Kapitel 23

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Sie sieht nicht auf, als sich ein paar warme Arme um ihren Körper schlingen, denn sie weiß, dass es Blight ist. Sie hatte gesehen, wie er aufgestanden ist, als Narie die Bühne verlassen hat.
»Hey, hör auf zu weinen.«, murmelt er in ihr Haar und langsam beruhigt sich Narie wieder. Vorsichtig schaut sie auf. Marvel steht ihr gegenüber an der Wand, muss augenscheinlich auch mit seinen Tränen kämpfen. Direkt vor Blight und Narie, welche immer noch auf dem Boden knien stehen Finnick und Haymitch. Sie weiß nicht wieso sie mit Haymitch nun einen weiteren Mentor hat welcher ständig bei ihr hockt, sie hat schließlich schon Blight und Finnick, doch es ist ihr egal. Sie mag Haymitch und außerdem kann seine Erfahrung mit dem Kapitol ganz nützlich sein. Schließlich war Haymitch damals genau wie sie. Er mochte das Kapitol auch nicht, er tut es heute ebenso wenig, außer vielleicht das Geld mit dem er sich seinen Alkohol kaufen kann. Sanft steht Blight auf und geht kurz zu Marvel. Narie interessiert es noch nicht ein Mal worüber die beiden reden. Sie schreckt auf, als sie vorsichtig an beiden Seiten berührt wird und Finnick ihr hoch hilft. Im selben Moment legt er ihr eine Jacke um die Schultern. Eine graue Kapuzenjacke.
»Nicht hier, nicht wo dich alle sehen können.«, murmelt er und wischt ihr etwas von ihrer verschmierten Schminke aus dem Gesicht. Sie sieht ihn an.
»Dann bring mich weg.«, sagt sie genau in dem Moment als sie die wütenden Stimmen von Cashmere und Gloss hört. Es entsteht ein großer Streit in den sich auch Haymitch und Blight einmischen, doch das alles will Narie gar nicht hören. Sie will nur von hier weg, will sich verstecken und ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Sie achtet nicht auf den Weg, sie spürt nur Finnicks warme Hand auf ihrem Rücken und vertraut darauf, dass er sie sicher hier weg bringt. Die erste Hälfte des Weges können beide ohne Schwierigkeiten gehen, doch dann kommt Enobaria, gefolgt von Brutus auf sie zu. Finnick bereitet sich schon darauf vor Narie zu verteidigen, denn ihm ist bewusst, dass die beiden Mentoren aus Distrikt 2 sicherlich nicht hier sind um Narie ihr Beileid auszusprechen.
»Finnick, also wirklich. Jetzt sogar schon andere Sieger?«, gibt Enobaria jedoch zu Finnicks Verwunderung abfällig von sich und einen kurzen Moment lang ist er sprachlos. Natürlich weiß er worauf Enobaria anspielt. Sie spielt auf seine zahlreichen Affären und Liebschaften an, allerdings weiß sie nicht, dass er von Präsident Snow dazu gezwungen wird.
»Enobaria halt die Klappe.«, zischt er nur zwischen zusammengepressten Zähnen. Die Siegerin vor ihm beginnt zu lächeln wobei man ihre angespitzten Zähne sieht.
»Ich weiß gar nicht wo dein Problem liegt, Odair. Es ist doch nur die Wahrheit. Aber hättest du dir nicht lieber eine suchen können, die, nun ja, nicht so labil ist?«, abfällig sieht sie Narie an, welche bei den Worten labil aufsieht. Allerdings fließen keine Tränen mehr aus ihren Augen, nein. Naries Augen sind voller Hass. Auch Finnick scheint zu spüren, wie sich Narie anspannt und überlegt schnell wie er die Situation entschärfen kann.
»Ich zeige dir gleich wer hier labil ist!«, Naries Stimme klingt erstaunlich sicher und scharf, so dass Finnick sich einen Moment fragt wie sie das hinbekommt. Ein Funken Überraschung spielt in Enobarias Blick mit, doch dann wird sie wieder so angriffslustig wie zuvor.
»Wie willst du das denn machen, wenn du ständig heulst wie ein kleines Mädchen?«, fragt sie und zieht gespielt erstaunt eine Augenbraue hoch.
»Du hast ja keine Ahnung.«, zischt Narie ihr zurück und tritt einen Schritt näher auf die braunhaarige Siegerin zu.
»Ach ist das so? Soll ich dir etwas sagen? Du hast den Sieg nicht verdient. Du bist ein kleines, gebrechliches Mädchen und du trauerst immer noch um deine Verbündeten, die mindestens genau so schwach waren wie du.«, bedrohlich baut sich Enobaria vor Narie auf. Enobaria hasst Narie. Erst muss sie sich ständig von Marvel retten lassen, dann tötet sie Cato und dann ist sie nicht ein Mal stolz darauf eine Siegerin zu sein. Narie kocht vor Wut. Was erlaubt sie sich eigentlich?! Noch bevor einer der anderen dazwischengehen kann ballt Narie ihre Hand zu einer Faust und schlägt Enobaria mit dieser mitten ins Gesicht. Es knackt kurz und sofort strömt das Blut aus ihrer Nase während sie noch nach hinten taumelt. Erschrocken sieht Enobaria sie an. Wahrscheinlich hatte sie Narie einen so festen Schlag gar nicht zugetraut. Brutus drückt sich an Enobaria vorbei und will Narie gerade angreifen, als sich Finnick schnell vor sie stellt. »Ich glaube es ist besser wenn wir jetzt gehen.«, meint er und behält Brutus im Auge, während er Narie weiter in Richtung der Fahrstühle schiebt. Brutus beschließt, dass es wohl besser ist, wenn er sich dort nicht einmischt, außerdem geht es ihn eigentlich nichts an, also lässt er die beiden Sieger kommentarlos gehen und hilft dann Enobaria.
»Netter Schlag.«, kommentiert Finnick das Ganze nur, denn er weiß wie leicht man Narie gerade reizen kann.
»Und dafür hab ich jetzt ihr Blut an den Händen.«, meint Narie nur angewidert und wischt ihre Faust schnell an ihrem Kleid ab.
»Morgen ist die Siegerehrung und danach kommst du hier weg, halt noch ein bisschen durch.«, die Aufzugtüren schließen sich hinter Finnick und Narie spürt, dass sie schnell nach oben fahren. Sie sieht zu ihm.
»Und? Ich bin jetzt ein Mentor. Jedes Jahr werden sie mich wieder ins Kapitol bringen, damit ich sehen kann wie meine Schützlinge sterben. Das ist ein Teufelskreis aus dem ich nie wieder rauskomme!«, fährt sie ihn an. Finnick bläst kurz die Wangen auf, doch dann lässt er die Luft wieder aus ihnen heraus.
»Du hast ja Recht... aber du hast Blight, Johanna, Marvel, Haymitch und mich. Wir unterstützen dich.«, meint er dann und lächelt sie leicht an.
»Wieso gerade Haymitch und dich?«, fragt Narie dann jedoch die Frage, welche sie schon lange interessiert. Sie ist glücklich darüber in Finnick einen guten Freund gefunden zu haben, doch sie wundert sich auch, woher Finnicks plötzliches Interesse an ihr kommt, auch vor den Spielen schon.
»Als dein Name gezogen wurde wusste ich sofort wer du bist, schließlich hat Blight ständig über dich geredet. Zum einen wollte ich dich persönlich kennen lernen, zum anderen denke ich, dass du das Zeug dazu hast wirklich was zu verändern. Du könntest es wirklich schaffen.«, meint er. Die Türen des Aufzugs öffnen sich und obwohl Narie eigentlich fragen wollte was Finnick damit meint, dass sie etwas verändern könne, lässt sie es und geht stumm in ihr Zimmer, während Finnick es sich auf dem Sofa des Distrikt-7-Appartements gemütlich macht. Schließlich müssten Blight und Johanna auch gleich kommen, dann kann er einen gemütlichen Abend mit den beiden verbringen. Doch als sich die Türen des Aufzugs erneut öffnen und Haymitch mit einem ernsten Gesichtsausdruck hinter den beiden Mentoren herauskommt realisiert auch Finnick, dass wohl doch nichts daraus wird. Innerlich stöhnt er genervt auf.
»Das schreit geradezu nach einem lustigen Abend.«, entgegnet dieser sarkastisch und setzt sich gerade auf das Sofa.
»Ich hole Narie.«, Blight geht geradewegs auf ihr Zimmer zu in welchem sie vor wenigen Minuten verschwunden ist.
»Wir haben ein echtes Problem.«, meint Haymitch, dann setzt er sich neben Finnick auf das Sofa. Auch wenn Finnick daran gar nicht denken will realisiert er sofort um was es gehen muss. Natürlich, Narie hat die Regeln der Spiele gebrochen, wegen ihrem Handeln gibt es diesmal zwei, statt einem Sieger.
Lustlos reibt sich Narie mit einem Tuch die Schminke aus dem Gesicht. Wieso muss sie für jeden Auftritt so überschminkt werden? Wollen ihre Stylisten sie dadurch älter aussehen lassen? Oder soll Narie gefährlicher wirken? Ihr selber ist aufgefallen, dass ihre Augen durch die dunklen Farben kälter und strahlender wirken, doch ist das eine Eigenschaft die ihr zu gute kommen würde? Narie schreckt auf als Blight leise die Tür öffnet. Er tritt ein und setzt sich auf ihr Bett. Narie entfernt noch schnell den letzten Rest ihres Augen-Make-Ups und dreht sich dann zu ihm. Sachte lächelt er sie an.
»Wir müssen mit dir reden, kommst du mit?«, fragt er vorsichtig und steht auf. Zögerlich nickt sie, auch wenn sie nichts Gutes ahnt. Sie trottet mit Blight zusammen ins Wohnzimmer wo sich schon Finnick, Haymitch und Johanna versammelt haben. Zögerlich lehnt sie sich an die Seite des Sofas, denn sie möchte nicht sitzen. Blight nimmt neben ihr Platz.
»Guter Schlag, Süße.«, schmunzelt Haymitch kurz, doch Narie ist nicht nach Lachen zumute. Ihr ist bewusst, dass sie sich so einen weiteren Feind gemacht hat. Und jedes Jahr aufs Neue wird sie diese Personen wieder sehen, wird Wochen mit ihnen verbringen müssen, im selben Raum. Und welche der Mentoren, außer Finnick, Blight, Marvel und Haymitch stehen hinter ihr? Sie kennt ja niemanden...
»Danke.«, murmelt sie nur und sieht fragend zu Blight und Finnick, in der Hoffnung, dass diese etwas anderes sagen können.
»Nun ja, wir wollen dich gleich schlafen lassen, aber vorher wollten wir noch mit dir reden.«, beginnt Blight und lehnt sich etwas nach vorne.
»Das sagtest du bereits.«, kommentiert Narie nur trocken und sieht weiterhin fragend zu den Mentoren.
»Sie sind nicht zufrieden mit dir.«, beginnt Haymitch.
»Wieso? Weil ich nicht gestorben bin?«, entgegnet sie nur nochmals trocken und streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Weil du sie lächerlich gemacht hast.«, antwortet Haymitch und sieht sie von der Seite aus an.
»Tut mir Leid, es lief eben nicht so wie von ihnen geplant, aber ich bin mit ihnen auch nicht sehr zufrieden.«, wieder sieht Narie sich emotionslos im Raum um.
»Verdammt Narie! Das ist eine ernste Sache. Nicht nur für dich. Die sind bei so was nicht entspannt.«, fährt Finnick sie nun auch noch an.
»Was soll denn passieren? Sie können die Sieger nicht töten, das würde zu Aufständen führen.« Frustriert atmet Blight auf.
»Es könnte Konsequenzen für Seneca geben.«, wirft Haymitch ein. Naries Blick schnellt zu ihm.
»Soll er doch dran verrecken!«, zischt sie nur mit verengten Augen.
»Er hat so vielen Jugendlichen, teilweise sogar Kindern das Leben genommen. Er hat es nicht anders verdient.«, als sie das sagt, sieht Blight sie erschrocken an.
»Narie... wieso sagst du so etwas? Natürlich ist er ein Monster, aber-«, Blight wird sofort von Narie unterbrochen.
»Nein Blight, kein aber.«, wortlos dreht Narie sich zu Haymitch.
»Sie mochten es nicht, dass du sie im Interview so bloßgestellt hast. Sie wollten, dass du dankbar bist für das, was das Kapitol für dich getan hat.«, fährt Haymitch fort. Spöttisch schnaubt Narie.
»Das Kapitol hat gar nichts für mich getan. Sie hätten mich beinahe umgebracht, mehr nicht.«, sie sieht sich kurz im Raum um. Alle Blicke sind auf sie gerichtet und augenblicklich fühlt sie sich unwohl. Sie sollte eigentlich auf ihre Mentoren hören, schließlich kennen die sich besser mit dem Kapitol aus als sie selber, doch etwas in ihr sträubt sich dagegen. Narie hasst das Kapitol, sie kann nicht so tun als wäre sie dem Kapitol dankbar für irgendwas, denn wäre sie nie in den Spielen gewesen, dann müsste sie das alles hier nicht ertragen.
»Ich gehe dann schlafen, lasst mich morgen früh ausschlafen.«, meint Narie dann noch und dreht sich um. Sie hört noch leises Gemurmel, auch nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen hat, ignoriert das jedoch und macht sich fertig um schlafen zu gehen. Sie bekommt nur am Rande mit, dass die anderen noch im Wohnzimmer sitzen und etwas auf dem riesigen Fernseher gucken, dann schläft sie ein.

Fighter || Hunger GamesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt