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„Miss Green, kommen Sie bitte in mein Büro, ich muss etwas mit Ihnen besprechen.", und schon hatte mein Chef wieder aufgelegt. Mittlerweile verwunderten mich Anrufe dieser Art nicht mehr. In den letzten zwei Monaten hatte ich mich schon gut eingelebt, mit meinen anderen Kollegen bekannt gemacht, den ein oder anderen Artikel verfasst und einige Eigenarten meines Chefs kennengelernt. Dazu gehörten auch diese kurzen Anrufe, obwohl sein Büro keine 20 Meter entfernt war.

Ich hätte nie gedacht, dass ich mich in meiner neuen Umgebung so schnell zurechtfinden würde und New York bereits als mein Zuhause betrachtete. Direkt in der Woche nach dem Clubbesuch, hatte ich einen erneuten Versuch gewagt zum Yoga zu gehen und siehe da, es klappte. Seitdem besuchte ich mindestens zweimal die Woche einen Kurs, sofern es die Zeit zuließ. Mit meinem Bruder gab es auch das ein oder andere Gespräch, sowie Treffen und mit Tony und den anderen traf ich mich jeden Tag zum Mittagessen und manchmal auch in meiner Freizeit. Nur zusammen Tanzen, das waren wir bisher nicht nochmal.

Schnell ordnete ich meinen Schreibtisch, sperrte den Bildschirm meines Computers und lief zum Glaskasten den Chefs.

„Mister Alois, Sie wollten mich sprechen?", fragte ich nachdem er mich hineingebeten hatte. „Setzen Sie sich bitte, Miss Green." Wieder sprach er meinen Namen mit einem merkwürdigen Unterton aus und deutete auf einen der Stühle vor seinem imposanten Schreibtisch. In den letzten Wochen war mir immer wieder aufgefallen, dass er meinen Namen anders aussprach, als die der anderen Mitarbeiter. Doch nie hatte ich mich getraut nachzufragen, woran das lag. Doch langsam wurmte es mich, also wenn nicht jetzt, wann dann?

„Sir, darf ich Ihnen eine Frage stellen?" Verwundert sah er mich an, nickte dann jedoch und zeigte mir mit einer winkenden Handbewegung, dass ich fortfahren sollte. Puh, wie formulierte ich die Frage nun am besten, damit es nicht merkwürdig oder abgehoben klang? Vielleicht hätte ich mir darüber Gedanken machen sollen, bevor ich ihn fragte! „Ähm, bitte entschuldigen Sie, wenn ich da etwas missverstehe, aber wieso sprechen Sie meinen Nachnamen immer so merkwürdig aus?" Nervös knetete ich meine Finger und wartete gespannt auf seine Antwort.

Er schien zu überlegen, zumindest ließen mich das seine zusammengekniffenen Augenbrauen vermuten. Und als ich es schon kaum noch aushielt und zurückrudern und auf das eigentliche Thema dieser Zusammenkunft zurückkommen wollte, brummte er: „Ihr Bruder ist doch Hendrick Green, oder?" Verwirrt, was das mit meiner Frage zu tun haben sollte und woher er dies wusste, konnte ich einfach nur nicken. „Unteranderem ist dies auch der Grund für dieses Gespräch hier. Wie Sie höchstwahrscheinlich wissen, gehört ihm das Imperium Green International." Bitte was? Ich hatte keinen Plan, wovon er da sprach. Ich wusste zwar, das Henni irgendeine Firma besaß und sehr erfolgreich war, mit dem, was er tat...aber was genau das wirklich war, hatte er mir noch nicht erklärt oder gezeigt. Meine Unwissenheit und Verwirrung so gut es ging unterdrückend, sah ich Mister Alois einfach nur an und lauschte seinen weiteren Worten: „Jedenfalls versuchen wir schon seit einiger Zeit eine Artikel-Reihe über ein paar seiner Schützlinge zu machen, sind bis jetzt jedoch immer kläglich gescheitert." Schützlinge? Artikel-Reihe? Nun verstand ich gar nichts mehr. Was bitteschön machte mein Bruder und was wollte mein Chef jetzt genau von mir? Scheinbar ließ meine neutrale Maske ziemlich zu wünschen übrig, denn mein Gegenüber räusperte sich nun kurz und meinte fast schon entschuldigend: „Bitte denken Sie jetzt nicht, dass sie nur aufgrund Ihres Bruders diesen Job bekommen haben! Zur Zeit Ihrer Einstellung hatten wir davon noch keine Kenntnis!" Vollkommen sprachlos und überrumpelt von der ganzen Situation, nickte ich einfach nur. „Jedenfalls ist Mister Green mit uns in Kontakt getreten und hat fast schon überraschend endlich zugestimmt, dass ein Journalist ihn begleiten darf und Artikel über seine berühmtesten Schützlinge verfasst. Da kommen Sie ins Spiel." „Ich?", selbst in meinen Ohren klang meine Stimme dünn und erstickt. Ich verstand momentan einfach gar nichts mehr.

Auf dem Boden lag quasi ein großer, fetter Schlauch und ich stand mit beiden Füßen fest drauf.

„Ja, Sie. Mister Green hat zugestimmt, unter der Bedingung, dass Sie es sind, die die Artikel verfasst. Und da Ihre Leistungen in den letzten Wochen mehr als vorzeigbar waren, kann ich dem guten Gewissens zustimmen." Als wäre die ganze Situation nicht schon surreal genug, begann Mister Alois auch noch zu grinsen und sah mich freudestrahlend an. Das hatte ich bei ihm noch nie beobachten können! Die faltigen Gesichtszüge des älteren Mannes waren höchstens mal zu einem kaum erahnbaren Lächeln verzogen gewesen, aber so breit grinsend wie jetzt...nein, das war mir eindeutig neu!

„Ich...also ich fühle mich geehrt, aber was genau bedeutet das Ganze?" Kurz nahm sein Gesicht einen überraschten Ausdruck an, bevor er in schallendes Gelächter ausbrach. Als ich jedoch nicht einstimmte, wurde er wieder still. Als wolle er herausfinden, ob ich ihn gerade auf den Arm nahm, musterte er mich und meinte schließlich verwirrt: „Sie meinen das ernst, oder? Wissen Sie denn nicht, wer Ihr Bruder ist?" Ich schluckte schwer und murmelte zögerlich: „Doch, schon. Nur hat er bisher nie von seiner Arbeit hier in New York erzählt. Ich höre das alles gerade zum ersten Mal." Er stieß zischend Luft aus.

Nachdem es einige Zeit leise zwischen uns war, durchbrach er schließlich die Stille: „Puh, also damit habe ich nicht gerechnet. Also Sie müssen wissen, dass Ihr Bruder der Star-Manager schlechthin ist. Green International hat verschiedenste Filmstars, Models und Sänger unter Vertrag. Dazu gehört unteranderem auch die Band The Outdoors. Und um die geht es gerade. Sie werden sie einige Wochen begleiten und über die Erfahrung berichten, sowie einige Artikel über sie und die Auftritte verfassen."

Wahrscheinlich sah ich gerade wieder aus, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Mein Mund schnappte immer wieder auf und zu, ohne jedoch ein Ton von sich zu geben. „Das ist eine Premiere und eine Ehre! Außerdem kann es ein bedeutendes Sprungbrett Ihrer Karriere sein!" Seine Augen strahlten mich an und das einzige, was ich zustande brachte, war ein ersticktes Lachen. Ganz klasse Sky, jetzt reiß dich mal zusammen!

„Oh, ich danke Ihnen, Sir!", fand ich endlich meine Stimme wieder, „Wann soll es denn beginnen? Oder sind schon bestimmte Termine festgelegt worden?" Zufrieden über die gestellten Fragen, lehnte er sich in seinem Stuhl zurück, kramte einige Unterlagen aus einem seiner Schubfächer hervor und reichte sie mir. „Heute Abend findet das erste Treffen statt, dort werden Sie alles Weitere erfahren. Sie können heute früher gehen und sich fertig machen. Viel Erfolg und lassen Sie sich nicht zu sehr von den einzelnen Bandmitgliedern ablenken!" Das klang eindeutig nach dem Ende des Gesprächs. Also schnappte ich mir die Unterlagen, bedankte und verabschiedete mich mit ein paar gemurmelten Floskeln und verließ auf wackeligen Beinen das Büro.

Wie konnte man innerhalb so weniger Minuten so viel Neues über ein Familienmitglied herausfinden und wie um alles in der Welt sollte ich diese Informationen so schnell verarbeiten? Aber die weitaus dringendere Frage war: Wie sollte ich den Abend heute überstehen?

Kiss me, Drummer-BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt