26.

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Langsam setzte er mich vor der Wohnungstür meines Bruders ab."Hat dir eigentlich der Pressetermin gefallen?" Sein dämliches Grinsen würde ich ihm gleich aus dem Gesicht wischen, wenn er so weiter machte. Stumm bedachte ich ihn mit einem vernichtenden Blick. Es blieb einen Moment, bis er auflachte: „Gar keinen Kommentar?" Ohne etwas zu sagen, drehte ich mich zur Tür und betätigte die Klingel. Ich musste einfach weg von diesem Typen und endlich mein Bein hochlegen, welches unaufhörlich puckerte, seit Hunter mich abgestellt hatte. Um die andere Thematik würde ich mich nächstes Mal kümmern, denn dass er mit seiner Aktion einfach davon kam, das sah ich beim besten Willen nicht ein.

Doch anstatt mein Bruder endlich öffnete, ertönte erneut Hunters tiefe Stimme und das für meinen Geschmack viel zu dicht an meinem Ohr. „So, Süße. Wenn du mich weiterhin ignorierst, dann werde ich wohl...", begann er, wurde jedoch von einem außer sich wirkenden Hendrick unterbrochen, der in diesem Moment komplett blass hinter uns auftauchte und uns mit großen Augen anstarrte. Die Überraschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben und es dauerte einen Augenblick, bis er sich scheinbar wieder fasste und mich aus tiefster Erleichterung seufzend in seine Arme zog.

„Au!", ächzte ich erstickt in seinen Pullover und versuchte schnell wieder meinen fälschlich belasteten verletzten Fuß zu entlasten und den Schmerz zu ignorieren, der blitzartig meine Nervenbahnen in Brand zu stecken schien. Doch er bemerkte es nicht, rückte nur ein Stück von mir ab und nahm mein Gesicht in beide Hände. „Oh Gott, mach sowas nie wieder! Ich war gerade bei dir... deine Nachricht... ich wäre fast gestorben vor Sorge! Und warum ist dein Handy aus?" Überfordert von seinem besorgten Gestammel, wusste ich nicht, was ich nun sagen sollte und vergrub meinen Kopf wieder an seiner Brust. Plötzlich ertönte hinter mir eine skeptische Stimme und rief mir in Erinnerung, dass wir nicht alleine waren.

„Bei ihr Zuhause? Bist du so durch die Stadt... barfuß?" Verwirrt löste ich mich wieder von meinem Bruder und drehte mich zu einem verdutzten Hunter um. Was redete er da? Ein weiterer Blick verriet mir dann jedoch, worauf er anspielte. Henni stand hier im Flur bei uns, lediglich in Jogginghose, Shirt und Socken. Und da fiel es mir wieder ein. Schockiert sah ich zu meinem Bruder, was sollte er darauf antworten? Er durfte jetzt bloß nicht verraten, dass ich nur wenige Meter von unserem momentanen Standpunkt wohnte. Ich versuchte irgendeine passable Antwort zu finden, doch bevor ich auch nur einen halbwegs guten Gedanken fassen konnte, räusperte sich Hendrick schon. „Es ging um meine kleine Schwester. Ich wollte sie einfach nur finden und bin überstürzt raus." Sein Schulterzucken und wie er es gesagt hatte...ich hätte es ihm fast selbst geglaubte, schaute jedoch trotzdem unauffällig zu Hunter und lockerte erleichtert meinen verkrampften Griff in Hennis Shirt, als dieser nun ebenfalls mit den Schultern zuckte. „Verständlich. Bei dem Kätzchen hätte ich auch alles stehen und liegen gelassen.", raunte er noch mit einem süffisanten Grinsen in meine Richtung und drehte sich dann zum Fahrstuhl. „Hunter! Ganz dünnes Eis!", knurrte mein Bruder noch, ehe dieser hinter der Metalltür verschwand und uns allein im Hausflur stehen ließ.

~*~

In eine Decke gewickelt, lag ich kurze Zeit später auf meiner Couch, Hendrick kniete vor mir und besah sich meinen Fuß. „Es tut mir so leid, dass ich mein Handy einfach nicht gehört habe! Dir hätte sonst was passieren können! Zum Glück hat Watt dich gefunden..." Ob ich in diesem Fall unbedingt von Glück sprechen würde, wusste ich nicht, behielt jedoch meine Gedanken für mich und verzog leise zischend mein Gesicht, als Henni irgendetwas an meinem Fuß machte. Kurz sah er entschuldigend zu mir auf, sprach dann jedoch weiter: „Warum hast du eigentlich keinen Krankenwagen gerufen? Du musst doch schon länger dort gesessen haben."

Mein Mund ging immer wieder auf und zu, wie bei einem Fisch im Trockenen. Gute Frage, wieso hatte ich das nicht getan? Mir war nicht einmal der Gedanke gekommen jemand anderes zu rufen, geschweige denn einen Rettungswagen. Ich war so blöd! Kopfschüttelnd schlug ich mir die Hand vor die Stirn. Ein leises Lachen erklang. „Die kleine Nudel allein in New York. Du musst echt noch einiges lernen, Schwesterherz. Ich kann nicht rund um die Uhr auf dich aufpassen." In einer kindlichen Geste streckte ich ihm einfach die Zunge raus, was ihn schmunzeln ließ, bevor er wieder ernst wurde. „Aber wir sollten dich erstmal ins Krankenhaus bringen, dein Fuß sieht nicht gut aus und bevor es noch etwas Ernstes ist, bin ich lieber einmal zu vorsichtig! Und bevor du gleich anfängst zu protestieren", fügte er mit erhobenem Finger hinzu, als er meine gerunzelte Stirn und den leicht geöffneten Mund sah, „ich bringe dich sofort hin und nein, du hast keine Wahl!" „Aber..." „Kein aber!", unterbrach er mich bestimmt und richtete sich auf. „Willst du dir noch etwas anderes anziehen oder können wir los?"

Mich ergebend seufzte ich und richtete mich ebenfalls auf. „Wir können los." Knapp nickte mein Bruder, lief in den Flur und kam kurz darauf mit meinem Cardigan wieder, den er mir einfach ins Gesicht warf und dann meine Wohnung verließ. Brüder...

Keine fünf Minuten später stand er wieder im Raum, diesmal jedoch mit Jacke und Schuhen an und kam auf mich zu. „Stopp. Denk nicht mal dran!", hielt ich ihn knurrend zurück, als er Anstalten machte mich hochheben zu wollen. Einmal am Tag wie ein Baby durch die Gegend gehievt zu werden reichte mir vollkommen aus. „Du kannst nicht mal vernünftig stehen, geschweige denn laufen. Jetzt reiß dich zusammen Skylar." Doch ich dachte gar nicht erst daran, funkelte ihm nur entgegen und stand -stets darauf bedachte nur auf dem gesunden Fuß zu stehen- auf. Als es geschafft war, grinste ich Hendrick triumphierend an. „Und was gedenkt Eure Dickköpfigkeit nun zu tun? Zum Auto hüpfen?", er war eindeutig genervt und biss die Zähne fest zusammen, wodurch seine Kiefermuskeln deutlich hervor traten. Ich überlegte kurz, zuckte dann aber mit den Schultern. Wenn es sein müsste, würde ich eher bis zum Auto kriechen, als mich noch einmal tragen zu lassen. Also streifte ich mir den Cardigan demonstrativ über und hüpfte wackelig und mich an der Wand abstützend an ihm vorbei zur Wohnungstür. „Wie kann man nur so verdammt stur sein?", hörte ich ihn noch hinter mir grummeln, eher er sich in Bewegung setzte und mir folgte. Natürlich merkte ich, dass er gerade so viel Abstand zwischen uns ließ, dass er mich im Notfall auffangen könnte. Doch das störte mich nicht. Er war nun mal mein großer Bruder und hatte dementsprechend einen starken Beschützerinstinkt.

Ich rechnete es ihm hoch an, dass er kein einziges Mal den Versuch wagte mich doch einfach zu schnappen, sondern nur mit finsterer, aber besorgter Miene neben mir her in die Garage schlurfte. Die Fahrt über blieb es still im Wagen und selbst im Krankenhaus sprach Hendrick nur knapp mit dem Doktor und ließ mich immer noch grimmig drein schauend ins Behandlungszimmer hüpfen.

Kiss me, Drummer-BoyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt