Kapitel 24

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„V-viktor...?", fragte ich vorsichtig nach. „Ja", sagte dieser. Gesehen hatte ich ihn aber noch nicht. Danach herrschte Stille. Ich traute mich nicht mich zu bewegen. Dann räusperte er sich: „D-darf ich... mich... zu dir... s-setzen?", fragte er schüchtern nach. Die sonstige Sicherheit in seiner Stimme war weg. Ich verstand die Welt nicht mehr... Viktor. Der Viktor, der mir so lange die Schule zur Hölle gemacht hat, ist schüchtern mir gegenüber und will sich dann auch noch neben mich setzten? Ich war mehr als verwirrt. Vorsichtig nickte ich. Vielleicht war das nur so ne Verarsche und seine Freunde würden jeden Moment hinter einem Baum hervorspringen.

Viktor setzte sich neben mich, dann herrschte wieder Stille. „W-was willst du von mir?", fragte ich vorsichtig nach. Wahrscheinlich würde ich es gleich bereuen. „I-ich... weiß auch nicht... Normal müsstest du mich hassen, aber man merkt es dir nicht an. Jedes mal sehe ich nur die Angst in deinen Augen. Wahrscheinlich wäre es bei mir nicht anders. Ich bin ein riesen großes Arschloch, dass weiß ich... Normal bin ich gar nicht so...", sagte er. Ich konnte es nicht glauben. Viktor redete so offen mit mir? „Normal bist du nicht...", wiederholte ich seinen letzten Satz. „Ja, ich kann verstehen, wenn du mir das nicht glaubst, aber es stimmt wirklich. Ich war nicht immer so...", begann er. Dann sah er sich nach allen Seiten um und ich traute mich das erste mal ihn anzusehen. Da saß er, der Russe, der eigentlich gar nicht so aussah, als ob er ein Schläger sei. Aber vielleicht war er es auch nicht? Ich schluckte und fragte dann: „Wie warst du denn damals?", fragte ich. „Naja... in meiner Familie ist es nicht immer leicht gewesen. Vielleicht weißt du, dass ich aus Kasachstan komme. Damals als wir hier her kamen war alles super. Wir lebten in Kiel. Doch fast niemand kennt den wahren Grund, warum meine Mutter und ich nach Köln gezogen sind...", antwortet er und ich vernahm ein leichtes Schluchzen. Er weinte? Vor mir? Viktor weinte vor mir, Andre?! Aus einem Reflex heraus umarmte ich ihn von der Seite. Ob ich das gleich bereuen werde? Erst verkrampfte er, doch kurz darauf wurde er lockerer. Ich erinnerte mich daran, dass es bei Jan und mir damals genauso war. Anscheinend war auch er körperliche Nähe nicht mehr gewöhnt. Ich versuchte ihn zu beruhige, indem ich ihm auf dem Rücken auf und ab strich. „Willst du es weiter erzählen?", fragte ich vorsichtig. Er löste sich, wisch sich die Tränen weg und sagte dann: „Wenn das jemand erfährt, mach ich dich fertig!" Dann ging er.

Ich blieb mit offenem Mund sitzen. Was zur Hölle war das gerade? Hatte ich das alles nur geträumt? Ich war verwirrt. Mehr als das. Doch gleichzeitig tat er mir leid. Ich habe an seiner Reaktion auf die Umarmung gespürt, dass er das nicht gewohnt ist, so wie ich es damals war. Und er hatte auch Recht. Ich haste ihn nicht, ich hatte einfach nur Angst vor ihm.

Da es langsam kalt wurde, stand ich auf um mich auf den Heimweg zu machen.


Zuhause angekommen machte ich mir noch ein Toast und setzte mich an meine Hausaufgaben, als ich auch diese erledigt hatte, ging ich hoch in mein Zimmer. Dort sah ich das erste Mal nach langer Zeit auf mein Handy. Eine Nachricht von Melina: ‚Hey Andre, hast du's mit Jan geklärt?' Ich schrieb nichts zurück. Ich wollte nämlich nicht an ihn denken, aber natürlich tat ich es trotzdem.

Nachdem ich geduscht hatte, steckte ich mir Kopfhörer in die Ohren und öffnete Spotify. Dort machte ich eine meiner Playlists an, ich sah nicht mal genau hin, welche. Doch als ich das erste Lied hörte, wusste ich es. Es ertönte: „Say something, I'm giving up on you. I'll be the one, if you want me to. Anywhere, I would've followed you." Warum verdammt erinnerte mich das Lied so sehr an Jan? Langsam und unbemerkt begannen Tränen über mein Gesicht zu Rollen.

Und dann kamst du... ~JandreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt