Kapitel 10

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Ein weiterer Tag verlief ohne Zwischenfälle. Narie wurde stiller als Jade es von ihr gewohnt war. Sie dachte oft an zu Hause, an ihre Eltern und an Blight. Ja, sogar an Finnick, welcher in den kurzen Gesprächen die sie geführt hatten, sympathischer wirkte als Narie geahnt hatte. Narie versucht oft sich daran zu erinnern wer noch alles lebte, aber ihr fehlten immer ein oder zwei Personen bei ihrer Aufzählung. Sie weiß, dass Marvel, Cato und Clove noch leben, genau wie der Junge aus drei oder vier. Narie hatte nicht wirklich etwas mit ihm zu tun, deshalb wusste sie nicht einmal seinen Namen. Fuchsgesicht hatte es entgegen allen Erwartungen auch geschafft bis jetzt durchzuhalten und Narie glaubt, dass sie bestimmt eine Waffe haben muss, wie kann sie sich sonst so lange verteidigen? Beide Tribute aus 11 und 12 leben noch. Jade hatte es geschafft zu überleben, darüber war Narie wirklich froh. Aber Narie weiß auch, dass ihre Chancen nicht besonders gut stehen, genau so wenig wie ihre eigenen. Die beiden Mädchen wissen nicht wie es Katniss oder Rue geht, nach dem Erlebnis mit den Jägerwespen, allerdings haben sie kein Bild der beiden am Himmel gesehen, also müssen sie noch leben. Wahrscheinlich wird Rue Katniss Stiche verarztet haben und die beiden haben sich verbündet.
Jade geht es von Tag zu Tag schlechter. Es ist fast nichts mehr von dem fröhlichen Mädchen über, dass sie am Anfang war. Nein, Jade war sich bewusst, dass sie die Arena nicht überleben wird. Aber es ist ein schreckliches Gefühl auf seinen Tod zu warten, unwissend wann und wo es passieren wird. Sie weiß, dass zu Hause um sie getrauert werden wird. Ihre Eltern werden ihrem kleinen Bruder erzählen müssen, wieso Jade nicht mehr bei ihnen ist. Der Gedanke, dass ihr Bruder eines Tages ausgelost werden könnte und dasselbe durch machen muss wie sie selber lässt Jade traurig werden.
»Narie? Wir haben fast nichts mehr zu essen, wir sollten jagen gehen.«, meint Jade nach einiger Zeit Stille, aufgrund ihres knurrenden Magens. Die Mädchen haben beschlossen an diesem Tag jagen zu gehen, allerdings wussten sie nicht wann.
»Okay, wie du meinst. Dann los.«, antwortet Narie und setzt sich ihren Rucksack auf. Sie hat kein gutes Gefühl bei der Sache, denn die Karrieros können hinter jedem Baum auf Jade und Narie warten. Narie möchte Jade beschützen, in den wenigen Tagen in der Arena ist sie wie eine Schwester oder beste Freundin für sie geworden. Aber ihr ist auch bewusst, dass sie nicht beide lebend aus dieser Arena heraus kommen. Innerlich hofft Narie, dass am Ende nicht nur die beiden übrig sind, denn sie würde es nicht übers Herz bringen Jade zu töten, ebenso wenig wie Jade Narie töten würde. Und dann stehen die Spielmacher vor einem Problem. Sie würden sich zusammensetzen und sich die unmenschlichsten Methoden ausdenken einen von beiden sterben zu lassen. Ob sie Fallen aufstellen durch die eine der beiden durchgetrennt wird oder ob sie hungrige Mutationen auf die beiden loslassen, das Finale wird grausam und blutig. Und das ist für Narie weitaus schlimmer als sich selber zu töten.
Narie sieht sich einmal aufmerksam um, aber als sie keine anderen Tribute erkennen kann klettert sie vom Baum. Jade folgt ihr, das Schwert an ihrer Seite.
»Wir müssen ein Stück laufen, bleib dicht hinter mir.«, gibt Narie die Anweisung und wirft einen Blick über die Schulter zu Jade.
»Okay.«, gibt diese einfach nur zurück, zieht ihr Schwert und geht dicht hinter Narie. Die Schwarzhaarige holt einen Pfeil aus ihrem Köcher, legt ihn ein und macht sich schussbereit. Jeden Moment könnte einer der Karrieros aus einem der Büsche springen und sie angreifen, da muss Narie schnell handeln können. Narie gibt Jade ein Zeichen, dass sie jetzt los rennen. Narie läuft los und Jade folgt ihr. Sie muss sich selbst eingestehen, dass sie ein wenig Angst hat. Beide versuchen beim Laufen so wenig Geräusche wie nur möglich zu machen, was allerdings durch das trockene Laub deutlich erschwert wird. Es ist fast so, als hätten die Spielmacher extra noch trockene Äste unter dem Laub versteckt, damit man auch wirklich nicht den Hauch einer Chance hat leise zu gehen.
Nach einiger Zeit, in der Narie und Jade nur gelaufen sind kommen sie am See vorbei. Narie sieht die hohe Pyramide an Vorräten, die die Karrieros errichtet haben. Doch daran verschwendet Narie nun keinen Gedanken mehr. Sie ist noch aufmerksamer als sie es vorher war, denn ihr ist bewusst, dass sie wahrscheinlich genau in der Nähe der Karrieros sind. Sie wendet den Blick kurz zum See und überlegt, ob sie sich nicht kurz das Gesicht waschen sollte. Doch genau dieser kurze Blick zum See ist ein Fehler.
»Narie?«, fragt Jade auf einmal panisch als sie sieht, dass der Junge aus Distrikt 3, welcher sich den Karrieros angeschlossen hat direkt in ihre Richtung zeigt. Cato und Clove blicken in die Richtung der beiden Mädchen und auf Cloves Lippen erscheint ein mordlustiges Grinsen. Es ist offensichtlich, dass sie entdeckt worden sind.
»Jade, lauf!«, meint Narie laut und läuft los. Jade folgt ihr sofort.
»Dreh dich nicht um.«, ruft Narie als sie läuft. Das ist genau das, was sie vermeiden wollte. Nun haben die beiden ein ordentliches Problem. Sie weiß, dass die Karrieros schnell sind, aber Narie und Jade haben vielleicht den Vorteil, dass sie leichter sind, sie müssen nur weit genug weg kommen, dass sie nicht mehr gesehen werden und können dann auf einen Baum klettern um sich zu verstecken.
»Sie kommen immer näher.«, ruft Jade panisch von hinten und versucht schneller zu rennen. Narie ist bewusst, dass die beiden Mädchen es nicht schaffen werden zu fliehen. Sie bleibt stehen.
»Was ist denn? Lauf weiter!«, ruft Jade panisch.
»Nein. Bring dich in Sicherheit.«, sagt Narie ruhig, doch Jade hört nicht und bleibt stehen.
»Ich bleibe bei dir.«, gibt sie zurück. Narie weiß, dass Jade sich nicht umstimmen lassen wird und zieht den Pfeil, den sie bei der Flucht in ihren Köcher gesteckt hatte wieder aus ihm und legt ihn ein. Sofort zielt sie und schießt. Clove gelingt es auszuweichen, sie wird aber langsamer. Sofort schießt Narie den nächsten Pfeil, diesmal auf Cato. Er kann nicht so schnell ausweichen wie Clove und der Pfeil schleift an seinem Arm und hinterlässt eine blutige Wunde. Er beginnt vor sich hin zu fluchen, als auf einmal ein Messer angeflogen kommt. Schnell weicht sie aus. Narie dreht sich zur Seite, das Messer steckt im Baum hinter ihr. Sofort zieht sie es heraus und steckt es ein. Wenn Narie das Messer hat, dann hat Clove eine Waffe weniger, mit der sie angreifen kann. Narie startet einen neuen Angriff. Doch auch diesmal können sich die Karrieros retten. Beide Mädchen erkennen, dass man hier nur noch mit Nahkampf weiter kommt. Narie hängt sich den Bogen um und zieht ihre zwei Messer, in jeder Hand eins, Jade macht sich mit dem Schwert bereit. Beide gucken sich kurz an und haben sich ohne Worte abgesprochen. Narie übernimmt Clove, die deutlich gefährlicher ist und Jade übernimmt Cato, in der Hoffnung, dass ihre Wendigkeit ihr bei dem Kampf helfen wird.
Narie stürmt auf Clove zu, weicht dem ersten Messer aus und Clove erkennt, dass es ihr nichts mehr nützen wird, wenn sie ihre Messer wirft. Narie duckt sich unter dem ersten Angriff weg, greift im selben Moment allerdings Cloves Beine an. Diese lässt es sich fast nicht anmerken, dass Naries Messer einen blutenden Schnitt hinterlässt.
»Du und deine kleine Freundin werdet sterben.«, meint sie und grinst fies. Normalerweise ist das ihre Taktik Gegner abzulenken, aber Narie lässt sich davon nicht beeindrucken und bleibt so konzentriert wie sie vorher war.

Jade hat schon deutlich mehr Schwierigkeiten. Sie schafft es Cato auszuweichen, kann aber keinen Gegenangriff starten. Immer wieder schlägt Cato auf sie ein und sie kann sich gerade noch retten.

Mit Cloves nächstem Angriff entsteht ein blutender Schnitt auf Naries Wange. Sie sieht kurz zu Jade und kann gerade noch erkennen, wie Cato sein Schwert mitten in ihren Bauch rammt. Jade schreit unter Schmerzen auf und Narie wird schrecklich wütend. Sie schmeißt ein Messer nach Cato, welcher nicht schnell genug ausweichen kann und Naries Messer in den Bauch bekommt. Geschockt sieht er zu ihr. Hätte sie ein wenig besser gezielt, dann wäre er höchstwahrscheinlich in den nächsten Stunden verblutet. Den nächsten Angriff bekommt Clove ab, sie bekommt eine tiefe Wunde an ihrem Unterarm, die nächste ist gefährlich nah an ihrem Hals. Wie in Trance greift Narie an und schafft es den beiden einige Wunden zuzufügen. Sie selber bekommt auch ein paar Kratzer ab, teilweise recht stark blutend, aber realisiert das im Moment nicht.
Cato und Clove sehen sich einen Moment lang an und ergreifen dann schnell die Flucht. Ihnen ist bewusst, dass es für sie gefährlich wäre noch weiterhin hier zu bleiben. Sie hoffen innerlich, dass die Wunden die sie Narie zugefügt hatten dafür sorgen, dass sie verblutet. Sie selber haben genug zum Verbinden bei sich in der Vorratspyramide, aber ob Narie etwas hat?
Narie eilt zu Jade als ihr bewusst wird, dass die Karrieros weg sind. Obwohl sie schon gewusst hatte, dass diese Begegnung mit den Karrieros nicht gut enden wird steigen ihr Tränen in die Augen. Es ist wie damals mit ihrem Bruder. Dieser wurde für die Hungerspiele ausgelost und ist gestorben. Jades Augen haben den Glanz verloren und panisch drückt Narie ihre Hände auf Jades Bauch, so als würde sie damit die Wunde schließen können. Doch auch sie merkt, dass es zwecklos ist und hält lieber ihre eigenen Wunden zu.
»Narie.«, flüstert Jade schwach und erschrickt leicht bei dem Anblick des blutenden Mädchens. Aus dem Schnitt an ihrer Wange fließt recht viel Blut und das lässt Narie aussehen, als wäre sie schon halb tot.
»Es tut mir so Leid.«, murmelt Narie und sinkt auf die Knie. Jade greift nach ihrer Hand. Beiden Mädchen ist bewusst, dass Jade nicht mehr viel Zeit bleibt.
»Es ist okay.«, meint Jade und auch ihr steigen Tränen in die Augen.
»Ich glaube an dich. Du kannst gewinnen. Und wenn du das schaffst, dann sag meinen Eltern, dass es mir leid tut und das ich sie Liebe.«, flüstert Jade und Narie merkt, dass der Griff um ihre Hand immer schwächer wird.
»Ich verspreche es dir.«, antwortet sie nur und die Tränen vermischen sich mit dem Blut auf ihrer Wange. Doch das ist Narie egal. Sie wird bei Jade bleiben, bis zu ihrem letzten Atemzug, bis sie nicht mehr auf dieser Welt ist. Das ist sie ihr schuldig.
»Ich...hab...dich...lieb.«, presst Jade heraus, dann erstarrt sie. Ihre kalten Augen starren in den Himmel.
»Nein, nein, nein.«, murmelt Narie immer wieder wahnsinnig vor sich hin. Schnell greift sie nach Jades Handgelenk und sucht den Puls, doch sie findet keinen. Jade ist tot. Die Kanone ertönt.

Fighter || Hunger GamesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt