abstand brauchen.

Es war nicht schön zu hören, wie sehr ihn mein Vertrauensbruch verletzt hatte, selbst wenn er inzwischen froh ist, seine Mutter hinter Gittern zu wissen. Wegen mir musste er die Schule kurz vor seinem Abschluss abbrechen, wegen mir hatte sich sein ganzes Leben verändert und wegen mir war unsere Bindung zerbrochen.

Doch der Junge mit den eisblauen Augen, der Junge der mich alleine durch seine Stimme in einen Rausch versetzen konnte, hatte eingesehen, dass seine Aktion ebenfalls nicht toll war. Wir waren also beide zu dem Schluss gekommen, dass das Vertrauen auf beiden Seiten missbraucht wurde und dass es nicht über Nacht wieder hergestellt werden würde.

Außerdem war uns beiden klar, dass wir Probleme haben, um die wir uns selber kümmern müssen – unsere Leben passten im Moment einfach nicht zusammen, denn für all die Gefühle, die sich zwischen uns entwickelt haben, gab es im Moment keinen Platz. Alec arbeitete wie verrückt daran seiner Schwester ein richtiges Leben zu ermöglichen und ich hatte alle Hände damit zu tun, meine Therapie fortzuführen, meine Sucht – die ich inzwischen schon als solche identifizieren konnte – loszuwerden und nebenbei für meine Prüfungen zu lernen, die ich hoffentlich bestehen würde.

„Du musst jetzt los, sonst kommst du noch zu spät." Ich setzte ein falsches Lächeln auf meine Lippen, um Becks dazu zu bewegen, ihrem Traum endlich entgegen zu fahren. Vermutlich hätte ich ihr von dem ereignisreichen Telefonat erzählen sollen, doch ich brachte es einfach nicht über meine Lippen. Ich wollte nicht, dass sie sich unnötige Sorgen machte, denn im Grunde war die Situation ganz klar: Weder Alec noch ich waren bereit uns wieder zu begegnen, also widmeten wir uns den wichtigeren Dingen und hofften das das Schicksal uns irgendwann wieder zusammen führen würde.

„Ich hab dich so lieb!", rief sie aus, während mich meine beste Freundin umarmte und dann lächelnd in ihr klappriges Auto stieg. Sie war viel zu aufgeregt, um in Abschiedsstimmung zu verfallen und das gönnte ich ihr vom ganzen Herzen.

Als Becks gefahren war, stand ich noch immer an meinem Platz und schaute in die Richtung in der sie verschwunden war. Ich würde auch gerne alles hinter mir lassen und neu anfangen, doch meine Vernunft siegte und hinderte mich daran, eine Dummheit zu begehen.

„Hey, schau nicht so traurig – in einem halben Jahr studierst du Fotografie und wir leben alle zusammen in einem neuen Abenteuer." Moritz legte seine Hand beruhigend auf meine Schulter und schaffte es tatsächlich mich aufzumuntern. Wir hatten die Theorie vor etwa zwei Wochen aufgestellt – auch das war Teil meiner Therapie: Herausfinden, was ich mit meinem Leben anfangen soll. Leider konnte mir mein Psychologe bei dieser Aufgabe nicht direkt helfen, also hat Moritz die Aufgabe übernommen.

Gemeinsam haben wir unsere WG geplant, die wir während unseres Studiums bilden wollten – nur Moritz, Lucas und ich. Alles Menschen die ich inzwischen zu meiner Familie zählte und die mir Sicherheit signalisierten. Lucas würde mit seinem perfekten Schnitt sicherlich Medizin studieren können und mit ein wenig Glück schafften sowohl Moritz, als auch ich unseren Abschluss und konnten meinem Bruder an seine Wunschuni folgen, um dort ein Abenteuer zu beginnen.

Ende.

Vielen Dank an alle die mir beim Schreiben dieser Geschichte mit ihren lieben Worten geholfen haben - ich hoffe ich konnte eure Erwartungen erfüllen. 

Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt