Seit einer halben Stunde stand ich nun schon vor dem Spiegel und war mir immer noch nicht sicher, ob ich passend für das Treffen gekleidet war. Denn selbst nach mehrfachem Durchlesen der Unterlagen, war ich immer noch nicht klüger. Nirgendwo war vermerkt gewesen, wen ich gleich treffen sollte, lediglich dass es sich um das Management handeln würde. Warum ich nicht einfach Henni anrief und fragte? Als ob ich das nicht schon mindestens hunderte Male getan hätte! Nur hatte dieser Wicht sich ausgerechnet heute einen Tag ausgesucht, an dem er nicht zu erreichen war. Seinen blöden Spruch von der Mailbox konnte ich mittlerweile auswendig. Und ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass auf dieser nur nette Nachrichten von mir zu finden waren.
Aber mir blieb nun mal nichts anderes übrig, denn kneifen kam gar nicht in Frage. Mein Chef zählte auf mich und auch, wenn mir vor Nervosität bereits jetzt schon die Beine schlackerten, musste ich mich einfach zusammenreißen und versuchen das Beste aus diesem Abend zu machen. Wer war überhaupt auf die glorreiche Idee gekommen ein Treffen abends in einem Restaurant abzuhalten? Kannte dort niemand die gewöhnlichen Gepflogenheiten eines Meetings?
Unschlüssig, ob dieses Outfit nun wirklich angemessen war, strich ich mit den Fingern über den knielangen, schwarzen, engen Rock, zupfte die lockere, reingesteckte weiße Bluse zurecht und überprüfte meinen hohen, strengen Zopf. Also wenn das mal nicht nach Business aussah, dann wusste ich auch nicht weiter.
Natürlich waren die üblichen Graue-Maus-Klamotten längst in den Tiefen meines Schrankes verschwunden und hatten New York tauglicheren Platz gemacht. Dennoch plagte mich des Öfteren die Unsicherheit, besonders vor solch wichtigen Terminen.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass in wenigen Minuten mein bestelltes Taxi eintreffen sollte. Also warf ich einen letzten Blick in den Spiegel, zog die bereitgestellten schwarzen Heels an und verließ schließlich mit Handtasche und dünnem Mantel die Wohnung. Augen zu und durch!
~*~
„Guten Abend, wie kann ich Ihnen helfen?", fragte die piepsige Stimme der Frau am Empfangstresen vor mir. Eigentlich hätte es mich nicht überraschen sollen, dass das Treffen in einem solch beeindruckenden Etablissement stattfand. Trotzdem kam ich nur schwer aus dem Staunen raus und schaffte es höflich lächelnd zu antworten: „Guten Abend, ich werde erwartet. Skylar Green mein Name." Ich war mir nicht sicher, ob ich es mir nur einbildete, dass sich die Augen der Frau kurz weiteten, ehe sie mich bat ihr zu folgen.
Diskret führte sie mich durch das Restaurant, vorbei an bereits besetzten Tischen und teuer wirkender Dekoration. Hier hatte es jemand wirklich gut gemeint, mit dem Unterbringen verschiedenster Kristalldekorationen. Allgemein war alles sehr edel gehalten. Dunkelroter Teppich bedeckte den Boden, unzählige kleine Lämpchen und Kristallleuchter tauchten alles in warmes, goldenes Licht. Dieses reflektierte sich in an den Wänden und Decken vereinzelt angebrachten Spiegeln. Ich traute mich kaum zu atmen, in der Angst etwas zu beschädigen oder das Ambiente zu stören.
„Da wären wir, ich wünsche Ihnen einen schönen Abend!", riss mich die Stimme der Frau zurück ins Jetzt und ich zuckte zusammen. Na klasse, wie unhöflich von mir so zu versinken und dann noch nicht mal die Gastgeber zu begrüßen. Ruckartig straffte ich die Schultern, bedankte mich und drehte mich schließlich zu dem Tisch um.
„Was zum Teufel machst du denn hier?", zischte ich und ließ mich einfach auf den Platz gegenüber des bereits anwesenden Mannes fallen. „Es ist auch schön dich zu sehen, Schwesterherz!", grinste Hendrick und musterte mich, „Gut siehst du aus. Wirklich! Nur hättest du dich für mich nicht so förmlich anziehen müssen!" Verschmitzt blitzte es in seinen Augen. Das hatte er gerade nicht wirklich gesagt oder? „Woher hätte ich denn wissen sollen, dass mein ach so toller Bruder -und nebenbei auch noch Boss von Green International- dieses Treffen hier organisiert hat?", woher kam nur dieser bissige Ton, „Warum überhaupt diese Lokation? Hätten wir uns nicht auch bei dir treffen können?"
Als hätte er meinen Ton nicht bemerkt, lachte er: „Bei mir Zuhause? Damit du mich ohne Weiteres dem Erdboden gleich machen kannst? Vergiss es, Mauerblümchen! Hier habe ich Zeugen und fühle mich sicher!" Er zwinkerte mir zu und langsam verpuffte die eh sinnlose Wut in mir. „Sei dir deiner Sicherheit mal nicht so sicher, mein Lieber!" Und auch wenn ich streng rüberkommen wollte, so konnte ich das Zucken meiner Mundwinkel nicht verhindern. „Aber mal ehrlich, Henni, warum hast du mir nie erzählt, was du hier so treibst?" Jetzt wirkte er plötzlich nicht mehr so gelöst, eher verlegen und unsicher.
„Sky, ich wollte nicht, dass du das Gefühl hast im Schatten zu stehen. Außerdem hat es sich einfach nie wirklich ergeben und ich wollte dir nicht dauernd irgendwelche Autogramme schicken müssen!" Bei seinen letzten Worten war das verschmitzte Grinsen zurück und ich konnte nicht anders als zu lachen. „Ich will alles wissen! Wie kam es dazu? Seit wann bist du so berühmt und gefragt und was genau erwartest du jetzt von mir?" „Mach mal langsam!", schmunzelte er nun, „Fragt mich das gerade meine kleine, süße Schwester oder die ausgefuchste Journalistin?" „Ich bitte dich, darf ich nicht mal Details über das Leben meines Bruders wissen?", zog ich eine Schnute. Kopfschüttelnd sah er mich an, reichte mir jedoch nur eine Karte mit den Worten: „Erstmal bestellen wir Essen, ich verhungere fast! Und dann kannst du alles wissen, was du magst und wir klären das Geschäftliche!"
~*~
„Also morgen stelle ich dich der Band vor, aber nimm dich in Acht, die Jungs sind manchmal echt ungehobelte Kindsköpfe!", wir waren bereits mit dem Nachtisch fertig und warteten auf die Rechnung. Vollgestopft, wie ich war, konnte ich nur noch nicken und zuhören. „Außerdem bekommst du dann den Terminplan, sowie alle weiteren wichtigen Informationen." Kurz wurde er unterbrochen, als die Rechnung endlich kam und er ohne weiteres zahlte. Danach standen wir auf und verließen das Lokal.
Draußen legten er mir fürsorglich den Mantel um die Schultern und sprach weiter: „Ich will nicht, dass du denkst, dass das alles nur aus Geschwisterliebe geschieht! Du hast ein grandioses Talent und außerdem vertraue ich dir, dass du mir und den Jungs nicht mit irgendwelchem halbwahren Kram schaden willst." Gerührt schloss ich ihn einfach in meine Arme und murmelte ein kleines Dankeschön. Brüderlich küsste er mir auf die Stirn und zog mich dann mit sich zu seinem Auto. „Ich fahr dich heim. Auch wenn ich immer noch der Meinung bin, dass dein anderes Appartement die bessere Wahl ist." „Mach den Abend nicht damit kaputt, Henni!", seufzte ich und ließ mich, nachdem er mir die Beifahrertür öffnete auf den Sitz fallen.
Dankbar darüber, dass er das Thema vorerst wirklich ruhen ließ, fuhren wir schließlich zu mir nach Hause. Dort angekommen drückte er mich noch kurz und verabschiedete sich mit den Worten: „Ruh dich schön aus, morgen wird ein anstrengender Tag für dich und deine Nerven, glaub mir! Ach ja...ich schicke dir einen Fahrer, der dich um 12 Uhr hier abholen wird. Und zieh dich bitte locker an! Ich will nicht dein Business-Ich oder den Hottie dann vor mir haben. Blaue Augen machen sich bei den Jungs momentan nicht so sonderlich gut!" Damit zwinkerte er mir noch einmal zu und fuhr los, nachdem ich sicher die Eingangstür passiert hatte.
Sollte das morgen wirklich so anstrengend werden, oder übertrieb mein Bruder in seiner Fürsorge nur maßlos?
Oben angekommen, überlegte ich noch kurz, ob ich mich vielleicht über diese Band informieren sollte. Entschied mich jedoch nur noch für eine heiße Dusche und die übliche Abendroutine und fiel schließlich erschöpft auf meine Matratze. Ja, ein richtiges Bett hatte ich immer noch nicht, aber was soll's! So ausgelaugt wie ich mich gerade fühlte war selbst diese Matte der Himmel auf Erden.
Mit einem erschöpften Lächeln auf den Lippen schlief ich schon wenige Sekunden später ein. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt gewusst, was mich morgen erwarten würde, hätte es wahrscheinlich ganz anders ausgesehen.
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Kiss me, Drummer-Boy
RomanceSie ist jung, frisch mit dem Studium zur Journalistin fertig und bereit die ersten Schritte in die Welt zu wagen. Da kommt die Zusage der New York Times gerade recht und ehe sie sich versieht wird das Mauerblümchen der Kleinstadt zur Frau einer Welt...