- Ihre Sicht -
Dicke Regentropfen klatschen gegen die Fenster eines Cafés.
Sie betritt schnell den warmen Raum, und schließt hinter sich die Tür. Ihre Familie sitzt an einem Tisch am Fenster, und winkt ihr zu.
Mit einem breiten Lächeln läuft sie durch den kleinen Raum, mit seiner gewölbten Decke, und der sonnengelben Farbe an den Wänden.
Sie ist fast am Tisch angekommen, und zieht sich im gehen die Jacke aus, als sie durch Johlen und Lachen abgelenkt wird.
Neugierig schaut sie über die Schulter zurück, und sieht wie eine ganze Gruppe voller Männern und Frauen mit einigen Kinder herein kommt.
Alle tragen seltsame, alte Kleider, die mit Flicken übersäht sind, und über der Schulter die typischen Furcht erregenden Holzmasken der alemannischen Fastnacht.
Ein freudiges Kribbeln breitet sich in ihrem Magen aus, denn sie liebt diese abscheulichen Masken, das Konfetti, die unheimlichen Wesen und die rhythmische Guggemusik.
Sie wendet sich wieder um, und läuft nun endgültig zum Tisch ihrer Eltern.„Hallo.“ lächelt sie in die Runde, und bestellt bei der jungen Bedienung eine heiße Schokolade und eine Waffel mit heißen Kirschen.
Das Lachen und die Albernheiten der Narren schwirren durch das ganze Café, und lenken ihren Blick bald immer öfter auf die Gruppe, die sich direkt in ihr Blickfeld an einen Tisch gesetzt hat.
Sie lässt ihren Blick über die Menschen schweifen, und sieht die scheußlichen Holzmasken.
Es ist eine abgrundtief hässliche Hexe, mit grünen Warzen, leuchtenden Augen, grauen, wirren Haaren und einem blauen Kopftuch.
Dazu ein grünes Oberteil und ein roter, von Flicken übersähter Rock. Neben manchen Plätzen steht ein Reisigbesen, mit dem die Hexen später sicherlich allerhand Unfug anstellen werden, denkt sie grinsend.
Ihr Blick wandert den Tisch hoch, und plötzlich hält ein Augenpaar ihren Blick fest.Strahlende, blaue Augen, die von grünen Linien durchzogen werden, wie das Muster das die Sonnenstrahlen auf den Sandboden im Meer malen.
Ihr Herz bleibt für einen Moment stehen, bis sie errötend den Blick abwendet. Für einen kurzen Moment wird ihr eine Atempause gegönnt, denn die Bedienung setzt die bestellten Sachen vor ihr ab, und versperrt ihr kurz den Blick auf die Truppe.
Doch kaum ist die junge Frau wieder verschwunden, wandert ihr Blick unaufhaltsam wieder zum anderen Tisch, und finden zielstrebig seinen Blick.- Seine Sicht -
Das Mädchen, welches vor ihnen das Café betreten hat, blickt über die Schulter zurück, und er sieht wie ein strahlendes Lächeln über ihr Gesicht huscht.
Wow... so ein Lächeln, das findet man nur einmal auf der ganzen Welt.
Er bemerkt kaum, dass seine Hände zu zittern begonnen haben, denn er sieht nur noch sie.
Wie anmutig sie sich auf den Stuhl niederlässt, und wie freundlich sie mit der Bedienung spricht. Die Stimmung am Tisch schlägt auch schlagartig um, die Familie freut sich offensichtlich wahnsinnig, dass das Mädchen wieder da ist, und es ist viel mehr Gelächter zu hören als vorher.
Als die Gruppe sich an ihren Tisch setzt, sorgt er unauffällig dafür, in ihrem Blickfeld zu sitzen.
Er kann seinen Blick nicht von ihr abwenden.
Ihre braunen Haare, die einen leichten Kupferstich aufweisen, fallen ihr in fließenden, kleinen Wellen, die zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden sind, über den Rücken.
Ihr Blick wandert immer wieder zu ihm, und seiner Truppe, und da passiert es.
Ihre Blicke kreuzen sich, und er hat das Gefühl, dass sie nicht aus seinem Blick entweichen kann.
Funkelndes smaragdgrün, trifft auf seine eigenen blauen Augen.
Sein Herzschlag verdoppelt sich, sie unterbricht den Blickkontakt errötend, und er verwünscht die Bedienung, die ihm die Sicht auf diesen Engel versperrt.- Ihre Sicht -
Schüchtern lächelt sie ihm zu, und wird rot, als er zurück lächelt.
So wunderschöne Augen, schießt es ihr durch den Kopf, und sie lächelt in sich hinein.
Immer wieder zieht er ihren Blick unvermeidlich an, und jedes Mal scheint er es zu bemerken wenn sie ihn anschaut, denn immer wendet er seinen Kopf zu ihr.
Ein leises, warmes Lächeln überzieht sein Gesicht, mit den hohen Wangenknochen und markanten Kanten. Seine blonden Haare fallen ihm lockig in die Stirn, und sie sieht, selbst durch die Verkleidung, dass er recht schlank und durchtrainiert ist.
Seine Lippen teilen sich, und sie sieht seine schneeweißen Zähne.
Wie sich wohl seine Stimme anhört? fragt sie sich, und senkt rasch den Blick.„Noch circa eine halbe Stunde, bis der Zug anfängt.“ gibt ihr Vater zu bedenken, und so bestellen sich alle noch etwas zu trinken, denn raus in den Regen will keiner.
Es schüttet, und sie sieht wie die Tropfen in die Pfützen fallen, gegen die Scheibe klatschen, und der Wind die Bäume beugt.
Doch schließlich ist die Zeit gekommen, die Narren erheben sich, und das Klirren der Glöckchen springt durch den ganzen Raum.
Sie sucht seinen Blick ein letztes Mal, bevor er das Café verlässt, und sie fragt sich ob sie ihn nochmal sehen wird.- Seine Sicht -
Der Regen macht ihm nichts mehr aus, denn in seinen Gedanken, in seinem ganzen Körper ist eh nur noch Platz für das Mädchen aus dem Café.
Ihre wunderschönen Augen, ihr schmales Gesicht und ihre zierliche Figur lassen ihn nicht mehr los. Sie ist ein bis zwei Köpfe kleiner als er, aber in ihren Augen lodert der Schalk und eine gewisse, spielerische Boshaftigkeit.
Ein Lächeln überzieht sein Gesicht, als sie ihn noch einmal ansieht, und er will ihr ein Zeichen geben, doch sie wendet ihren Blick ab, und starrt auf den Boden.
Na gut, dann muss ich dich eben wiederfinden. murmelt er in Gedanken, und läuft zu ihrer Anführerin.
„Ich brauche ein Stück Papier, und einen Kugelschreiber.“ sagt er, und hält kurze Zeit später beides in der Hand.- Ihre Sicht -
Sie gehen durch den Regen, der inzwischen etwas nachgelassen hat zum Zug, und hören schon von weitem, wie die erste Zunft angekündigt wird.
Ihre Schritte beschleunigen sich unbewusst, und sie rennt schon beinahe zum Zug.
„Mach doch langsamer.“ motzt ihre Mutter, und auch ihre Brüder quengeln über das schnellere Tempo, aber von ihnen versteht schließlich niemand, dass sie ihn unbedingt wieder sehen muss.Zunft um Zunft wandert vorbei, und sie wird allmählich ungeduldig.
Die eiskalten Tropfen durchnässen ihre Jacke und ihre Jeans, aber sie harrt aus.
Als sie schon fast gehen will, und ihre Familie sie immer mehr zum Aufbruch drängt, sieht sie ein blaues Kopftuch aufblitzten.
„Ich komme sofort. Nur noch diese eine Gruppe.“ bittet sie, und sieht ihren Vater flehentlich an.
„Na gut.“ brummt dieser, und streicht ihr lächelnd übers Gesicht.
Doch die blauen Kopftücher gehören nicht zu den Hexen, die sie gesucht hat.
Sie blickt zu ihrer Familie, die mit gequältem Gesichtsausdruck im Regen steht, und will am liebsten weinen vor Verzweiflung.
Ich wollte dich doch nur noch einmal sehen... flüstert sie in Gedanken, aber sie muss sich in ihr Schicksal fügen.- Seine Sicht -
Fieberhaft suchen seine Augen die Straßenränder ab, und er umklammert den kleinen Zettel in seiner Hand.
Und da sieht er es, ein kupfernes Aufblitzten, eine sich abwendende, geknickte Gestalt.
Da ist sie! ruft alles in ihm, und er rennt los.
Die Menge weicht vor ihm zurück, und er packt sie am Arm.
Sie wendet sich erschrocken um, ein kleiner Schrei entflieht ihren Lippen, und als er seine Maske hochschiebt, weiten sich ihre Augen noch mehr.„Du? Bist du es wirklich?“ hört er ihre leise, unsichere Stimme, und ein breites Lächeln überzieht sein Gesicht.
„Ja bin ich.“ murmelt er, und streicht ihr eine verirrte, klatschnasse Strähne, die aus ihrem Pferdeschwanz gefallen ist hinters Ohr.
„Ich dachte, du würdest nicht mehr kommen.“ murmelt sie, und blickt ihn mit ungläubigen, noch leicht traurigen Augen an.
„Aber hier bin ich.“ lächelt er, und beugt sich zu ihr hinunter.
Erschrocken sieht sie ihm in die Augen, aber die Angst macht einem Strahlen Platz, als er seine Lippen leicht auf ihre weiche Wange drückt.
Er drückt ihr den Zettel in die Hand, und haucht ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
„Bitte.“ flüstert er noch, bevor er sich abwendet, und zum Zug zurückkehrt.
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Der Dachboden der Träume
Historia CortaLangsam stieg sie die steilen Stufen nach oben. Sonnenlicht blitzte hier und da um Ecken und zwischen Astlöchern hindurch. Staubkörner wirbelten durch die Luft, als würden die Sonnenstrahlen eine nur für sie hörbare Musik machen. Sie musste niesen...