Zweiundzwanzig

64 11 1
                                    

Ich wurde aus dem Bad gescheucht, bevor ich mich anziehen konnte. Nur mit einem Handtuch bekleidet und meinen Sachen in der Hand lief ich wieder in mein Zimmer. Gerade rechtzeitig, wie es schien. Denn mein Laptop kündigte einen eingehenden Skype – Anruf an. Es war Alexander.
„Interessanter Aufzug, Potterhead, aber du musst dich für mich doch nicht schick machen", stichelte er, sobald ich die Kamera aktiviert hatte.
„Ich hab dich auch lieb."
„Das will ich doch hoffen."
Ich trat von meinem PC zurück und ging zu meinem Bett, das außerhalb der Sichtweite der Kamera lag. Blitzschnell hatte ich mir Unterwäsche und meinen übergroßen Harry – Potter – Pulli übergezogen, dann setzte ich mich wieder vor den Bildschirm.
„Also, was geht in Stuttgart so?"
„Ach, nichts Besonderes, ein toter Unternehmer, der anscheinend seine Stieftochter vergewaltigt hat, und viel zu wenig Schnee", antwortete Alex ohne zu zögern.
Ich lachte auf. „Wollen wir tauschen? Hier stürmt es gerade heftig. Warte..." Vorsichtig nahm ich den Laptop hoch und drehte ihn so, dass Alex auf die weiße Wand außerhalb meines Fensters sehen konnte. Er reagierte angemessen: „Ach du scheiße!"
„Du sagst es. Ich musste vorhin bei dem Wetter einkaufen gehen."
„Letzte Weihnachtseinkäufe?" Alex zwinkerte mir zu. Er war dabei, als ich Geschenke für meine Freunde und Familie gekauft hatte. Und spätestens nach seinem Geschenk war ich pleite. Ich hatte ihm eine Funko gekauft, und zwar eine Harry Potter Figur. Auch wenn er es noch nicht wusste, schließlich war erst Morgen Weihnachten.
Ich schielte zu dem kleinen, schlicht verpackten Päckchen, das ich auf meinem Schreibtisch platziert hatte. Alex' Geschenk für mich. Und Morgen durfte ich es aufmachen.
„Nope. Mein Vater ernährt sich scheinbar nur vom Bringdienst. Weißt du, was ich in seinem Kühlschrank gefunden habe? Ein Glas Wasabi, Knoblauch und Bier ohne Alkohol und Gluten. Von Nutella keine Spur."
„Lass mich raten: Jetzt hat es mindestens fünf Gläser da", meinte Alex und zwinkerte mir zu.
„Was denkst du von mir? Es sind acht!"
Es war nur eines.
„Lenny?" Ben erschien in meiner Tür.
„Kannst du mir Star Wars anmachen?", fragte er und machte dabei so niedliche Kulleraugen, dass ich einfach aufstehen musste.
„Klar."

Wenig später setzte ich mich wieder auf meinen Schreibtischstuhl, begleitet von Alex' hochgezogener Augenbraue?
„Was?"
„Du hast keine Hose an."
„Ach, echt?"
„Ich mag den Pulli", sagte er plötzlich aus dem Nichts heraus.
„Ähm, danke?"
Er zwinkerte. „Gerne."
Ich rieb mir müde mit beiden Händen über das Gesicht. Letzte Nacht hatte ich nicht sonderlich viel Schlaf abbekommen, und das ‚Durch den Schneesturm kämpfen' hatte mich erschöpft. Außerdem war mir kalt. Sehr kalt. Entschlossen angelte ich mir die Decke von meinem Bett und wickelte mich darin ein, während Alex mein Gezapple schmunzelnd ansah.
„Hey, Len?"
„Ja?"
„Was machst du an deinem Geburtstag?"
Ach ja, mein Geburtstag. Der sechzehnte Februar, der Tag, an dem ich endlich alleine Auto fahren durfte.
„Keine Ahnung, sind ja noch fast zwei Monate. Außerdem hast du vor mir Geburtstag. Was machst du?"
Dreizehnter Januar. Praktischerweise fiel dieser auf einen Freitag. Ja, ich mochte das Jahr 2017, alleine weil ich Alex aufziehen konnte.
„An einem Freitag den dreizehnten kann man nicht viel machen."
Stille.
„Heute war so eine komische Frau da, die sagte, sie wäre die Ärztin meines Vaters. Ich kenne sie nicht, und ich wüsste nicht, weshalb sie zu ihm nach Hause kommt. Er sieht nicht so aus, als hätte er eine schlimme Krankheit", sagte ich schließlich.
„Du denkst, er hat was mir ihr." Keine Frage, eine Feststellung.
„Ja. Wozu sollte sie denn sonst kommen?"
„Und was ist so schlimm daran?"
Was war so schlimm daran? Vielleicht, dass ich dachte, er könne mich so vernachlässigen?
Ist ja nicht so, als hättest du ihn in letzter Zeit oft angerufen.
Vielleicht, weil ich einfach nicht teilen wollte. Mit niemandem. Ich wollte meinen Vater nicht teilen, ich wollte Alex nicht teilen, nicht einmal Ben wollte ich teilen. Vielleicht war ich ja ein schlechter Mensch. Aber das war nun mal meine Natur, dafür konnte ich nichts.
Oder?
„Ich will nicht teilen."
Bevor Alex antworten konnte, kam Papa in mein Zimmer.
„Es gibt Essen. Kommst du?"
Ich nickte, dann drehte ich mich wieder zu Alex und verabschiedete mich ordnungsgemäß. Es wurde Zeit, meinem Vater ein paar Fragen zu stellen.

PennerlookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt