„Da war eine Frau für dich da. Deine Ärztin", sagte ich wie beiläufig, als ich den Tisch abräumte. Mein Vater versteifte sich. Jedoch läutete das Telefon mitten in den Ansatz seiner Antwort.
Er stürzte sich praktisch auf das Ding.
„Ja, hallo?" Pause. „Mhm." Pause. „Ja, ich gebe ihn dir." Mit diesen Worten reichte er Ben das Telefon, der schnell in sein Zimmer flitzte.
„Wer war das?"
„Deine Mutter", seufzte Papa als Antwort und ließ sich in den Sessel fallen. Er schwieg, ignorierte meinen durchdringenden Blick. Das war genau die Sturköpfigkeit, die ich laut meiner Mutter vererbt bekommen hatte. Was mitunter ein Grund für unsere Streitigkeiten war.
„Was verheimlichst du mir, verdammt?!", entfuhr es mir schließlich, als ich die nervtötende Stille nicht mehr aushielt. Mein Vater seufzte.
„Das verstehst du nicht, Helen."
„Ich bin siebzehn, fast achtzehn und somit bald volljährig! Ich verstehe sehr viel mehr als du mir zutraust!"
Schweigen. In diesem Moment hätte ich meinen Vater töten können. Er saß in seinem Sessel und starrte die Wand an. Es war, als würde er mich nicht einmal wahrnehmen. Bis auf das nervöse Klopfen seiner Finger auf dem Leder des Sessels war nichts zu hören. Dabei hatte er keinen Grund, nervös zu sein. Schließlich war ich seine Tochter, und kein fremder Mann mit einer Pistole in der Hand.
Dann machte er endlich den Mund auf: „Ich habe Krebs, Helen. In den Knochen."
Jetzt war es an mir, zu schweigen. Ohne ein Wort zu sagen verarbeitete ich das Gesagte.
Mein Vater hatte Krebs. Er würde höchstwahrscheinlich sterben. Daher der schleppende Gang.
Nur brachte ich Krebspatienten immer mit ausgefallenen Haaren und kaputten Fingernägeln in Verbindung. Ich hatte ‚The fault in our stars' gelesen. Aber Papa hatte keine Glatze, seine Fingernägel waren zwar abgekaut, aber nicht weiter kaputt, und er war nicht so mager wie Augustus in seinen letzten Wochen. Mager, ja, aber kein wandelndes Skelett.
„Warum machst du keine Chemo?", flüsterte ich letztendlich. Während mein Kopf noch alles verarbeitete, war mein Körper mir einen Schritt voraus: Meine Brust hatte sich schmerzlich zusammengezogen und mehr als ein erbärmliches Flüstern bekam ich nicht heraus.
„Es wurde zu spät entdeckt. Erst als ich im Fitnessstudio zusammengebrochen bin wurde ich auf Krebs getestet. In dem Stadium, in dem ich da war, waren die Heilungschancen gleich Null. Die Ärzte gaben mir fünfeinhalb Monate. Das war Anfang August. Jetzt ist es Ende Dezember."
Ich rechnete. August, September, November, Dezember. Das sind vier Monate. Wirklich nur vier. Halt, nein, ich habe Oktober vergessen.
Er würde sterben. Und das bald.
Oh mein Gott.
„Ich werde an Silvester, wenn ihr im Zug nach Hause sitzt, ins Krankenhaus gehen. Und da werde ich... sterben. Ich möchte nicht am Krebs sterben. Ich möchte nicht kämpfen, Helen. So bin ich nicht. Nicht mehr. Ich will einschlafen. Einschlafen und nie wieder aufwachen. Das ist um Welten besser als unter starken Schmerzen zu sterben, findest du nicht?" Er sah noch immer die Wand an.
Eine einzelne Träne lief mir über die Wange und tropfte auf dem Boden. Das kommt von der Müdigkeit, sagte ich mir. Ich weinte nicht. Schließlich gehörte ich nicht zu den Menschen, die trauerten, bevor sie überhaupt einen Grund hatten.
„Deswegen wollte ich ursprünglich nicht, dass ihr zu mir kommt. Ich wusste nicht, in welcher Verfassung ich sein würde. Na ja, ich habe zwar um einiges Abgenommen, aber ich bin kein wandelndes Zombie. Noch nicht. Kannst du es mir verübeln, dass ich nicht wollte, dass ihr mich als Crewmitglied auf The Walking Dead in Erinnerung habt?", scherzte er halbherzig.
„Deine Witze sind scheiße", flüsterte ich zurück und ließ mich auf die Armlehne des Sessels fallen. Dann schlang ich meine zitternden Arme um seinen Hals und drückte meinen Kopf in sein Haar. Mein Vater legte ebenfalls die Arme um mich und drückte mich fest an sich. Gemeinsam starrten wir an die Wand über dem Fernseher, die mir plötzlich ebenfalls ungeheuer interessant vorkam.
Als Ben hereinkam saßen wir noch immer so da, obwohl mein Rücken schmerzte. Wortlos legte er das Telefon auf das Sofa, kletterte auf Papas Schoss und schmiegte sich an uns. Et voila, ein perfekter Familienmoment war geboren. Wann man mal davon absah, dass ein Familienmitglied demnächst sterben würde.Kliiiiiitzekleine Anmerkung: Ich werde dieses Buch be Kapitel 30 plus/minus beenden. Mit einem offenen Ende. Wollt ich nur gesagt haben.
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Pennerlook
Teen FictionEigentlich mag Helen ihr Leben. Gut, sie mag die Art, wie sie es lebt. Als würde sie kaum etwas interessieren, was meist auch der Fall ist. Nur tritt genau das Gegenteil ein, als Alex in ihr Leben stolpert und sie zum ersten Mal merkt, wie schön Ver...