Weit entfernt von unserer Welt, wenn man am Ausgang unseres Sonnensystems dreizehntel rechts abbiegt, fünfzig Wimpernschläge nach schräg links hüpft, ein Stück gerade nach unten geht und durch den blauen Traumstrudel fällt, dann landet man im Universum der Träume. Die Träume, die aus diesem Reich kommen, bestehen aus regenbogenfarbenem Sand, der manchmal, wenn man zu früh aufwacht, noch auf den Kissen der Schläfer liegt.
In dieser Welt ist es so bunt, dass es den Besucher blendet, wenn er das erste Mal nach Tuar Ceatha kommt, denn jeder der Planeten schillert in einer anderen Farbe des Regenbogens und auf jedem befindet sich eine andere Station der Traummanufaktur. Wichtel, Feen und Kobolde, Meerjungfrauen und Zwerge, kurz alle Fabelwesen, die sich ein Kind nur vorstellen kann, arbeiten hier Hand in Hand um die Träume rechtzeitig zu den Kindern schicken zu können.
Und hier lebte auch Rinceoír, eine Traumelfe. Rinceoírs Aufgabe war es, zwischen den Welten hin und her zu fliegen, um die Wünsche der Kinder einzusammeln und sie nach Tuar Ceatha zu bringen.
Als sie sich an diesem Morgen auf ihren Rundgang begab, schien alles wie immer. Das Spinnrad spann funkelnde Wolle, die mit winzigen Bausteinen bedeckt war, die auf der Traumwebmaschine später das Bild eines gesamten Traumes ergeben würden, in den ein Kind eingewickelt werden würde. In der Mühle wurden Traumdiamanten, die man aus den Mienen der Planeten gewann, zu feinem Staub zermahlen, der anschließend in dunkelblaue Nachthimmelsäcke gesteckt wurde. Die Traumkünstler klecksten und zeichneten Träume auf schillerndes Sternenstaubpapier und die Traumtänzer erfanden neue Traummelodien, die sie in glänzende Muschelspieldosen legten. Von Planet zu Planet flog Rinceoír, hielt hier und da an um ein Stück der Prinzessinentraumplätzchen zu probieren oder an den Einhorntraumblumen zu schnuppern, den Künstlern ein Kompliment zu machen oder die Tänzer zu bewundern.
Schließlich kam sie am Ende ihres Rundgangs an, und sah den Schlaf auf einem großen Kissen sitzen. Um ihn herum hatten sich die kleinen Wichtel- und Feenkinder versammelt und hörten gespannt den Abenteuern zu, die er erzählte.
„Ich fand den ersten unserer Traumplaneten alleine im Universum herumirrend und landete, neugierig wie ich war. Doch kaum hatte ich den Boden berührt fielen alle dort lebenden Wesen in einen tiefen Schlaf.“ hörte sie ihn im vorrüberfliegen sagen.
Rinceoír schmunzelte, und erinnerte sich, wie sie damals aus ihrer Blume geschlüpft war. Eigentlich wie jede andere Traumelfe vor ihr, mit der Ausnahme, dass sie nicht eingeschlafen war. Verwundert hatte sie all die schlafenden Tiere, Feen und Wichtel betrachtet, bis sie schließlich auf den Schlaf höchstpersönlich getroffen war. Als er ihr von seinem Malheure erzählte, hatten sie gemeinsam nach einer Lösung gesucht, und ihm ein Armband aus Traumgestein und Traumdiamanten gefertigt, die sie im Feuer der Mienen geschmolzen hatten. Diese verhinderten, dass die Berührung des Schlafs alle in einen tiefen Schlummer versetzten.
So waren kurz darauf alle Tiere und Wesen wieder erwacht und gemeinsam hatten sie angefangen, den Planeten zu erkunden und aus den Traumdiamanten die ersten Träume zu bauen, die der Schlaf nur noch berühren musste, um sie wirksam zu machen.
Nach und nach hatte sich ihr erster, regenbogenfarbener Planet geteilt und jeder der neuen Planeten hatte eine seiner Farben angenommen. Bis das Universum immer mehr gewachsen war, und die weisesten und stärksten Feen schließlich gemeinsam mit dem Schlaf eine schützende Barriere aus Sternenstaub und dem Glauben an Träume und der Hoffnung der Kinder um ganz Tuar Ceatha gezogen hatten. So konnte niemand böses je eindringen und das Armband des Schlafes stehlen, der, seines schützenden Armbands beraubt, alles in einen tiefen Schlaf versetzen würde.
Doch auch wenn in Tuar Ceatha, dem bunten Universum der Träume, alles in Ordnung war und nichts geschehen konnte – draußen, vor den Toren des Reichs kauerte die Dunkelheit und leckte wie Flammen an der Barriere.
Eines Nachts, als wieder eine Ladung der Träume aus dem goldenen Tor glitt und sich auf der Sternenstaubahn auf den Weg zur Erde machte, schnappte das Böse zu. Schwarze Rauchfinger griffen nach den schillernden Träumen, wie um mit ihnen zu spielen. Erst war es nur ein kleiner Fleck, wie ein Fingerabdruck, den das Böse hinterließ, doch dieser breitete sich aus und verfärbte nach und nach das ganze Traumgebilde. Wie schwarzes Gift zerstörte der Rauch die bunten, leuchtenden Figuren und schickte sie als Nachzügler auf die Reise zur Erde.
Ein Ruck ging durch das Universum und neben dem blauen Traumstrudel nach Tuar Ceatha tat sich ein zweiter schwarz-züngelnder Strudel auf, aus dem die Rauchfinger hinaus in die Welt griffen um das Gegenteil von den funkelnden Träumen zu verbreiten – die Alpträume. Sie bestanden aus Furcht und Hoffnungslosigkeit, Hass und Gier, die man auf der Erde immer häufiger fand. Der schwarze Strudel sog all diese Gefühle ein und impfte sie den bunten Träumen der Traumplaneten ein, um Chaos in die Welt zu bringen und sich daran zu nähren.
Zunächst änderte sich nichts, die Barriere schütze die Traumplaneten weiterhin und die Anteile der Alpträume blieben gering, sodass auch die empfindlichen Wichtel, die sich gemeinsam mit den Traumelfen nach den Traumwünschen der Kinder umhörten, nichts bemerkten. Doch sobald die Ängste und Hoffnungslosigkeit nicht nur in der realen Welt sondern auch der erträumten Welt erschienen, und die Kinder schreiend mitten in der Nacht hochschreckten, wurde der schwarze Strudel größer und größer und die Sternenstaubwand um Tuar Ceatha immer schwächer.
Als sich alle Wesen und Tiere nach einem langen Tag zur Ruhe gelegt hatte und der Schlaf sein Armband auszog, um sie alle in Schlaf zu versetzen, huschte ein dunkler Schatten ins Haus des Schlafes und rannte mit dem Armband davon.
Nur Rinceoír war wie immer von der Wirkung unbekümmert in den Wiesen unterwegs und hatte einen der Wichtel bei sich, der plötzlich seine Ohren spitzte. Er warf sich hin und her im Schlaf, murmelte vor sich hin und stieß spitze Schreie aus.
Verwirrt versuchte sie den um sich schlagenden Wichtel zu wecken, doch er war unter Einfluss des Schlafes und nichts vermochte ihn zu wecken. Entschlossen flog Rinceoír zurück und fand den Schlaf an seinem Schreibtisch sitzend.
„Was ist denn Rinceoír? Du siehst so besorgt aus.“ fragte er und musterte sie gründlich. Seine goldene Iris wärmte sie, wie die Sonnenstrahlen auf der Erde, und sie öffnete ihre Arme, um ihm den sich krümmenden Wichtel zu zeigen.
„Wir müssen ihn aufwecken. Es geht ihm nicht gut. Und das bedeutet, es geht auch den Kindern auf der Erde nicht gut.“
„Ich gehe sofort mein Armband holen.“ murmelte er besorgt und lief in das angrenzende Zimmer. „Es ist weg!“ tönte wenige Wimpernschläge später seine Stimme an ihr Ohr und sie zuckte zusammen. Das Armband konnte nicht weg sein. Das war einfach nicht möglich. Sie stürzte zur Tür und sah, wie sich der Schlaf verzweifelt durch die Haare fuhr. „Was machen wir denn jetzt?“ fragte er, und sie erahnte die Hoffnungslosigkeit, die sich in ihm breit machte.
„Ein neues Armband wird schwierig zu finden sein. Ich bin mittlerweile zu groß um in die Mienen hinab zu steigen. Der einzige, der klein genug ist, ist dieser kleine Wichtel hier, aber er schläft tief und fest.“
„Es gibt vielleicht, aber auch nur vielleicht, eine Möglichkeit ihn und die anderen aufzuwecken. Ich muss mich selbst in tiefen Schaf versetzen, damit meine Macht nicht mehr ausreicht um alle anderen auch im Schlaf gefangen zu halten. Der Zauber kann nur gebrochen werden, wenn die Kinder wieder an mich und das Gute, das im Schlaf zu ihnen kommt, glauben. Ihr müsst die Alpträume aufhalten, koste es was es wolle.“ sagte der Schlaf und griff unter seinen Schreibtisch. Ein leichtes Knacken und Krächzen ertönte und mit einem Husten holte er eine kleine Phiole aus einem Geheimfach.
„Das wird mich in Schlaf versetzen, bis ihr mich wieder erweckt. Ich glaube an euch.“ lächelte der Schlaf, und berührte Rinceoírs Wange,
"Du wirst es schaffen."
Und mit einem letzten Seufzen, schüttete er sich den Inhalt des Gläschens über den Kopf.
Chaos brach aus, als Rinceoír den Wesen die Nachricht überbrachte und Verzweiflung machte sich breit.
„Nein! Hört mir zu.“ rief sie, und tausend kleine Augen blickten sie erwartungsvoll an. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, denn sie konnte den Schlaf nicht enttäuschen.
„Die kleinen Wichtel steigen hinab in die Mienen und besorgen genügend Traumdiamanten und Traumgestein um dem Schlaf ein neues Armband zu fertigen, die Feen fügen es im Feuer der Mienen zusammen, die stärksten Elfen und Feen versuchen die Barriere oben zu halten und der Rest beginnt an neuen, schönen Träumen zu arbeiten. Ich fliege zurück auf die Erde und schaue, wie viele Träume ich noch retten kann.“ sagte sie, lächelte allen einmal zu und schnappte sich einen großen Sack voller Traumsand.
Auf der Erde sah sie Tränen über Kinderwangen fließen, Schreie drangen an ihre Ohren und sie blickte in vor Angst geweitete Augen, die sich weigerten ohne Licht zu schlafen. Eltern, die ihre Kinder trösteten, gleichzeitig versuchend ihre eigene Angst zu verstecken – denn besonders Alpträume waren für alle da. Ihr Herz schnürte ihr den Hals zu und schmerzte in ihrer Brust. Leise schlüpfte sie durch ein Fenster nach dem anderen und streute bunten Traumsand in die Augen der Menschen, nur um kurz darauf ein seliges Lächeln auf ihren Gesichtern zu finden. Rinceoír musste lächeln und beeilte sich weiter zu fliegen, bis ihre Flügel lahm wurden und sie sich auf den Weg zurück nach Tuar Ceatha machte, mit einem leeren Traumsandsack über ihrer Schulter. „Wir haben das Loch gefunden. Wir wissen was es ist.“ schallten ihr die Stimmen ihrer Feenschwestern entgegen, als sie durch den Traumstrudel zurückreiste.
Alle standen sie um einen vor Schwärze lodernden Strudel herum, aus dem dunkler Rauch drang. „Was in Schlafes Namen ist das?“ keuchte Rinceoír erschrocken und streckte ihre Hand aus.
„Es ist der Strudel der Alpträume. Unsere Ältesten sagen, das er sich von den schlechten Gefühlen der Menschen ernährt und immer größer wird, je weiter diese Ängste und Sorgen auch in die Traumwelt eindringen. Wir können ihn nur mit Glück und Hoffnung verschließen und dafür müssen die Kinder wieder an das Gute glauben.“
In den nächsten Tagen und Wochen arbeiteten alle noch mehr zusammen als sonst. Körbe voller bunter Regenbogenwolle wurden gesponnen, Diamanten sprossen aus allen Ecken und die Traumkünstler malten Traum nach Traum, einen bunter als den anderen. Die Traumtänzer komponierten glitzernde Melodien und Sternenstaub wurde in Traumkekse verbacken, die den Kindern als kleine Geschenke auf die Fensterbank gelegt wurden.
Auf der Erde wurden Feen postiert, die, sollten sich Alpträume durchschlagen und die Menschen einwickeln, bunten Traumsand auf die Schläfer streuten um die Alpträume zu vertreiben. In Tuar Ceatha werkelten die Wichtel weiter an dem Armband und die Ältesten und Weisesten der Feen hatten den schwarzen Strudel der Alpträume mit einem aus Traumfäden gesponnen Netz bedeckt, dass den Rauch davon abhielt aus zu dringen.
Ruhe und Frieden schienen auch in die Träume der Menschen zurück zu kehren, denn es wurden immer weniger Alptraumbefälle gemeldet und so konnte der Schlaf bald wieder erweckt werden. Und wann immer sich doch einmal die Dunkelheit unter das Licht mischte, war der Traumsand zur Stelle um die Farben zurück zu bringen.
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Der Dachboden der Träume
ContoLangsam stieg sie die steilen Stufen nach oben. Sonnenlicht blitzte hier und da um Ecken und zwischen Astlöchern hindurch. Staubkörner wirbelten durch die Luft, als würden die Sonnenstrahlen eine nur für sie hörbare Musik machen. Sie musste niesen...