Kapitel 15

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15

Narie und Marvel befinden sich ziemlich tief im Wald. Erst hatten sie geplant an den Rand der Arena zu wandern, aber als beiden in den Sinn gekommen ist was mit Katniss und dem Feuer war haben sie es sich anders überlegt. Sie können es sich nicht leisten unnötig Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Okay. Also sag schon. Was war es?«, Narie sieht grinsend zu Marvel. In den letzten Stunden und in der Nacht hatte sie alle Zweifel hinter sich gelassen und vertraut dem ehemaligen Karriero.
»Ich glaube es war das dritte Jahr an der Akademie. Ein Freund und ich fanden es unglaublich witzig den älteren Färbemittel in die Getränke zu kippen. Wir haben also die schönste Farbe herausgesucht, in unserem Fall war das grün, und haben es in die Getränke gemischt. Die anderen, zu denen auch Cashmere und Gloss gehören, haben es dann getrunken und prompt hatten sie eine grüne Zunge. Wir müssen immer noch lachen, wenn wir daran denken wie Cashmere geschrien hat.«, Marvel grinst gegen Ende seiner Erzählung einmal frech zur Kamera, in der Hoffnung, dass Cashmere in genau diesem Moment zu sieht. Beide Tribute erzählen sich gerade Geschichten von früher um sich abzulenken, denn heute geschieht wahrhaftig nicht viel.
»Ich kann mir vorstellen, dass das für sie ein Weltuntergang gewesen sein musste.«, schmunzelt Narie, wohl wissend, dass sie sich den Hass der beiden Mentoren auf ihre Seite zieht. Marvel beginnt zu lachen.
»Oh ja, sie hat heraus gefunden das wir das waren und ist mit einem Schwert hinter mir her gerannt.«, Marvel muss erneut lachen, bei der Erinnerung was dann passiert ist.
»Und? Konnte sie was erreichen?«, fragend sieht Narie zu ihm. Marvel beginnt zu grinsen und nickt. Er schiebt den Ärmel seiner Jacke hoch und zum Vorschein kommt eine kleine Narbe. Erstaunt sieht Narie sich die Narbe an.
»Das war sie?«, fragt sie zur Sicherheit noch einmal nach. Marvel nickt.
»Ja. Hatte zur Folge, dass ich die Handgriffe die ich in der Akademie gelernt habe bei ihr ausprobiert habe.«, gibt er nur trocken zurück. Einen kurzen Moment sieht Narie ihn ungläubig an, dann beginnt sie zu lachen. Doch sie hört schnell wieder auf als sie sich daran erinnert wo sie ist.
»Ich gehe mal davon aus sie hat dich nie wieder angegriffen?«, fragt Narie dann noch. Marvel grinst.
»Nein, komischerweise war sie beim Training dann immer ziemlich weit weg von mir.«, meint er und grinst wieder. Innerlich fragt Narie sich, wieso er so fröhlich ist, obwohl er sich in der Arena befindet. Dann beginnt Narie zu erzählen.
»Blight, Johanna und ich waren einen Tag im Wald und haben dort geübt wie man sich am besten versteckt und vor anderen flieht. Was wir nicht bedacht haben war, dass in Distrikt 7 zu dieser Zeit Hauptrodungszeit war. Wir beide haben uns also versteckt, Johanna musste uns suchen. Was wir aber nicht wussten war, dass der Baum auf dem wir saßen gerade abgeholzt wurde. Am Ende sind wir Johanna praktisch vor die Füße gefallen.«, schmunzelnd erinnert sich Narie an diese Zeiten zurück. Trotz des harten Trainings hatte sie immer viel Spaß mit Blight und Johanna, aber auch mit ein paar der anderen Sieger.
»Du vermisst ihn, oder?«, fragt Marvel dann und sieht sie an. Narie blickt auf und sieht ihm direkt ins Gesicht. Sie weiß sofort, dass er Blight meint.
»Ja. Ich vermisse ihn, sehr sogar.«, antwortet sie. Genau wie ihre Eltern, Johanna und sogar Finnick. Sie weiß nicht, wieso sie Finnick vermisst, aber der Gedanke dass er zusammen mit Blight im Kapitol auf sie wartet und will dass sie gewinnt, bringt sie zum Grinsen.
»Du wirst ihn wieder sehen, da bin ich mir sicher.«, meint Marvel leise. Narie realisiert in diesem Moment nicht wirklich welche Botschaft hinter diesem Satz war und nickt nur.
»Hast du Geschwister, Marvel?«, Narie versucht sich abzulenken und rutscht genervt auf dem Baum hin und her. Sie findet einfach keine bequeme Sitzposition ohne Marvel zu berühren. Kurzerhand legt sie ihre Beine einfach über seine Waden. Als er auf sieht ist leichte Trauer in seinem Blick.
»Ich hatte eine Schwester. Aber sie war genau so wie ich und hat sich freiwillig gemeldet. Das Bild von ihr, blutend am Boden liegend, werde ich nie wieder los.«, meint er und senkt die Stimme etwas.
»Ihre Verbündeten haben sie umgebracht, als sie verletzt war.« Mitfühlend sieht sie ihn an. Es ist grausam sowas zu hören. Sie überlegt einen Moment was sie sagen soll, doch legt ihm nur mitfühlend eine Hand auf den Arm. Dann beginnt sie fast flüsternd zu erzählen.
»Ich hatte einen Bruder. Er ist auch in den Spielen gestorben. Sechs Tribute gleichzeitig sind auf ihn los gegangen. Er hatte keine Chance.«, erzählt sie und ihre Stimme nimmt einen traurigen Unterton an.
»Das tut mir Leid.«, gibt er zurück.
»Das muss es nicht. Ich bin damit fertig geworden. Es hat mich verändert, aber ich kam damit klar.«, sagt sie und sieht auf. Es ist die Wahrheit, sie hatte gelernt damit klar zu kommen. Es hatte sie verändert, ja. Aber das war ihr egal. Narie war nie jemand von diesen Personen die jahrelang trauern. Sie war stark, für sie und ihre Eltern. Denn wenn Narie in einem Loch aus Trauer versunken wäre, dann hätte sie ihre Eltern mit gezogen.
»Du bist ein sehr starkes Mädchen, Narie.«, meint Marvel nach einem Moment Stille.
»Gezwungenermaßen.«, gibt sie nur zurück und an ihrem Ton kann Marvel erkennen, dass sie nicht weiter darüber reden möchte. Sie denkt an das, was Marvel alles für sie getan hat, ohne dass er sie kennt. Die beiden haben schließlich nur kurz im Fahrstuhl miteinander geredet.
Narie greift nach ihrem Rucksack. Sie ignoriert Marvels fragenden Blick und holt ein schwarzes Paket raus.
»Was ist das?«, Marvel kann seine Frage nicht mehr aufhalten.
»Ein paar Cracker.«, gibt sie nur zurück und öffnet die Verpackung. Braune Vollkorncracker kommen zum Vorschein. Sie nimmt sich einen und hält die Packung dann Marvel hin, der sich dankend einen nimmt.
»Wieso, Marvel?«, stellt Narie die Frage, die ihr schon lange im Kopf ist. Er sieht auf.
»Wieso ich jetzt hier mit dir sitze?«, stellt er die Gegenfrage. Narie nickt und nimmt sich einen weiteren Cracker. Er kaut auf und guckt dann direkt zu Narie.
»Weil ich erkannt habe, dass es wichtigeres gibt als die Spiele zu gewinnen.«, antwortet er dann auf ihre Frage.
»Ich war der typische Karriero. Dazu ausgebildet die Spiele zu gewinnen. Aber das ist nicht mehr das was ich will. Ich möchte keine Menschen mehr töten.«, erzählt er und nimmt sich wieder etwas zu essen.
»Wenn du niemanden mehr töten willst, dann kannst du auch nicht mehr gewinnen.«, meint Narie.
»Ich weiß. In Distrikt 1 kann ich mich eh nicht mehr sehen lassen.«, gibt er nur trocken zurück und aus einem Narie nicht erklärbarem Grund muss sie schmunzeln. Sie kann selbst gar nicht glauben, dass so ein Satz von ihm kommt. Ein Karriero der nicht gewinnen will. Oder zumindest ein ehemaliger Karriero. Marvel hatte sie wirklich überrascht. Er hatte nichts daran geändert, dass Narie Karrieros wie die Pest hasst, aber er hatte ihr Vertrauen gewonnen. Und das bedeutet weitaus mehr.
»Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal mit dir hier sitzen werde.«, meint sie nach einem Moment der Stille. Er beginnt zu lachen.
»Ich auch nicht. Ich hätte damit gerechnet, dass du mich umbringst. Aber es ist schön.«, gibt er zurück.
»Ja, nur sterben alle Menschen um mich herum, die ich mag. Erst Jade, dann Katniss und Rue.«, murmelt das Mädchen traurig. Darauf weiß Marvel keine Antwort. Er würde ihr gerne erzählen, dass nicht noch jemand stirbt aber das kann er nicht. Denn wenn er es schaffen sollte Narie bis ans Ende der Spiele zu begleiten, dann würde er selber sterben müssen, damit sie leben kann.
»Es ist schon spät. Ich halte die erste Wache.«, meint Narie nach einiger Zeit um schnell vom Thema abzulenken.
»Ist okay. Weck mich aber nach der Hälfte.«, antwortet er und versucht es sich auf dem Baum irgendwie bequem zu machen. Die Beiden haben einen Baum gefunden, auf dem sie beide sitzen können, wenn auch relativ eng.
Fluchend richtet Marvel sich auf. Er findet einfach keine bequeme Schlafposition. Also beschließt er, dass er im Sitzen schläft. Er ist so müde, da wird das kein Problem sein. Sofort schläft er ein. Narie sieht kurz zu ihm. Sein Schlaf ist unruhig, er schreckt immer wieder auf, so als hätte er einen Albtraum. Doch trotzdem weckt Narie ihn nicht. Er braucht Schlaf.
In den fünf Stunden in denen Marvel schläft, hält Narie aufmerksam Wache. Aber sie muss schnell feststellen, dass nicht einmal Cato und Clove sich heute die Mühe machen und durch die Wälder streifen. Sie hätte stark Lust Cato und Clove einen Pfeil durch den Kopf zu jagen, wenn sie unter diesem Baum langgehen würden. Auf einmal ertönt eine Durchsage. Schnell richtet Narie sich auf. Die Fanfaren ertönen.
»Achtung Tribute, Achtung. Morgen früh bei Sonnenaufgang wird es am Füllhorn ein Festmahl geben. Dies wird kein gewöhnlicher Anlass sein. Jeder von euch braucht etwas äußerst dringend. Und wir haben vor großzügige Gastgeber zu sein.«, damit ist die Durchsage zu Ende. Ein Festmahl ist eigentlich dazu da die letzten überlebenden Tribute miteinander zu konfrontieren, damit das Kapitol besser unterhalten wird. Ihr ist bewusst, dass die letzten paar Tage auf die Kapitolbewohner ziemlich langweilig gewirkt haben müssen. Doch trotzdem denkt sie an das Festmahl. Narie weiß sofort, was wahrscheinlich in ihrem Paket sein wird. Etwas um ihre Wunden zu verbinden. Sie hatte nämlich schon den ganzen Tag versucht die Schmerzen die von ihrem Beim aus gehen zu verdrängen, hatte allerdings bei jeder Bewegung des Beines vor Schmerz das Gesicht verzogen. Sie muss gehen, aber soll sie Marvel alleine lassen? Er würde sie auf jeden Fall davon abhalten wollen zu gehen. Aber hat sie eine andere Wahl? Sie braucht diese Sachen aus dem Päckchen. Schafft sie es Marvel davon zu überzeugen sie gehen zu lassen? Und was ist, wenn er sie nicht gehen lässt? Narie weiß nicht, was in seinem Paket sein würde, sie sieht nicht, dass er etwas bestimmtes braucht. Also kann sie ihn so nicht überzeugen, indem sie sagt, dass sie seine Sachen holt. Doch was soll sie sonst machen? Sie kann sich ja schlecht mit ihm anlegen, er würde sie so oder so nicht gehen lassen. Frustriert atmet sie aus. Und was ist, wenn sie still und heimlich abhaut wenn er schläft? Würde er sauer auf sie sein, wenn sie wieder kommen würde? Würde sie es überhaupt schaffen wieder zu ihm zurückzukehren? Aber was ist, wenn sie am Füllhorn angegriffen wird? Er weiß nicht wo sie ist, würde sich selber vielleicht noch in Gefahr bringen, wenn er sie suchen würde. Narie überlegt. Doch am Ende gewinnt der Schmerz, der von ihrem Bein ausgeht und sie fast einen Entschluss. Für sich, aber auch für Marvel. Ich werde gehen!

Fighter || Hunger GamesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt