Seit einer Woche stellte ich mich schon wacker allen neuen Herausforderungen und gab mein Bestes, um den Ansprüchen gerecht zu werden. Auch wenn der Job teilweise echt anstrengend und kräftezehrend war, so genoss ich jeden einzelnen Tag. Das hing wahrscheinlich auch daran, dass ich in manchen Kollegen -dazu gehörte auch Tony- wirklich gute Freunde gefunden hatte. Obwohl...konnte man nach so wenigen Tagen schon von Freunden reden? Jedenfalls verstanden wir uns super, verbrachten die Mittagspausen zusammen und hatten uns bereits den einen oder anderen Abend als Gruppe getroffen. Und auch wenn ich anfangs mehr als schüchtern und zurückhaltend war, so taute ich in deren Gesellschaft immer mehr auf.
Hätte mir vor einigen Wochen jemand erzählt, dass ich bald in einer fremden Stadt einen Job beginnen würde, bei einem der größten Medienhäusern und dass ich mich zusätzlich gleich in der ersten Woche mit Kollegen verabredete, ich hätte der Person den Vogel gezeigt. Ich konnte es noch immer kaum fassen, dass ich nun in meiner kleinen Wohnung stand und darauf wartete, dass Tony vorbei kam. Es war Freitagabend und ich wurde mehr oder weniger von ihm genötigt mich der Gruppe anzuschließen und feiern zu gehen. Sie hatten irgendetwas von anstoßen auf die neue Kollegin und Freundin gesagt. Doch da ich absolut keine Ahnung von der Stadt, geschweige denn davon hatte, was ich anziehen sollte, war Tony kurzerhand zum Retter in der Not mutiert und würde in wenigen Minuten vor der Tür stehen, um mir zu helfen.
Es klingelte. Na super, warum zitterte meine Hand so beim Öffnen der Tür? Angst vor Tony hatte ich gewiss nicht und nervös brauchte ich doch auch nicht zu sein. Er hatte in den letzten Tagen nie den Versuch gestartet mir näher zu kommen und auch, wenn er scheinbar auf Umarmungen und Kosenamen stand, so fühlte ich mich dabei nie unwohl oder bedrängt.
„Hey, danke, dass du mir hilfst! Ohne dich wäre ich wahrscheinlich verloren oder vollkommen unangemessen angezogen!", begrüßte ich ihn, während er mich lachend umarmte. Hab ich es nicht gesagt? Ich erwiderte es und ließ ihn schließlich rein. „Immer langsam, Süße! Also als erstes, das mache ich doch gerne. Irgendjemand muss unserem Mauerblümchen doch mal zeigen, wie es in der Großstadt so abläuft. Und zweitens, was zur Hölle ist mit deiner Wohnung passiert? Wurdest du ausgeraubt?", er fasste sich theatralisch an die Brust und sah sich mit geweiteten Augen um. Ich konnte förmlich spüren, wie ich rot anlief und murmelte verlegen: „Nein...ich bin vor einer Woche erst eingezogen und bin noch nicht dazu gekommen alles auszupacken und einzuräumen. Außerdem wurde ich nicht gerade mit Talent gesegnet, wenn es ums Aufbauen von verschiedenen Möbelstücken geht." Und als wäre mir die ganze Situation nicht schon unangenehm genug, begann er auch noch laut zu lachen.
Einige Minuten und unzählige vernichtende Blicke später beruhigte er sich wieder und entschuldigte sich noch immer grinsend bei mir. „Aber mal ehrlich, Liebchen, du brauchst einfach einen Mann. Der schleppt dir die Kisten dann von A nach B und kann auch alles Weitere aufbauen. Und das beste: Keine einsamen Nächte mehr." Bei seinen letzten Worten zwinkerte er mir verschmitzt zu und zuckte mit den Augenbrauen. Und tada! Mein Gesicht wurde erneut zur Tomate. „Das...nein...also ich...man Tony!", mehr als undeutliches Gemurmel brachte ich nicht heraus. Ein Hoch auf die Schüchternheit!
„Wie auch immer, zeig mir mal, was du so zur Auswahl hast!", meinte er schließlich und ich zog ihn wortlos ins Schlafzimmer. Hoffentlich kam jetzt nicht noch ein Spruch zu meiner Einrichtung. Doch Tony wäre nicht er selbst, wenn er einfach still zu dem Schrank gegangen wäre. „Uh, wilde Nacht gehabt, oder warum ist dort nur noch eine Matte auf dem Boden? Bett zerstört? Meine Güte, ich werde gerade richtig neidisch auf dich!", stichelte er und deutete auf meinen momentanen Schlafplatz. „Tooony!", quengelte ich und sah ihn gequält an. Er schien zu verstehen und widmete sich endlich der eigentlichen Aufgabe, dem Outfit.
~*~
„Ich hätte dich nie an meinen Schrank lassen sollen!", seufzte ich verzweifelt und ließ ihn weiterhin seines Amtes an meinen Haaren walten. „Ach komm schon, ohne mich hättest du dieses Ungetüm von schwarzen Pulli und irgendeine Hose angezogen. So wird das nie was mit dem Mann zum Möbel aufbauen!", murmelte er nur und konzentrierte sich weiterhin auf das Fabrizieren einer annehmbaren Frisur. „Super", ich versuchte nicht allzu geknickt zu klingen, „da ist dieses Nuttenkleid natürlich viel besser! Außerdem will ich doch nicht mal einen Mann finden. Ich bin glücklich so, wie es gerade ist." Er schnaubte nur unwirsch und stand einige Sekunden später vor mir. „Also erstmal, das ist ein Kleid aus deinem Schrank und absolut unnuttig!", ich würde Ella noch eine deftige Nachricht schicken müssen, dafür, dass sie mir so ein Teil heimlich untergeschmuggelt hatte, „Und außerdem, sieh dich erstmal an, bevor du nörgelst!" Damit zog er mich ruckartig auf die Beine, sodass ich in den viel zu hohen Absatzschuhen fast umkippte und führte mich zu dem Spiegel. Es war ein personengroßes Teil, welches vorerst einfach nur an die Wand gelehnt dastand. Und oha...
Wie gebannt starrte ich mein Spiegelbild an. „Du bist ein verdammter Zauberer!", flüsterte ich andächtig und traute mich kaum auch nur zu atmen. Meinen Körper umhüllte ein schwarzes, enges Kleid, welches mir bis knapp übers Knie reichte. Der Brustbereich wurde dezent betont, durch einen eckigen Ausschnitt, der weder zu wenig, noch zu viel Preis gab. Meine Arme waren in mittellange Ärmel gehüllt, die dem ganzen Bild etwas Seriöses gaben. Aber der Hingucker schlechthin waren eindeutig mein MakeUp, sowie die Frisur. Smokey Eyes ließen meinen Blick leicht katzenhaft wirken, die Lippen dagegen waren nur in einem zarten Rosa gehalten. Die blonden Haare hatte Tony mir in elegante Locken gedreht, sodass sie nun wallend mein Gesicht einrahmten. Nichts davon schien noch auf das Mauerblümchen hinzudeuten, welches noch vor zwei Stunden unsicher durch die Wohnung getapst war.
„Ach nenn mich einfach Tony!", ging dieser auf meinen letzten Kommentar ein und lachte erfreut. „So, Liebchen, jetzt sag mir noch ein Mal, dass du aussiehst, wie eine Nutte und du kannst was erleben!" Irgendwie kam mir die Situation leicht bekannt vor...nur mit dem Unterschied, dass ich diesmal echt nichts an meinem Äußeren auszusetzen hatte. Ratlos, was ich sagen sollte, schlang ich einfach die Arme um meinen Helden und drückte ihn fest an mich. Das leichte Vibrieren seines Körpers zeigte mir, dass er lachte, also löste ich mich leicht verlegen wieder und starrte erneut in den Spiegel.
„Du Tony?", fand ich schließlich die Sprache wieder, „Woher kannst das alles eigentlich so gut?" Es interessierte mich wirklich, wie ein Kerl besser im Stylen sein konnte, als so manche Frau! „Man lernt so einiges, wenn man zwei Schwestern hat. Außerdem war ich schon immer eher der feminine Typ." Jetzt war ich stutzig und sah ihn wieder an. Wollte er damit etwa sagen... „Ja, Sweetheart, ich bin schwul. Aber ich glaube, dass dachtest du dir bereits, oder?"
Und mal wieder wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ganz klasse Sky, wirklich sehr erwachsen!
~*~
Die Musik dröhnte in meinen Ohren und der Bass hämmerte gegen meine Brust. Es fühlte sich an, als würde mein gesamter Körper im Takt vibrieren.
Nachdem Tony und ich noch etwas geredet und rumgealbert hatten, waren wir losgegangen, um die anderen hier vor dem Club zu treffen. Ich war echt überrascht gewesen, als sich herausstellte, dass es nicht irgendein runtergekommener Schuppen war, sondern einer der High Society Clubs. Meine Kollegen hatten nur amüsiert geguckt, als ich meine Überraschung laut äußerte, trotzdem konnte mir das die Aufregung nicht nehmen.
Wirklich jeder lief hier schick angezogen rum, dafür sorgte besonders der Türsteher draußen. Nicht nur, dass jede einzelne Person von oben bis unten gemustert wurde, nein! Man musste auch noch seinen Ausweis zeigen, egal, wie alt man war. Das Merkwürdigste kam jedoch noch. Besagter Türsteher musterte mich erst ausgiebig und forderte dann mit unbewegter Miene meinen Ausweis. Als er diesen dann mithilfe einer kleinen Taschenlampe inspizierte, weiteten sich plötzlich seine Augen und er schaute einige Male immer wieder auf das Stück Plastik in seiner Hand und wieder zu mir. Als wäre das jedoch nicht genug, reichte er ihn mir schnell wieder, murmelte irgendetwas in ein verstecktes Headset -denn ich bezweifelte stark, dass er Selbstgespräche führte- und nur wenige Augenblicke wurden meine Kollegen und ich in den Club begleitet. Niemand von uns musste Eintritt zahlen und alle staunten wir nicht schlecht, als wir plötzlich an einem Tisch in der VIP-Lounge saßen. Ich war perplex und sprachlos. Tony dagegen witzelte nur rum, dass sie mich öfter mitnehmen würden und wir das ganze eigentlich nur ihm und seinen Zauberkünsten in Sachen Styling zu verdanken hätten.
Nun saß ich also hier, eine Cola in der Hand und beobachtete von meinem Platz aus die anderen beim Tanzen. Ich würde später vielleicht hinzustoßen, wenn ich etwas Mut gesammelt und die ganzen neuen Eindrücke aufgenommen hatte. Schließlich war ich das alles hier so gar nicht gewohnt.
Ich wollte gerade erneut an meinem Glas nippen, als mir jemand auf die Schulter tippte und eine Gänsehaut erregende Stimme direkt an meinem Ohr ertönte: „Na, Kätzchen, Lust zu tanzen?"
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Kiss me, Drummer-Boy
RomanceSie ist jung, frisch mit dem Studium zur Journalistin fertig und bereit die ersten Schritte in die Welt zu wagen. Da kommt die Zusage der New York Times gerade recht und ehe sie sich versieht wird das Mauerblümchen der Kleinstadt zur Frau einer Welt...