Vivien's Sicht:
Entsetzt schaute ich auf meine blutigen Hände. War ich das wirklich selbst gewesen? Ich konnte einfach nicht fassen, dass ich zu soetwas fähig war. Auch meine Füße schmerzten heftig und ich zitterte. So wütend und energiegeladen ich eben auch noch war, jetzt war ich einfach nur noch endlos schwach. Ich konnte mich keinen Centimeter mehr bewegen. Neben mir saß Ben, sanft strich er über meine Stirn und sagte immer wieder beruhigende Worte. Am liebsten hätte ich ihn weggeschubst oder angeschrien, dass er mich in Ruhe lassen soll, aber dafür hatte ich keine Kraft mehr. Außerdem war ich froh, dass es überhaupt noch jemanden gab, der sich um mich kümmerte, sich Sorgen machte, eben ein echter Freund war, unabhängig davon, ob er nun ein Mörder war oder nicht. Katy hatte bestimmt von meinem Wutanfall mitbekommen, doch es war ihr sicherlich egal. Sie kümmerte sich nicht mehr darum wie es mir ging, wieso verstand ich nicht. Ich war auch für sie da gewesen, hatte sie in den Arm genommen, nachdem sie völlig verstört zwischen all den Leichen bei unserer Trauerfeier aufgewacht war. Doch plötzlich wollte sie nichts mehr von uns wissen, uns ihren Freunden. Am liebsten hätte ich jetzt einfach geweint, getrauert, doch alle Gefühle waren wie weggeblasen, mein Kopf war einfach völlig leer, doch gleichzeitig schwirrten tausend Gedanken darin herum. Gedanken die ich nicht verstand, Gedanken, die mir Angst machten. Ich schloss meine Augen und versuchte abzuschalten, alles um mich herum zu vergessen, doch es gelang mir nicht.
Ben wippte nervös mit seinem Fuß hin und her, langsam wurde er ungeduldig. Es war betsimmt schon eine Stunde seit meinem Wutanfall vergangen und ich hatte immernoch kein Wort von mir gegeben, mich nicht einmal bewegt. Trotz dessen, dass Ben allmählich immer nervöser wurde, hörte er nicht auf liebevoll auf mich einzureden. Ich hörte gar nicht genau zu, was er da alles erzählte, doch bei jedem seiner Worte ging es mir besser.
Ich hörte ein lautes Quitschen, jemand hatte die Tür geöffnet. Es war Katy. Sie trat ein und lehnte sich gegen die Wand. Fragend schaute sie Ben an. Ben beachtete sie gar nicht, stattdessen nahm er meine Hand sanft in seine. Ich zuckte zusammen. Seine Hand war eiskalt. Eigentlich wollte ich gar nicht, dass er mich anfasst, ich hatte kein vertrauen mehr gegenüber ihm, geschweige denn gegenüber irgendjemand anderes. Doch ich hatte nicht einmal mehr die Kraft meine Hand wegzuziehen, obwohl ich schon seit einer Stunde versuchte etwas Energie zurück zu gewinnen.
"Die soll sich nicht so anstellen!" sagte Katy genervt und schnippte mit ihren Fingernägeln gegen die Wand. Ben schaute sie böse an und schüttelte enttäuscht den Kopf. Ich wusste genau wie sehr Ben Katys positive, liebevolle und dennoch mutige Art mochte, doch dass sie sich so verändert hatte, konnte er nicht ertragen.
"Geh mal da weg!" keifte Katy und schubste Ben auf den Boden. Dann fing sie an an mir herum zu zerren. "Steh auf! Uns geht es allen schlecht, nicht nur dir!" zischte sie mich an. Ich blieb weiterhin starr liegen und versuchte sie zu ignorieren, ich war sowieso viel zu geschaffen um aufzustehen. Ich schloss die Augen während sie weiterhin an mir rumzerrte. Ich wollte einfach warten, bis sie endlich aufhört und weggeht. Sie schob ihr Fingernägel tief unter meine Haut und es schmertzte sehr, doch es war mir egal. Ich blieb weiterhin völlig ruhig, so als ob das alles garnicht passieren würde. Nach einiger Zeit gab sie tatsächlich auf und ließ von mir ab. Ich war so erleichtert, das ich es sogar fast geschafft hätte zu lächeln, doch meine Mimik blieb wie zuvor, auch wenn ich innerlich große Erleichterung spürte. Doch ich freute mich zu früh. Katy drehte sich noch einmal zu mir um und schlug mir ins Gesicht. Es brannte heftig, doch auch diesmal schrie ich nicht und auch mein Gesichtsausdruck verzerrte sich nicht. Ich hatte es auch nicht anders verdient. Ich hatte Katy vorhin auch geschlagen, wenn auch ausversehen und Ben hatte ich sogar mit voller absicht eine verpasst. Außerdem hatte Katy doch recht. Wieso musste ausgérechnet ich mich so anstellen? Den anderen ging es genauso schlecht wie mir, sie hatten dasselebe erlitten wie ich und Lilly war vielleicht sogar Blind, ihre Situation war doch viel schlimmer als meine. Ich hatte kein Mitleid verdient und eigentlich wollte ich auch keines. Ich wünschte mir einfach, dass wir uns alle versöhnen würden und das hier gemeinsam durchstehen. Doch soweit würde es vermutlich nie kommen.