Man hörte, wie die Wohnungstür geöffnet wurde. Gleich darauf erreichte der Geruch nach Fast Food das Wohnzimmer, in dem Ben und ich waren. Mein kleiner Bruder schaltete den Fernseher aus, und die Brotpiloten verstummten. Endlich, ich konnte deren hysterisches, überaus unlustiges Gealber nicht mehr hören.
„Ich muss nachher wieder los und habe keine Zeit zu kochen. Also war ich schnell bei McDonalds", verkündete mein Vater stolz, als hätte er soeben einen Eintausendmeterlauf hinter sich.
Auch wenn Junk Food das genaue Gegenteil darstellte.
Der Reihe nach breitete er alles auf dem Esstisch aus. Ein 1955er Menü für mich, ein Happy Meal für Ben und Pommes und einen Milchshake für Papa.
„Und, was habt ihr heute so gemacht?"
„Ich musste Nickelodeon gucken. Was gibt's schlimmeres?", stöhnte ich und biss in meinen Burger. Mir war gar nicht bewusst, wie hungrig ich war. Mein Vater hatte nicht einmal Schokolade im Haus. Oder Bananen. Ein Apfel hätte mir ja schon genügt! Aber im Kühlschrank stand nur ein Glas Wasabi, Knoblauch und alkohol- und glutenfreies Bier.
„Kann ich später einkaufen gehen? Hier gibt es zwar eine große Auswahl an Speisen, aber zwischen Nichts und Nichts kann ich mich einfach nicht entscheiden", stichelte ich lächelnd und aß meinen Burger weiter. Etwas, das mich an Fast Food störte? Wenn man den Burger einmal, ein einziges Mal aus der Hand legte, konnte man ihn mit der Gabel weiteressen.
„Klar. Ich lasse dir Geld da. Aber unter einer Bedingung: Du kaufst auch Salat und keine fünf Gläser Nutella. Und du kochst heute Abend."
„Deal. Du musst mir nur sagen, wo der nächste Supermarkt ist."
Während ich den Weg beschrieben bekam musste ich mitansehen, wie eine arme Fritte in den Erdbeer – Shake getaucht wurde.
„Das Ding ist schon tot, Paps, das musst du nicht auch noch in etwas vollkommen unpassendem ertränken."„Ich hasse Berlin", grummelte ich so leise, das nur ich es hören konnte und zog meine Jacke über meine Hände. Es schneite. Nein, es stürmte. Und wie es stürmte. Natürlich waren nur wenige Menschen auf der Straße, und die meisten beschwerten sich über weggeflogene Regenschirme.
Wozu denn, wenn es schneit?
Dank des Schneefalls konnte ich kaum die Hand vor Augen sehen, und ich musste noch einen Norma finden. Mühsam und zitternd, aber todesmutig stapfte ich die verlassene Straße entlang, auf der Mission, Essen zu kaufen.
Es wäre ein Wunder, wenn ich am nächsten Tag noch gesund wäre. Denn meine Haare klebten klatschnass an meinen Wangen, meine Wimpern hatten mit Schneeflocken zu kämpfen und meine Jeans war langsam aber sicher durchweicht. Ich musste aussehen, als wäre ich ein Yeti. Oder ein Eisbär. Irgendwas in diese Richtung.
Eine Leuchtreklame erlöste mich von meinem Leid. Ich hatte den Supermarkt gefunden!
Wenig später befand ich mich im Trockenen, während draußen der Wintersturm weitertobte. Mir war kalt, meine Haare mussten Aussehen wie ein nasses Vogelnest und meine Jeans war noch schwärzer als zuvor, nachdem der Schnee endgültig geschmolzen war.
Ich hasste Winter. Und Norma. Mal ehrlich, jede Filiale ist ungefähr so geordnet wie... nun ja, wie die Menschen in New York bei einem Stromausfall. Also gar nicht. Tatsächlich brauchte ich geschlagene fünf Minuten, um das Nutella zu finden, mein erstes Ziel. Brot und alle möglichen Belege und Aufstriche, die ich haben wollte, waren leichter zu finden, ebenso wie Salat.
Für Kekse und Schokolade brauchte ich wieder ein halbes Jahrzehnt, und durch die Scheibe am Eingang konnte ich hindurchsehen – allerdings sah ich nichts außer einer weißen Wand.
Verflucht seist du, Winter.Bibbernd kam ich zuhause an und stellte die Einkäufe, die ich geistesgegenwärtig in einer Gefriertasche aus Plastik transportiert hatte, auf die Arbeitsfläche in der Küche. Mit bebenden Händen wies ich Ben an, alles auszupacken, bevor ich mich steif in die Richtung meines Zimmers begab. Ich wollte nur noch ein ausgiebiges Bad nehmen. Und ich hatte es mir verdient. Die Weihnachtseinkäufe hatte ich schon vor den Ferien erledigt, und gerade hatte ich mir mit einem Schneesturm ein Rennen durch Berlin geliefert. Der Sturm hatte gewonnen, ein weiterer Punk auf meiner ‚Warum du ein Bad brauchst' – Liste. Doch das Wasser brauchte, um die Wanne zu füllen, also setzte ich mich inklusive meiner klammen Kleider auf den Toilettendeckel und wollte gerade einen von Bens LTBs in die Hand nehmen, als es an der Tür klingelte.
Mühsam hievte ich mich hoch, öffnete. Vor mir stand eine kleine Blondine in den Dreißigern, die neugierig und ein wenig mitleidig zu mir hochsah.
„Du bist Bernds Tochter, richtig?"
„Ja. Und Sie sind...?" Seine Affäre?
„Seine Ärztin. Sag mal, wo ist er gerade? Arbeitet er?"
Ärztin? Seit wann bekommt man von Ärzten Besuch?
„Schätze schon. Warum?"
Nicht, dass ich misstrauisch war – okay, ich war misstrauisch, vor allem wegen dem Mitleid in ihrem Blick. Als wüsste sie etwas, das ich nicht wusste.
Ich mochte sie nicht. Ganz einfach.
„Nun, wir haben etwas zu besprechen, aber das kann bis heute Abend warten. Sag ihm bitte, das ich da war, ja?" Mit diesen Worten verschwand sie im Treppenhaus. Ich sah ihr nach, bis das Klappern ihrer Absätze nicht mehr zu hören war.
Und ich kannte nicht einmal ihren Namen.
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Pennerlook
Teen FictionEigentlich mag Helen ihr Leben. Gut, sie mag die Art, wie sie es lebt. Als würde sie kaum etwas interessieren, was meist auch der Fall ist. Nur tritt genau das Gegenteil ein, als Alex in ihr Leben stolpert und sie zum ersten Mal merkt, wie schön Ver...