Zieh Leine

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Nach vier Tagen Suppe und Bettruhe, bin ich schwach, aber gesund. Dafür ist Jason krank. Er streitet es zwar ab, aber ich habe ihn dabei erwischt, wie er sich drei Ibuprofen auf einmal einschmiss und außerdem schwitzt er am ganzen Körper. Trotzdem lässt er sich nicht überreden, seine Grippe auszukurieren und arbeitet nach wie vor mit seinen Jungpferden in der kalten Reithalle. „Ich habe keine andere Wahl", sagt er hustend und zieht sich eine dicke Daunenweste über seinen schweren Hoodie. Seine Nase ist ganz rot von der Kälte. „Du hast mich auch gezwungen, im Bett zu bleiben", sage ich und möchte ihn am liebsten Fesseln und ins Bett zerren. „Sie hat Recht" stimmt mir Brady zu, der gerade in seine Stiefel schlüpft und sich auf den Weg zur Uni macht. „Du wirst das bereuen Alter". Dann verschwindet Brady im Morgengrauen und lässt mich mit dem unwilligen Patienten alleine. „Nimm dann wenigstens eine Mütze und einen Schal", sage ich bestimmend. „Der Hut bringt überhaupt nichts gegen die Kälte". Jason verdreht genervt seinen Augen. „Ich bin doch kein Weichei". Er lässt mich im Flur stehen und ich beobachte durch ein Fenster, wie er im Gegenüberliegenden Pferdestall verschwindet. Auf dem Weg dorthin, hat er einen heftigen Hustenanfall. Doch das kümmert ihn gar nicht. „Na schön" fauche ich, schlüpfe in meine Stiefel und schnappe mir meine Dicke Daunenjacke, die mir Tara Weihnachten unter den Baum gelegt hat. Ich stapfe entschlossen über den verschneiten Hof und der gefrorene Schnee knirscht wie Styropor unter meinen Füßen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass meine Nasenlöcher zufrieren, so kalt ist es. An der Außenwand des Stalles hängt ein Thermometer, doch das zeigt die Temperatur nur in Fahrenheit an. Mit dieser Angabe kann ich nichts anfangen und habe auch keine Lust, mir mit einer Kopfrechnung, das Gehirn zu zermartern. Jason hat die Pferde schon vor zwei Stunden alleine gemistet und gefüttert. Jetzt gerade putzt er einen goldfarbenen Junghengst um diesen Einzureiten. Er war schon ein paar Mal auf diesem prächtigen Tier gesessen und er ist auch den Sattel gewöhnt. Trotzdem habe ich kein gutes Gefühl, dass er dieses Tier unter Fieber und Gliederschmerzen reiten muss. Er ist dafür eindeutig nicht in der Verfassung. „Halt den Mund Ricky", schnaubt er abwehrend und wirft den Sattel auf den Rücken des Hengstes. „Ich weiß was ich mache und habe alles unter Kontrolle". Wenn ich das schon höre, bekomme ich einen Wutanfall. „Das sagst du immer und meistens stimmt es nicht", schreie ich Jason an. Er beachtet mich nicht weiter und schiebt mich sanft aber bestimmend zur Seite, damit er mit dem jungen Pferd in die Reithalle gehen kann. Die Automatiktüre schwingt summend auf, als die beiden in den Sensorbereich treten. Ich sehe nur fassungslos zu, wie die beiden hindurchtreten und die Tür sich hinter ihnen schließt. „Verdammtes, stures Arschloch", schreie ich ihm nach. Natürlich hat er das nicht gehört, obwohl ich mir wünsche er hätte es. Wie kann man nur so stur und Suizid geil sein. Ich kämpfe noch einige Sekunden gegen meine Wut und schlucke sie hinunter. Es regt mich auf, dass er nie auf mich hört, wenn es um ihn geht. Er schaltet sofort auf extrastur und zieht sich zurück in sein beschissenes Schneckenhaus. Dann als die meiste Wut hinausgeatmet ist, gehe ich auch zur Reithalle und stelle mich neben die Bande. Jason beachtet mich nicht, sondern lenkt das Pferd rückwärts in ein Stangenhinderniss am Boden. Der Hengst schlägt unwillig mir seinem Schweif, tut aber, was Jason von ihm verlangt. Als er versehentlich auf eine Stange tritt, springt er erschrocken nach vorn und buckelt kurz. Ich glaube, dass es noch zu früh ist für das Tier um diese schweren Sachen zu üben. Doch ich kenne mich nicht aus und schätze, Jason kann das besser beurteilen. Sein Gesicht wird knallrot und er wird von einem erneuten Hustenanfall geschüttelt. Gar nicht gut. Wieder lenkt er den Hengst rückwärts in das Hindernis und schafft es über die beiden eingebauten Ecken bis in die Mitte. Dort veranlasst er das Tier, sich im Kreis zu drehen. Es sieht gut aus, doch Jason ist nicht zufrieden über die Geschwindigkeit und feuert den Hengst mit groben Einsatz der langen Sporen auf, sich schneller zu drehen. Der Hengst steigt kurzerhand und springt aus dem Stangenhinderniss heraus. Jason wird wütend, was ich noch nie erlebt habe und schlägt mit dem langen Zügel auf die Flanken des Tieres. „Du bist kein verdammtes Springpferd" schimpft er hustend und treibt den verängstigten Hengst im Galopp vorwärts. Er jagt ihn einige Runden durch die Halle, bremst ihn ruckartig, sodass eine Staubwolke zu seinen Füßen aufwirbelt und richtet ihn wieder rückwärts. Als er ihn wieder im Kreis drehen lässt, reicht es dem Pferd. Es buckelt wie ein Rodeo Pferd durch die Halle und prallt dann gegen die Bande. Wie durch Zeitlupe schaue ich zu, wie Jasons Kopf gegen die Holzwand knallt und schwungvoll abgesetzt wird. Der Hengst läuft an mir vorbei zurück in Richtung Stall und keilt dabei immer wieder schnaubend aus. Nach einigen Schrecksekunden lauf ich zu Jason, der immer noch bewegungslos am Boden liegt und mit weit aufgerissenen Augen zum Hallendach schaut. „Das verdammte Vieh kommt heute noch zum Metzger", flucht er und schließt die Augen. Vermutlich hat er starke Schmerzen. Ich knie mich neben ihn und schaue nach Verletzungen, die nicht so offensichtlich sind, wie seine Platzwunde an der Schläfe. „Ist etwas gebrochen", frage ich besorgt und betaste mit kalten Fingerspitzen seine Wange. Sein linker Wangenknochen ist dick geschwollen und färbt sich blau, aber gebrochen ist er offenbar nicht. Jason hält meine Hand mit seiner Fest. „Lass das, ich bin in Ordnung. Du kannst abziehen". Seine Augen versprühen pures Gift. „Was soll das jetzt", frage ich gekränkt „ich habe dich doch..." Jason hebt abwehrend seine Hand. „Lass mich einfach in Frieden arbeiten und zieh Leine". Wortlos und zu tiefst beleidigt, stehe ich auf und lasse ihn liegen. Mir schießen Tränen unaufhörlich in die Augen und dieser, lassen sich nicht bremsen. Da ich kein Auto hier habe, rufe ich Brady an. „Kann ich mir deinen Truck ausleihen", ich falle gleich mit der Tür ins Haus und halte mich nicht lange mit Erklärungen auf. Er merkt sofort, dass etwas nicht stimmt. „Natürlich. Was ist los, du hörst dich seltsam an. Geht es dir gut". Brady ist ziemlich feinfühlig und hat dafür besondere Antennen. „Nichts ist los, alles bestens" lüge ich und versuche meine Stimme zu verstellen, so dass sie sich nicht so schrill anhört. „Na schön", sagt Brady dann. „Ich komme zurück, dann reden wir". Im Hintergrund höre ich Stimmen und Musik. Sein Autoradio. „Nein, ist schon gut. Ich komme klar. Es ist nicht dramatisch. Wirklich". Natürlich glaubt er mir kein Wort, aber ich weiß, dass er heute eine wichtige Prüfung hat und möchte nicht, dass er diese versäumt. Er hat sich so lange und gut darauf vorbereitet.

„Du weißt ja, dass er erste und der dritte Gang nur schwer reinzukriegen sind. Aber das ist glaube ich bei deinem Truck das Gleiche". Ja damit kenne ich mich aus. Ich bedanke mich bei ihm und lege auf.

Jason stürmt über den Hof, als ich Rückwärts aus der Garage setzte und dann versuche, den ersten Gang einzulegen. Es ist unter Druck noch schwieriger, aber ich schaffe es trotzdem bevor er mich erreicht. Da ich ihn nicht überfahren möchte, bin ich gezwungen stehen zu bleiben, doch ich verriegle vorsichtshalber die Türe. Damit er mich nicht aufhalten kann und kurble das Fenster nur einen winzigen Spalt breit herunter, damit ich verstehen kann was er noch zu sagen hat. „Wo willst du hin", fragt er außer Atem und stützt sich an der Dach Reling des Trucks ab. Er ist total verschwitzt und gehört ins Bett. „Nach Hause, aber das geht dich eigentlich nichts an", sage ich barsch und wische mir mit dem Handrücken Tränen vom Kinn und Nase. „Babe. Es tut mir leid. Bitte fahr nicht". Ich versuche das Fenster nach oben zu kurbeln, aber sein verzweifelter Gesichtsausdruck, hält mich noch kurz davon ab. Aber dann reiße ich mich zusammen und baue meinen inneren Selbstschutz auf, den ich so vernachlässigt habe. „Schon gut, es wäre auch zu schön gewesen", sage ich knapp. Er reißt seine Augen erschrocken auf und starrt mich an. „Was soll das Bedeuten Babe". Ich antworte ihm nicht und kurble das Fenster entschlossen nach oben. Seine Stimme verstummt dadurch. Ich höre nur noch, wie er über das Motorengeräusch hinweg rufen versucht. „Erkläre es mir. Bitte Ricky". Aber das verhallt und ich lasse ihn stehen. Naja, er bleibt eben nicht stehen und läuft noch einige Meter neben dem Wagen her. Doch irgendwann bin ich zu schnell und denke gar nicht daran, langsamer zu werden. Ich ärgere mich über mich selbst, dass ich so impulsiv reagiere. Aber ich brauche ein wenig Zeit für mich selbst, um nachzudenken. Ich bin verletzt und verwirrt. Verwirrt, weil ich glaubte, dass wir nie so etwas wie einen richtigen Streit haben konnten. Verletzt bin ich, weil er mich daran erinnerte, was ich in Wirklichkeit bin und er hat es mir auch nur zu deutlich gezeigt. Er hat mich behandelt wie etwas, das ich damals war. Dreck oder Müll, einfach irgendwas, das man von sich stoßen kann. Und dass ich jetzt abhaue und dichtmache ist die beste Möglichkeit, meine Scherben aufzusammeln und dass bisschen Würde was mir bleibt, zu schützen. Mein Handy klingelt am laufenden Band und ich ziehe es aus meiner Jackentasche. Natürlich, Jason versucht mich zu erreichen. Ich schalte es ab und lege es in die Mittelkonsole. Meine Hände zittern sogar, wenn ich das Lenkrad ganz fest umschlinge. Irgendwann fahre ich an den Straßenrand um mich zu beruhigen. Es ist unverantwortlich, in meinem Zustand Auto zu fahren. Ich lege meinen Kopf auf das Lenkrad und schließe meine Augen. Mein Gesicht brennt unter den nassen, salzigen Tränen.


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