Skylar
Bis kurz vor Mitternacht bekam ich noch Nachrichten von meinem Bruder, doch ich reagierte nicht drauf. Nennt es zickiges Mädchengehabe oder einfache Sturheit, doch ich hatte einfach keine Lust auf eine Diskussion mit ihm. Als ich dann endlich einschlief war es schon viel zu spät, wenn man bedachte, dass am nächsten Morgen mein erster Arbeitstag beginnen würde.
Wie nicht anders zu erwarten, klingelte der Wecker viel zu früh und viel zu laut. Was würde ich darum geben mich einfach noch einmal umzudrehen und selig weiterzuschlafen... Murrend und mit dem Gefühl tonnenschwere Beine zu haben, hievte ich mich schließlich doch ins Badezimmer und erschrak beim Blick in den Spiegel. Na super. Meinen Kopf schmückte ein wüstes Vogelnest an Haaren, jedoch lenkten meine Augen ganz passabel davon ab. Tiefe Ringe lagen unter ihnen und rundeten das Bild einer verrückten Vogelscheuche perfekt ab. Wie sollte ich daraus nur ein halbwegs akzeptables Erscheinungsbild zaubern?
Nach einer schnellen Dusche und einigen Versuchen mit Abdeckstiften und Concealer, gab ich es schließlich auf, schmiss mich in eines meiner neuen Outfits -eine schwarze Röhrenjeans, zartgrüne Bluse und farblich passende Sneakers- schnappte mir meine Handtasche und was ich noch benötigen könnte und verließ die Wohnung. Hohe Schuhe waren noch nie wirklich mein Ding gewesen, also warum auf Teufel komm raus anderen gefallen wollen, wenn zu einem Outfit auch flache Schuhe passten und diese auch noch viel bequemer und effizienter waren?
Keine zwanzig Minuten später -ich hatte mir ein Taxi gegönnt, da ich wenig Interesse an vollgestopften Bahnen oder Bussen zeigte- stand ich nun vor dem imposanten Hauptgebäude der New York Times. Ich fühlte mich beinahe wie in diesen ganzen Schnulzen, wo die Neue erst mal mit offenem Mund alles bestaunte. Fehlte nur noch, dass mich jemand anrempelte, der sich als ein heißes Arschloch rausstellen und nach einer langen auf und ab Beziehung schließlich mein Traummann werden sollte. Und prompt stieß jemand unsanft gegen mich. „Mach die Augen auf und steh nicht dumm im Weg rum!" Wow, äußerst nett! Kopfschüttelnd sah ich dem älteren Herrn nach. Das war wohl eher nicht mein Traummann! Also straffte ich die Schultern und setzte einen Schritt vor den anderen. Dann wollen wir mal...
~*~
„Und das hier, Miss Green, ist Ihr Schreibtisch.", murmelte mein neuer Redaktionschef und zeigte auf einen durch brusthohe Plastikwände abgetrennten Arbeitsplatz. Nach einer kurzen Begrüßung und einer anschließenden Rundführung durch die wichtigsten Bereiche, standen wir nun in einem großen, hellen Raum. Die eine Seite bestand ausschließlich aus Glas und bot damit einen beeindruckenden Ausblick. Neben meiner gab es hier noch viele weitere Nischen, aus denen schon fleißige Tippgeräusche ertönten.
Ich nickte meinem Chef, Mister Alois, kurz zu und ließ mich dann in den gemütlich wirkenden Bürostuhl fallen. Das war von nun an also mein Arbeitsplatz. Ich freute mich riesig und hatte das Gefühl vor Aufregung zu summen. Neugierig musterte ich alles auf dem Tisch und der seitlichen Ablage, bis mich ein Räuspern zusammenzucken ließ. Ich hatte meinen Chef komplett vergessen und lächelte ihm entschuldigend entgegen. Hoffentlich nahm er mir das nicht krumm und ich hatte nicht an meinem ersten Tag schon einen Sprung ins Fettnäpfchen gemacht!
„Miss Green?" Warum sprach er dauernd meinen Namen mit so einem komischen Unterton aus? Doch bevor ich danach fragen konnte, sprach er auch schon weiter: „Machen Sie sich ruhig mit Ihren Kollegen bekannt und kommen Sie danach in mein Büro. Ich gebe Ihnen dann erste Anweisung und Ihre erste Arbeit." Damit drehte er sich um und lief zu dem Glaskasten am Ende des Raums. Er saß also nicht hier bei uns Schreiberlingen, sondern in einem extra Raum. Was hatte ich auch anderes erwartet?
Etwas nervös strich ich meine feuchten Hände an der Hose ab und stand wieder auf. Sollte ich jetzt einfach zu jemandem hingehen und mich vorstellen? Ich war noch nie gut darin gewesen einfach auf Menschen zuzugehen, beziehungsweise mit völlig Fremden ins Gespräch zu kommen. Mein Herz begann allein bei dem Gedanken daran schon zu rasen und unruhig zuckte mein Blick über die ganzen beschäftigten Köpfe. Ich musste mich jetzt zusammenreißen, schließlich war das hier nicht mehr das Uni-Leben, wo man unliebsamen Situationen irgendwie geschickt ausweichen konnte. Das jetzt war das richtige Arbeits-Leben, ohne Ausflüchte und ohne Platz für ein Mauerblümchen. Also Zähne zusammenbeißen, über den eigenen Schatten springen und einfach jemanden ansprechen!
Doch bevor ich mich auch nur bewegen konnte, brummte plötzlich jemand neben mir: „Der erste Tag ist immer Scheiße!" Überrascht sah ich zu dem kleinen Mann zu meiner Linken. Wie konnte jemand, der aussah, als wäre er frisch aus einem Öko-Magazin gesprungen eine solch tiefe Stimme haben und so verdrießlich gucken? Mit zusammengezogenen Augenbrauen trank er aus einem Pappbecher und zog mit der anderen an den braunen Hosenträgern, die wohl eher dekorative Zwecke erfüllten. Auch wenn seine gesamte Erscheinung mehr als ungewöhnlich war, so mochte ich den Mann, der sein Holzfällerhemd, die Nerd-Brille und die braune Cordhose mit einem unglaublichen Selbstbewusstsein trug, jetzt schon. „Das können Sie laut sagen!", stöhnte ich und wandte mich ihm nun ganz zu, „Ich bin Skylar Green und neu hier."
Seine Augen zuckten zu mir und bekamen sofort einen amüsierten Ausdruck. „Ich bin Tony West und nicht neu hier", er lachte auf, „Und nenn mich doch bitte einfach nur Tony. Ich nehme mal an, dass ich maximal ein paar Jahre älter bin, als du. Also warum sich durch das Siezen unnötig alt wirken lassen?" Jetzt musste ich auch lachen und nickte. „Sehr gut, dann nenn mich doch einfach Sky."
Als das geklärt war, ließ er kurz seinen Blick über mich gleiten und schüttelte dann den Kopf. „Ach Süße, an deinem Style müssen wir aber noch arbeiten." Bitte was? Süße? Am Style arbeiten? Anscheinend sah man mir meine Verwirrung an, denn er legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter und meinte verschwörerisch: „Keine Angst, damit will ich nicht sagen, dass du hässlich bist. Nur kann man bedeutend mehr aus dir rausholen." Verlegen und unsicher lächelte ich einfach nur. Was hätte ich darauf auch antworten sollen?
So standen wir kurz stumm nebeneinander, bis Tony sich plötzlich meine Hand schnappte, mit einem eleganten Wurf treffsicher seinen Pappbecher in meinem Mülleimer versenkte und mich mit sich zog. „Ich stell dich mal ein paar Leuten vor. Ich weiß, wie schwer man sich damit am ersten Tag tut. Zumal die ganzen Flachköppe hier immer so beschäftigt wirken. Da traut man sich schon gar nicht erst sie anzusprechen. Und genau aus diesem Grund machen sie es auch... Aber genug geredet, jetzt komm!" Und so wurde mir die vorerst schwerste Aufgabe quasi abgenommen.
~*~
Mir rauchte der Kopf. Endlich war der Tag vorbei und ich auf dem Weg nach Hause. Es würde wahrscheinlich noch einige Zeit dauern, bis ich mit den ganzen Eindrücken und den neuen Menschen zurechtkam, trotzdem war das heute ein voller Erfolg. Nachdem Tony mich noch einigen Mitarbeitern vorgestellt und mich zur gemeinsamen Mittagspause eingeladen hatte, war ich zu Mister Alois gegangen und hatte die erste Reportage bekommen. Ok, es war nur ein zweiseitiger Artikel über die Wichtigkeit des Aufsammelns von Hundekot...aber immerhin meine erste Arbeit für den Verlag. Und ich hatte ganz sicher nicht erwartet gleich eine riesen Story zu bekommen.
Müde und trotzdem in freudiger Erwartung auf morgen, schloss ich meine Wohnung auf und lief auf direktem Weg ins Schlafzimmer. Die Tatsache ignorierend, dass anstatt eines richtigen Bettes noch immer nur eine Matte dort lag, ließ ich mich vornüber drauf fallen und seufzte gedämpft ins Kissen. Ich wollte nur noch schlafen und morgen frisch und munter in den Tag starten.
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Kiss me, Drummer-Boy
RomanceSie ist jung, frisch mit dem Studium zur Journalistin fertig und bereit die ersten Schritte in die Welt zu wagen. Da kommt die Zusage der New York Times gerade recht und ehe sie sich versieht wird das Mauerblümchen der Kleinstadt zur Frau einer Welt...