14. Kapitel - Aussprache

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Wir saßen eine ganze Weile schweigend nebeneinander. Ich wusste nun, dass Alec an den gleichen Panikattacken litt, wie ich sie ebenfalls durchstehen musste und das machte mich fertig. Er war nicht aggressiv, er war ja nicht einmal aufbrausend, er hatte nur einen Schalter in seinem Kopf, der ihn blöde Dinge tun ließ. Ich wusste einfach nicht, wie ich darauf reagieren sollte.

Doch irgendwann schien mich die Stille zwischen und zu erdrücken und zwang mich dazu, ein paar Worte an die Oberfläche zu bringen: „Ich habe sie auch.", meinte ich leise. Ich musste es ihm sagen, ich musste ihm vertrauen, damit er mir vertraute.

„Das überrascht mich nicht.", kommentierte der Junge mit den eisblauen Augen und drehte sich dabei so zu mir, dass mich sein Blick fixierte. „Wie gehst du damit um?"

„Ich lenke mich ab.", antwortete ich wage. Wie sollte ich ihm erzählen, dass ich mir freiwillig meine Haut aufschnitt, um mich auf andere Gedanken zu bringen, ohne dabei vollkommen krank zu klingen? Das brachte ich einfach nicht über mich.

Zu meinem Erstaunen, verband der Junge neben mir die Hinweise jedoch von ganz alleine. „Daher die Narben an deinen Beinen?", fragte er vorsichtig und klang dieses Mal nicht so vorwurfsvoll, wie das letzte Mal, als er mich darauf angesprochen hatte. Dank Marie musste die halbe Schule meine Narben gesehen haben und doch war Alec der einzige der darauf geachtet zu haben schien.

Ich zuckte mit den Schultern – ich brachte es einfach nicht über mich, meine Stimme zu erheben. Es hatte sich ein Kloß in meinem Hals gebildet, der drohte zu Tränen zu werden, sobald ich versuchte, ein paar erklärende Worte heraus zu bringen. Auch Alecs Blick konnte ich nicht mehr stand halten. Wieso lief ich nicht einfach weg? Ich war schließlich nur hergekommen, um zu sehen, ob es Alec gut ging und da dies nun scheinbar der Fall war, sollte ich am besten einfach wieder gehen.

Leider machten mir meine Beine einen Strich durch die Rechnung, denn sie bewegten sich trotz des Befehls meines Gehirns kein Stück.

„Es tut mir leid, dass ich dich damals so angefahren habe.", sprach Alec leise weiter und deutete damit die gleiche Situation an, an die ich soeben gedacht hatte. Damals war er so sauer auf mich, dass er mir vorgeworfen hatte, meinem Körper absichtlich ungesunde Wunden zuzufügen und mich damit so überrumpelt, dass ich am Boden zerstört war. Das war kein guter Tag für unsere Freundschaft.

Wieder antwortete ich nicht, doch ich schaffte es wenigstens ein kleines Lächeln aufzubringen, dass meinem Freund signalisierte, dass ich ihm nicht böse war. Ich wollte nicht weg von diesem Jungen, wollte bei den wunderschönen Augen bleiben, die mich noch immer ansahen und ich wollte seine weichen Lippen noch einmal auf meinen spüren. Jedoch war mir selbst bewusst, dass ich nicht noch einmal den Mut aufbringen würde, etwas so impulsives und selbstsicheres zu tun – doch ich wünschte es mir.

Als ich an diesem Abend vollkommen verwirrt in meinem Zimmer saß und noch immer Alecs Lippen auf meinen zu spüren schien, versuchte ich vergebens einen klaren Gedanken zu fassen. Heute war so viel passiert, das ich nicht erwartet hatte, so viel, das meine sämtliche Vorstellungskraft überstieg, dass ich einfach nicht anders konnte, als überfordert an die Zimmerdecke zu starren.

Ich hatte Alec geküsst, hatte meine Lippen einfach auf seine gepresst und zu allem Überfluss hatte es mir gefallen – wie sollte ich damit umgehen? Ich fühlte mich lächerlich, schließlich hatte ich nach dem heutigen Tag eigentlich größere Probleme, als so einen dämlichen Kuss, doch trotzdem überschattete er all meine anderen Gedanken. Dabei sollte ich eigentlich zu Lucas gehen und ihn nochmals zur Rede stellen, müsste mich bei ihm für meine Abwesenheit entschuldigen und ihm sagen, dass ich für ihn da war – warum saß ich dann trotzdem hier tatenlos rum und verschwendete meine Gedanken auf eine Sache, die Alec vermutlich komplett kalt gelassen hatte?

Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt