Kapitel 11

1.4K 65 4
                                    


11

Weinend lehnt sich Narie über Jades leblosen Körper. Sie hat ihr Versprechen gebrochen, sie konnte Jade nicht retten. Sie hat versagt. Mit einem wütenden Aufschrei schleudert sie eines von Cloves Messern in einen der umstehenden Bäume wo es stecken bleibt. Dann beginnt sie hysterisch zu weinen. Sie weint, als könnte sie Jade so zurück holen, doch es geht nicht. Jade ist für immer von ihr gegangen, sie hat sie alleine gelassen. Narie weiß, dass sie Jades Leiche eigentlich verlassen müsste, damit das Hoverkraft sie abholen kann, doch sie bringt es nicht übers Herz.

Blight sitzt in diesem Moment geschockt vor dem Bildschirm und richtet seinen Blick auf das was sich in der Arena abspielt. Finnick und Johanna sitzen mit ihm gemeinsam dort, Finnicks Tribute sind beide tot. Nicht einmal Blight, Naries bestem Freund, war bewusst, dass Narie zu solchen Ausbrüchen fähig war. Doch die drei Mentoren sind sich einig, dass die Arena Narie gebrochen hat. Selbst jemand so starkes wie Narie schafft es nicht all das zu verarbeiten.
»Wird sie damit fertig werden?«, fragt Finnick, der Narie wohl noch am wenigsten kennt. Blight sieht zu ihm.
»Sie musste mit ansehen wie ihr Bruder ermordet wurde, ich denke schon.«, gibt er zurück und betet innerlich dass seine Worte der Wahrheit entsprechen. Aber sicher ist er sich dabei nicht.
»Und trotzdem schafft sie es so stark zu bleiben?«, überrascht sieht Finnick ihn an. Traurig nickt Blight.
»Ja, sie musste.«, meint er nur und sieht weiterhin auf den Bildschirm, obwohl er sich damit selber noch quält. Fragend sieht Finnick zu ihm.
»Als ihr Bruder nicht aus den Spielen zurück kam, da musste sie die Familie ernähren. Ihr Vater wurde Alkoholiker, sie musste an seine Stelle treten.«, erklärt er ihm, dann dreht er sich widerwillig zum Bildschirm. Betreten wechseln Finnick und Johanna noch einen Blick, dann richten sie ihren Bick wieder auf den Bildschirm.

Narie legt zwei Finger auf Jades Lider und schließt ihre Augen. Sie überlegt, was sie machen kann um Jade die letzte Ehre zu erweisen, um zu zeigen, dass Jade ihr nicht egal ist, dass sie so etwas nicht verdient hat. Ihr Blick fällt auf ein paar Blumen auf einem Stück Gras. Und sofort weiß sie es. Sie steht auf und läuft wie gebannt auf die Wiese zu. Dort stechen ihr sofort ein paar blaue Blumen in die Augen. Sie pflückt ein paar und richtet alles zu einem Blumenstrauß her. Bei Jade angekommen legt sie ihre Hände auf die Wunde auf dem Bauch und steckt den Blumenstrauß darunter. Sie steht wieder auf. Narie sucht nach einer Kamera. Als sie eine gefunden hat küsst sie die drei mittleren Finger ihrer Hand und streckt sie der Kamera entgegen. Diese Geste bedeutet, dass man sich von einem geliebten Menschen verabschiedet. In Distrikt 7 bedeutet diese Geste sehr viel, im Kapitol wahrscheinlich nicht. Doch so drückt Narie ihre Anteilnahme aus, zeigt den Bewohnern aus Distrikt 9 dass sie in Gedanken bei ihnen ist.
Mit einem letzten Blick auf Jade dreht Narie sich um, zieht das Messer aus dem Baum und läuft in Richtung des Flusses. Ihr ist bewusst, dass sie blutet, aber sie kann sich nicht helfen. In ihrem Rucksack sind keine Verbandssachen, sie hat keine Chance die Blutungen zu stillen. Viele der Kratzer haben schon von selber aufgehört zu bluten, da sie nicht besonders tief waren, aber ein paar der Schnitte bluten wie verrückt. Aber Narie hat Glück. Normalerweise verläuft ein Aufeinandertreffen mit den Karrieros nicht so. Normalerweise schaffen es die Tribute nicht einmal sich zu wehren.
Narie spürt, wie es ihr von Minute zu Minute schlechter geht, trotzdem läuft sie mit gespanntem Bogen weiter in Richtung Fluss. Sie muss dringend ihre Wasserflasche auffüllen und vielleicht schafft sie es ja sogar sich etwas von dem Blut zu befreien, welches allerdings immer weiter aus den Wunden läuft und immer weiter ihre Kleidung durchnässt. Plötzlich knallt es. Sie schreckt auf und zieht instinktiv einen Pfeil aus dem Köcher. Narie braucht nicht lange um zu realisieren, dass es die Kanone war. Ein weiterer toter Tribut. Sie läuft weiter. Ihre Schritte werden immer schwerer, sie hingegen geht immer langsamer. Als ihre Schuhe den harten Stein des Flusses berühren seufzt sie erleichtert. Vielleicht ist es genau das, was sie jetzt braucht. Eine Umgebung die sie nicht an den Ort von Jades Tod erinnert. Auf dem Boden entdeckt sie plötzlich Blut. Viel Blut. Schnell sieht sie sich wieder um, dreht sich ein Mal um ihre eigene Achse. Narie sieht etwas in der Ferne. Eine schwarze Jacke und blonde Haare. Sie zögert kurz, doch dann läuft sie vorsichtig los. Sie muss wissen wer dort liegt, muss wissen ob es womöglich sogar Cato ist, oder doch Peeta. Die Steine sind rutschig und Narie muss aufpassen, dass sie nicht ausrutscht und sich noch mehr tut. Ihre Knie zittern, aber trotzdem will sie wissen wer dort am Boden liegt. Es kommt keine Regung der Person, deshalb glaubt Narie, dass die Kanone dem leblosen Körper vor ihr gewidmet war. Nach einiger Zeit kommt Narie bei dem Körper an. Sie ist froh, dass sie es geschafft hatte ohne sich noch weiter zu verletzten, trotzdem sie beinahe mehrere Male gestolpert war, weil ihre Füße nicht so wollen wie sie. Vorsichtig tritt sie an den Jungen heran. Es ist Peeta. Narie beugt sich herunter und sucht nach seinem Puls. Doch vergeblich. Peeta ist tot. Sie glaubt nicht, dass Katniss besonders hart von seinem Tod getroffen sein wird, denn soweit sie das beurteilen kann waren die Gefühle nur von seiner Seite aus. Aber für das Kapitol mag das eine dramatische Wendung sein, sie werden wie gefesselt vor den Bildschirmen hocken und Katniss Gesicht in Großaufnahme ansehen.
Schnell dreht Narie um. Jetzt wo sie Peeta gesehen hatte möchte sie nicht mehr am Fluss bleiben, nicht dort wo noch jemand gestorben ist. Narie ist sich sicher, dass ein Hoverkraft Jades Leiche abgeholt haben muss, also läuft sie zurück in die Richtung aus der sie gekommen war. Doch sobald sie den Wald erreicht steuert sie direkt auf einen Baum zu. Die Wunde an ihrem Bein macht ihr ziemlich zu schaffen. Mittlerweile hat so ziemlich jede Wunde bis auf die im Gesicht, am Handgelenk und am Bein aufgehört zu bluten. Doch diese drei Wunden sind besonders tief. Narie presst die Hand auf ihren Arm, als glaube sie, dass sie die Blutung damit stoppen könne. Doch auch ihr ist bewusst, dass das alles nichts bringt. Sie stützt sich an dem großen Stamm des Baumes ab, vor ihr verschwimmt alles. Wenn sie nicht schnell etwas findet um die Blutung zu stoppen, dann wird sie verbluten. Oder zusammenbrechen und von Anderen Tributen getötet. Aber egal was es ist, sie wird sterben.
Narie läuft weiter. Sie muss es an einen sicheren Ort schaffen. Die Bäume hier bieten ihr keinen Schutz. Ihr Blick verschwimmt erneut. Sie bleibt stehen und versucht sich weiter zu orientieren. Wo bin ich? War ich vorhin schon hier? Ein Schritt, dann noch einer. Schließlich geben ihre Beine nach und sie sinkt zu Boden. Narie versucht weiter zu krabbeln, will nicht kampflos aufgeben. Sie will es nicht hinnehmen dass sie einfach so verblutet. Schließlich hat sie Jade versprochen, dass sie für sie gewinnen wird. Sie krabbelt noch einen Schritt, hinterlässt eine Blutspur auf dem Boden. Dann verschwimmt alles und die Welt um sie herum wird dunkel... Nur am Rande bekommt sie mit, wie Schritte auf sie zu steuern. Sie kann ihre Augen nicht öffnen und ihr Körper gehorcht ihr nicht. Verzweifelt versucht Narie etwas um sich herum wahr zu nehmen, aber dann ist alles weg...

Blight starrt geschockt auf den Bildschirm. Seit dem Augenblick als sie gegen die Karrieros gekämpft hatte, hat Blight Angst. Er weiß nicht, ob sie es schaffen wird. Aber die Tatsache, dass sie blutend vor seinen Augen zusammen gebrochen ist, ist eigentlich schon Antwort genug. Wütend sieht Blight wie Cato und Clove sich gegenseitig verbinden, mit den Sachen aus der Pyramide. Die Karrieros hatten sich heute aufgeteilt. Marvel und der Junge aus Distrikt 3 waren in den Wald gegangen, Cato und Clove blieben am Füllhorn. Beide der Karrieros hatten sich einen Rucksack zusammen gepackt, mit allem was wichtig sein könnte und waren dann in verschiedene Richtungen losgezogen. Wenn Narie dort so schutzlos am Boden liegt, dann ist es nur eine Frage der Zeit bis einer der beiden Karrieros sie finden und töten wird. Auf dem Bildschirm sehen sie, dass Marvel, der Junge aus Distrikt 1 direkt in Naries Nähe ist und immer weiter auf sie zusteuert. Blight atmet erschrocken aus.
Doch dann passiert etwas das die drei Mentoren noch verwirrter und geschockter macht. Einer der Karrieros tritt zwischen den Bäumen hervor. Sein Blick fällt auf die am Boden liegende Narie und sofort geht er auf sie zu. Vorsichtig beugt er sich zu ihr hinunter und dreht sie auf den Rücken. Auf seinem Gesicht erscheint ein geschockter Ausdruck, als er Naries blutverschmierte Kleidung entdeckt. Er berührt die Jacke und sieht dann seine Finger an um sich zu vergewissern dass das Blut frisch ist. Vorsichtig zieht er ihr Rucksack und Köcher aus, damit sie gerade auf dem Boden liegt. Er beginnt die Wunden zu suchen und schnell hat er drei Wunden gefunden. Am Oberschenkel, am Unterarm und am Handgelenk. Schnell vergrößert er die Löcher in der Kleidung damit er besser an die Wunden heran kommt. Mit einem Tuch beginnt er die Schnitte etwas zu säubern. Da allerdings immer wieder neues Blut nach fließt gibt er es schnell auf und gibt auf jeden Schnitt etwas Creme. Durch die Creme, ein Sponsorengeschenk, verschließen sich die Schnitte relativ schnell und hören auf zu bluten. Die Creme war eigentlich für ihn bestimmt und er verbraucht fast alles für Naries Schnitte sodass er selber nicht mehr als eine kleine Schramme eincremen könnte. Er trägt eine zweite Schicht der Creme auf bevor er die Wunden vorsichtig mit einem Verband verbindet. Die drei Mentoren gucken nur geschockt auf das, was sich vor deren Augen abspielt. Sie fragen sich alle, was mit diesem Karriero los ist, finden aber keine Erklärung. Aufmerksam sieht er sich um und sein Blick fällt auf einen Busch ganz in der Nähe. Etwas anderes bleibt ihm nicht über, er kann nicht hier bei ihr bleiben. Sobald sie aufwacht wird sie ihn töten. Und die anderen Karrieros werden ihn mit Sicherheit suchen, sodass er spätestens dann ein ernsthaftes Problem haben wird. Er hebt das bewusstlose Mädchen vorsichtig hoch und legt sie in den Busch. Dort sollte sie vor Angreifern geschützt sein, denn sie wirkt durch den Busch fast unsichtbar. Nur wenn man ganz genau hin guckt kann man ein kleines bisschen sehen. Schnell legt er ihre Waffen neben sie und kehrt dann mit einem letzten Blick über die Schulter zu den Karrieros zurück wo er sogleich von Clove erwartet wird.

Fighter || Hunger GamesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt