Wie nicht anders zu erwarten, erwachte ich nicht erst durch das liebreizende Klingeln meines Weckers, sondern schon früher. Viel früher! Wahrscheinlich lag es an der Nervosität und der Ungewissheit, wie der Tag wohl ablaufen würde, denn früh ins Bett war ich ja gestern dank meinem Bruder nicht gekommen und ließ sich demnach nicht auf Schlaf im Übermaß zurückführen.
Eine positive Sache hatte das Ganze jedoch, es gab nun ausreichend Zeit sich über ein Outfit Gedanken zu machen. Oder war gerade das der negative Teil? Denn statt die Zeit gemütlich mit einem Pott Kaffee in der Hand vor meinem Schrank zu stehen und in aller Ruhe etwas auszusuchen, saß ich schließlich der Verzweiflung nah und mit gerauften Haaren auf dem Boden und sah in meinen ganzen Klamotten nur eine Erkenntnis: Ich hatte nichts zum Anziehen!
Und wirklich hilfreich war Henni nun auch nicht gewesen. Kein Business-Outfit und nichts Aufgetakeltes? Na ganz super. Ich mochte mich zwar langsam besser kleiden, als früher und auch etwas ähnliches wie einen Modegeschmack entwickeln, trotzdem war ich noch weit davon entfernt, allein durch die Art eines Termins oder Treffens direkt zu wissen, was ich tragen sollte.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es mittlerweile kurz nach zehn Uhr war und ich so langsam mal aus dem Schlafanzug raus und in etwas Passableres schlüpfen sollte. Nur was? Da ich gerade jedoch nicht den Eindruck hatte in den nächsten Minuten einen plötzlichen Geistesblitz zu bekommen, hievte ich mich demotiviert auf die Beine und schlenderte ins Badezimmer. Zum Glück hatte ich wegen des Termins heute wenigstens nicht zur Arbeit gemusst. Nicht auszumalen, wie chaotisch mein Morgen dann gewesen wäre! Und konzentrieren hätte ich mich wahrscheinlich eh nicht können, da mir allein jetzt schon bei dem Gedanken an das Bevorstehende die Hände zu zittern begannen.
Den Blick in den Spiegel gekonnt ignorierend stellte ich mich unter die Dusche und drehte seufzend das Wasser an. Ob ich Hendrick noch absagen und auf eine Telefonkonferenz umschwenken konnte? Ein Versuch wäre es zumindest wert, oder? Schließlich musste ich die Bandmitglieder nicht unbedingt heute schon sehen, nur um allgemeine Informationen und wahrscheinlich etwas wie Regeln erläutert zu bekommen...
Eine halbe Stunde später saß ich also mit einem Kaffe auf meiner Matratze und starrte das Handy an, welches vor mir lag. Mein großer Bruder würde es schon verstehen und mich nicht zu diesem Treffen zwingen, oder? Schließlich kannte er mich und wusste, wie ich dazu stand neue Leute kennenzulernen. Also legte ich die letzte Zurückhaltung einfach ab, schnappte mir das Teil und wählte seine Nummer.
„Nudel, was gibt's? Bist du bereit für das Meeting oder willst du letzte Feinheiten besprechen? Obwohl, das brauchen wir gar nicht, denn du wirst hier alles erfahren was nötig ist!", begrüßte er mich ohne Punkt und Komma, sobald er abgenommen hatte. Verunsichert räusperte ich mich. Einfach raus mit den Worten, er ist dein Bruder und wird es verstehen! Zumindest versuchte ich es mir erneut einzureden. „Hey Henni, also wegen des Treffens... ich wollte nur fragen..." „Nein.", unterbrach er mich auch schon und ich konnte nicht anders, als kurz den Hörer vom Ohr zu nehmen und ihn verblüfft anzustarren. „Wie ‚Nein'?", fragte ich, als ich ihn wieder am Ohr hatte. „Sky, ich kenne dich und du wirst das Meeting nicht absagen. Ja, es ist von Nöten, dass du die Jungs heute kennenlernst und nein, das ganze lässt sich nicht über das Telefon regeln."
Konnte dieser Kerl etwa Gedanken lesen? Das war ja fast schon unheimlich. Anscheinend kannte mich mein Bruder ein wenig zu gut. Mein Schweigen schien er als Bestätigung seiner Vermutung zu deuten und lachte plötzlich los: „Ach Nudel, das wird schon! Ich bin doch dabei und außerdem ist es doch dein Job und nichts weiter. Mach dich also nicht verrückter, als du eh schon bist und steig um zwölf in das Auto. Du wirst sehen, der Rest regelt sich dann wie von selbst!" „Henniii...", jammerte ich in den Hörer, woraufhin er sich nur lachend verabschiedete und mich mit dem Tuten der toten Leitung alleine ließ. Na das war doch wunderbar gelaufen. Nicht!
~*~
Immer wieder flog mein Blick zur Uhr und wieder zurück zu meinem Kleiderschrank. In knapp 30 Minuten musste ich fertig vor dem Haus stehen und ich hatte bisher nur meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und etwas Wimperntusche aufgelegt. Zu mehr wäre ich dank meiner nervös zitternden Finger eh nicht in der Lage gewesen. Also zu der letzten und wohl schwierigsten Frage, was zog ich an? Die Zeit schien nur so an mir vorbeizufliegen, bis mich ein Klingeln an der Tür erstarren ließ. Oh nein. Nein. Nein. Nein! Es war punkt zwölf und ich stand hier einer Panikattacke nahe in Unterwäsche vor dem Kleiderschrank und konnte mich nicht bewegen. Super!
Als es erneut läutete, rannte ich fast schon zur Gegensprechanlage. Wie nicht anders zu erwarten, war es der Fahrer, welcher mich nun abholen sollte. Ich versprach ihm in wenigen Minuten unten zu sein und hechtete zurück zu meinem Schrank. Ok, jetzt bloß nicht den Kopf verlieren und irgendwas zueinander Passendes greifen!
In einer Geschwindigkeit, die ich mir vor einigen Minuten nicht im Traum zugetraut hätte, griff ich einfach nach einer grauen Skinny-Jeans, einem schwarzen lockeren Oberteil mit dreiviertel-Ärmeln und meinen neongrünen Chucks.
Halb rennend, halb hüpfend weil ich mir noch die Schuhe anzog, kam ich schließlich zur Tür. Dort schnappte ich mir einfach meine schwarze Handtasche, schmiss Handy, Schlüssel und Portemonnaie hinein, griff mit der anderen Hand nach meinem Cardigan und stürmte aus der Wohnung.
Keuchend von der plötzlichen Anstrengung, kam ich schließlich vor dem Wagen zu stehen, wo schon ein junger Mann stand und auf mich wartete. „Miss Green, freut mich Sie kennenzulernen.", lächelte er höflich und hielt mir im nächsten Moment die hintere Tür auf. „Tut mir leid, dass Sie wegen mir warten mussten. Und die Freude ist ganz meinerseits, Mister...", peinlich berührt, da ich mir nicht mal seinen Namen die wenigen Minuten seit dem Klingeln gemerkt hatte, senkte ich kurz meinen Blick. „Mein Name ist Hayes Baldwin, aber nennen Sie mich ruhig einfach nur Hayes." Sein Grinsen wirkte echt und freundlich, weshalb ich ebenfalls zaghaft die Mundwinkel anhob und murmelte: „Okay einfach nur Hayes, nennen Sie mich dann doch bitte einfach nur Sky." Ein knappes Nicken war die Antwort und ich stieg -schlagartig wieder aufgeregt- ein.
Na dann mal los! Würde schon schiefgehen...
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Kiss me, Drummer-Boy
RomansaSie ist jung, frisch mit dem Studium zur Journalistin fertig und bereit die ersten Schritte in die Welt zu wagen. Da kommt die Zusage der New York Times gerade recht und ehe sie sich versieht wird das Mauerblümchen der Kleinstadt zur Frau einer Welt...