Kapitel 8

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Als Dean in mein Zimmer kam, war ich hellwach. Ich hatte zuvor kein Auge zumachen können. Zu viele Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Es gab zu viele Entscheidungen, die ich treffen musste, oder jede barg ein neues Risiko.
Es war immer noch dunkel, als wir losfuhren. Ruby, Anna und ich saßen auf der Rückbank; ich zwischen den beiden, auch wenn ich gerne getauscht hätte. Ich hörte Dean vorne lachen und Ruby verzog fragend die Miene.
»Was ist?«
»Nichts. Es ist nur ... ein Engel und ein Dämon sitzen auf der Rückbank - das klingt wie der Anfang eines schlechten Witzes, oder wie ein Leserbrief im Penthouse-Forum. Nur Cat passt nicht rein.«
Oh, und wie ich da reinpasse, Dean, dachte ich innerlich.
»Oh, Mann«, sagte Sam. »Realität. Porno.«
»Du nennst das hier Realität?«, fragte Dean.
Sam antwortete nicht. Selbst den Rest der Fahrt schwiegen alle, die Anspannung auf der Rückbank war kaum zu ignorieren und so konnte ich nicht einmal vor mir hindösen. Wir erreichten die Eiche, bei welcher sich Annas Gnade befinden sollte, als es bereits hell war.
Die Eiche war riesig und prächtig. Sie stand auf einer Lichtung, von hohem Gras umschlossen, und Sonnenstrahlen schienen durch freie Stellen in der sonst so dichten Krone. Sie musste hunderte Jahre alt sein, doch das war sie nicht. Seit Annas Geburt war sie hier, die Eiche und die Gnade. Ihretwegen wuchs der Baum hier, denn die Gnade eines Engels war pure Energie.
»Er ist wunderschön«, hörte ich Dean neben mir erstaunt sagen.
»Dort ist die Gnade niedergegangen. Ich spüre es«, meinte Anna. »Ganz deutlich.«
»Und du traust dir das zu?«, fragte Dean vorsichtig.
»Nicht wirklich.«
»Wenn ein Engel seine Gnade zurückerlangt«, begann ich, »ist es dann nicht zu gefährlich für uns, wenn wir in der Nähe sind?«
»Nein. Ihr solltet nur die Augen geschlossen halten.«
Wir blieben vor dem Baum stehen und Anna legte ihre Hand auf die Rinde.
»Sie ist nicht hier«, sagte sie. »Nicht mehr. Jemand hat sie gestohlen.« Sie wandte sich zu uns um und wir sahen uns entsetzt an.
Wir fuhren wieder zurück zu der Hütte, wo Castiel und Uriel gegen die Winchesters und Ruby gekämpft hatten - wir hatten ja keine andere Wahl.
»Na ja, wir haben noch die Hexenbeutel«, meinte Dean. »Ich würde sagen, wir gehen zurück in den Schutzraum.«
»Was? Für immer?«, stichelte Ruby.
»Ich hab' nur laut nachgedacht«, rief Dean, der sich allmählich aufzuregen begann.
»Das nennst du denken?«
»Hey! Hört auf damit!«, wies Sam sie zurecht.
»Begreift ihr denn nicht? Annas Gnade ist verschwunden!«, erinnerte Ruby. »Sie kann kein Engel werden. Sie kann uns nicht beschützen. Wir können nicht gleichzeitig gegen die Hölle und den Himmel kämpfen - nicht auf einmal.«
Unruhig begann ich meine Finger zu kneten. Meine Handflächen waren verschwitzt, mein Herz pochte schneller.
»Cat?« Sam sah mich besorgt an.
Ich hatte angefangen, laut zu atmen und unbemerkt hatten sich Tränen in meine Augen geschlichen.
»Ich ... ich ... mir geht's nicht gut. Ich werde mich hinlegen.«
Kaum hatte ich dies ausgesprochen, war ich auch aus der Hütte gerannt. Die Hintertür fiel laut ins Schloss und ich rutschte das Holz hinunter auf den Boden. Ich versuchte den Schrei zu unterdrücken, biss mir stattdessen auf die Lippe, und raufte mir mit meinen Händen die Haare.
Es muss aufhören, dachte ich. Es muss unbedingt aufhören.
Die Tränen rannen mir die Wangen hinunter und ich lehnte meinen Kopf gegen die Tür, die Hände nun zu Fäusten geballt und auf den Boden schlagend.
Es muss aufhören. Ich muss ihnen die Wahrheit erzählen.
»Ich muss ihnen die Wahrheit erzählen«, sagte ich leise, aber bestimmt.
Ich erhob mich und als ich gerade wieder in die Hütte wollte, fiel mir auf, dass eine Lampe auf dem Impala stand. Dean musste wohl dort sein. Ich atmete tief durch, strich mir die Haare aus dem Gesicht und lief auf den Wagen zu.
Wenige Meter, bevor ich ihn erreicht hatte, erkannte ich Dean, doch er war nicht allein. Anna war bei ihm und ich stockte und blieb stehen. Sie küssten sich - es war ein ungünstiger Zeitpunkt -, und ich drehte bei und ging davon.
Ich betrat die Hütte. Sam schlief, gebeugt über einige Bücher. Ruby, ganz in schwarz gekleidet wie eh und je, sah auf. Ich ignorierte sie. Ich hatte nicht einmal die Kraft, sie böse anzufunkeln.
»Cat, nun komm schon.«
Ich warf ihr einen kurzen Blick zu und ließ mich, ohne weiter auf sie zu achten, auf das alte, staubige Sofa nieder.
»Wir sollten reden.«
»Was gibt's da zu reden, Ruby?« Ich sah auf. »Du hast mein Leben zerstört.«
Sie verschränkte die Arme. »Kannst du dich eigentlich noch an alles erinnern?«, meinte der Dämon mit gerecktem Kinn.
Ich schwieg. Oh, ja, ich konnte mich an alles erinnern.
»Ich werde dich leiden lassen und ich werde Spaß daran haben«, versprach der Dämon.
Er verstärkte den Griff. Ich schrie und fiel nach vorn, meine Finger in mein Shirt gekrallt, so dass die Knöchel weiß hervortraten.
Eine Gestalt erschien hinter ihm und im nächsten Moment leuchtete sein ganzer Körper orange auf, dann fiel er tot zu Boden. Ich starrte entsetzt den Leichnam an. Mein Blick wanderte zu der Person, die über den Toten schritt, und auf mich zulief. Erst als er nur noch wenige Schritte von mir entfernt war, erkannte ich die blonde, junge Frau.
»Das war knapp«, sagte sie, doch erkannte ich ein amüsiertes Lächeln in ihrem Gesicht.
»Du bist …«
»Ich bin Ruby. Du hast schon eine Menge von mir gehört, nicht? Sam hat dir sicher viel erzählt.«
»Du bist ein Dämon«, sagte ich verwirrt. »Warum hilfst du mir?«
»Sagen wir's so: Ich bin nicht sonderlich froh gestimmt mit den anderen. Pass auf dich auf, Cat. Ich denke, wir sehen uns bald wieder.«
Bevor ich antworten konnte, war Ruby verschwunden. Sie hatte mir das Leben gerettet und in irgendeiner Hinsicht, obwohl sie ein Dämon war, war ich ihr dankbar. Doch diese Dankbarkeit hielt nicht lange an, denn als mein Blick auf Jennas toten Körper fiel, kam all der Schmerz zurück. Ich schnappte nach Luft und rannte zu dem Leichnam. Schluchzend fiel ich auf die Knie. Ich drückte Jenna an mich und die Tränen fielen auf ihr blasses Gesicht.
»Ich kann mich an alles erinnern, Ruby, und deswegen gibt's nichts zu reden«, meinte ich und wandte mich ab.
Ruby antwortete nicht, sondern lief einfach an mir vorbei und verließ die Hütte.

Wir waren alle in einer Scheune versammelt, nicht weit von der Hütte entfernt - alle, bis auf Ruby. Dean trank ununterbrochen von seinem Flachmann und Anna starrte unruhig durch die Lücken der Bretter nach draußen.
»Ich weiß nicht, Mann«, sagte Sam. »Wo ist Ruby?«
»Sie ist dein Höllenkumpel«, gab Dean zurück und trank einen weiteren Schluck.
»Du solltest damit aufhören, Dean«, meinte ich und riss ihm den Flachmann aus der Hand, ohne ihn dabei anzusehen.
»Hey!« Dean packte mich am Handgelenk, zog mich herum und riss mir den Flachmann aus der Hand. Erst dann bemerkte er, dass ich seinen Blicken auswich. »Was ist los?«
Ich blickte zu ihm hinunter, er saß auf einem Strohballen, und er runzelte verwundert die Stirn.
»Hast du geweint?«
»Nein«, log ich und riss mich von ihm los.
»Ganz schon früh für so was, oder?«, fragte Anna.
»Irgendwo ist es zwei Uhr nachts«, meinte Dean.
»Geht's dir gut?«
»Ja, natürlich.«
Ein Windzug kam auf, und ich hörte, wie sich in meinem Rücken die Tür öffnete. Ich wandte mich um. Castiel und Uriel betraten die Scheune, aufgebracht wie eh und je. Ich sah den Engel im Trenchcoat an und er blickte mir kurz in die Augen, dann wandte er sich Sam, Dean und Anna zu, die sich neben mich stellten.
Die Tür schloss sich von magischer Hand und die Engel blieben vor uns stehen.
»Hallo, Anna«, sagte Castiel. »Schön, dich zu sehen.«
»Wie ... wie hast du uns gefunden?«, fragte Sam verwundert.
Castiel blickte zu Dean und wir sahen ihn entsetzt an.
»Es tut mir leid«, flüsterte der ältere Winchester.
»Wieso?«, verlangte Sam zu wissen.
»Weil sie ihn vor die Wahl gestellt haben«, erklärte Anna. »Entweder töten sie ihn oder mich. Ich weiß, was in ihren Köpfen vorgeht.«
»Castiel, bitte«, flehte ich leise.
Der Engel sah zu mir und trat hervor.
»Du musst das nicht tun. Du hast es nicht verdient wie ein Werkzeug behandelt zu werden!«
»Castiel, bring sie zum Schweigen«, sagte Uriel. »Oder ich werde es tun.«
Hör auf, Cat, hörte ich Castiels Stimme in meinem Kopf. Bitte. Sonst sehe ich mich dazu gezwungen, Gewalt anzulegen.
Ich stockte und ich spürte die Tränen, die in meine Augen stiegen. Ich presste die Lippen aufeinander und trat zurück.
Anna berührte Dean am Arm, dann küsste sie ihn. «Du hast getan, was du konntest«, sagte sie, als sie sich voneinander gelöst hatten. »Ich vergebe dir.« Anna lief auf Castiel zu. »Okay. Keine weiteren Tricks mehr. Kein Davonlaufen. Ich bin bereit.«
»Es tut mir leid«, sagte Castiel.
»Nein, tut es nicht«, erwiderte Anna. »Nicht wirklich. Du kennst das Gefühl nicht.«
»Obwohl wir uns so lange kennen, -«
»Befehl ist Befehl. Ich weiß«, unterbrach die Frau Castiel. »Ich bitte dich, mach's kurz.«
»Wenn du«, erklang plötzlich eine Stimme in unserem Rücken und erschrocken wandten wir uns um, »dem armen Mädchen auch nur ein Haar krümmst.«
Es waren drei Dämonen und Ruby, die von einem festgehalten wurde. Sie blutete stark und sie war schwach, wie ich erkannte. Sam, Dean und Anna wichen zur Seite, als Castiel und Uriel nach vorne vor die Dämonen traten. Ich blieb wie angewurzelt stehen, knapp hinter Uriel.
»Wie kannst du es wagen, diesen Raum zu betreten, du feiges Geschwür der Hölle?«, verlangte dieser von dem älteren Mann, der zuvor gesprochen hatte, an der Spitze zu wissen.
Ruby wurde zur Seite geschubst und schwach kroch sie auf dem Boden davon.
»Nur Beleidigungen. Das verletzt meine Gefühle, du kleiner fanatischer scheinheiliger Mistkerl«, spie der Oberdämon aus.
»An deiner Stelle würd' ich ganz schnell wieder gehen!«, meinte Castiel.
»Ja? Doch nicht ohne sie.« Der Dämon nickte Anna zu. »Wir werden dafür sorgen, dass sie bestraft wird, aber richtig.«
»Du weißt, wer wir sind und was wir tun«, entgegnete Castiel und trat auf den Mann zu. »Ich sage es nicht noch mal. Verschwindet. Sofort. Oder wir werden dich vernichten.«
»Dieses Risiko muss ich eingehen.«
Ich bemerkte die Blicke, die Uriel den Dämonen zuwarf und in der nächsten Sekunde griffen die Engel an. Castiel kämpfte gegen den Oberdämon und Uriel wurde von den beiden anderen Dämonen angegriffen. Ich stand daneben und sah zu - meine Beine bewegten sich keinen Millimeter.
Mein Blick fiel auf Castiel. Der Oberdämon war stark, er wich den Schlägen des Engels aus. Und in diesem Moment löste sich meine Barriere; ich wollte nicht länger zusehen - ich musste handeln. Doch war es nicht meine himmlische Seite, die hervordrang.
Ich spürte, wie meine Augen schwarz wurden und bevor einer der Dämonen, die Uriel angriffen, es überhaupt realisieren konnte, stand ich hinter ihm. Meine Hände schlossen sich um den Hals. Ich drückte mit aller Kraft zu, und im nächsten Augenblick verließ ein schwarzer Rauch seinen Körper. Er breitete sich als Kreis auf dem Boden aus und verschwand dann im kalten Stein.
Ich blickte zu Sam, Dean und Anna. Die Winchester-Brüder starrten mich entsetzt an. Dean umso mehr - und es tat unheimlich weh.
»Tut mir leid, Junge. Wieso rennst du nicht zu Daddy?«, hörte ich den Oberdämon sagen und plötzlich stürzte Castiel einige Meter neben mir zu Boden.
Uriel tötete seinen Gegner, indem er ihm die Augen ausbrannte, und Castiel wurde von dem letzten am Hals gepackt. Er sprach einige Worte, die ich nicht verstand, doch auf einmal war Dean da, der den Oberdämon mit irgendetwas schlug und dieser sich dann von Castiel abwandte.
»Dean, Dean, Dean. Ich bin ja so enttäuscht«, sagte er und funkelte Dean wütend an. »Du hattest so viel Potenzial.«
Er streckte die Hand aus. Dean griff sich an den Hals und krümmte sich keuchend, und Sam fiel auf die Knie.
»Lass sie in Ruhe!«, schrie ich.
Der Oberdämon wandte sich um und lächelte mich böse an.
»Du bist Cat, nicht? Ich hab' schon viel von dir gehört. Wenn deine Freunde tot sind, komm ich zu dir. Das verspreche ich.«
Plötzlich krachte es in meinem Rücken und als ich mich umwandte, sah ich noch, wie Anna ihre Gnade aufnahm. Es war eine Art Rauch, blau-weiß schimmernd, der sich durch ihren Mund zog. Sie fiel auf die Knie, doch kurz darauf stellte sie sich wieder zitternd auf ihre Beine.
»Schließt die Augen!«, befahl sie und während die Winchester-Brüder und Ruby dies taten, sahen die Engel, der Oberdämon und ich hin.
Anna schrie. Ihre Augen und ihr Mund erstrahlten in reinem Weiß. Eine gewaltige Explosion, ebenfalls in Weiß, erfüllte den Raum, doch ohne Druckwelle. Der Oberdämon verschwand und mit ihm Anna und das Leuchten. Castiel und Uriel stellten sich vor die Winchester-Brüder.
Dean hatte Rubys Messer aufgehoben und sah Castiel finster an. »Worauf wartet ihr noch? Wollt ihr euch Anna nicht holen? Oder habt ihr etwa Angst?«
»Es ist noch nicht vorbei«, meinte Uriel und wollte sich auf Dean stürzen, doch Castiel hielt ihn fest.
»Für mich ist es vorbei, du Weichei«, sagte der ältere Winchester.
Beim nächsten Wimpernschlag waren die beiden Engel verschwunden. Ruby hatte sich erhoben und während sie auf Sam zuhumpelte, rannte ich nach draußen.
»Castiel!«, schrie ich gen Himmel. Die Sonne stand hoch im Zenit und blendete mich, doch ich schirmte nur die Hand mit meinen Augen ab, weiter nach oben blickend. »Castiel, verdammt, wir müssen reden!«
Hinter mir schloss sich auf einmal die Tür der Scheune und ich wandte mich erschrocken danach um. In diesem Moment packte mich jemand am Oberteil und drückte mich gegen die alte, raue Holzwand.
»Castiel«, sagte ich erleichtert.
»Und er ist nicht allein«, erklang eine Stimme. Einige Meter hinter ihm stand Zachariah, der mir zugrinste. »Hallo, Catherine.«
Entsetzt starrte ich den Engel vor mir an und da erklang Flügelschlag und wir verschwanden von diesem Ort.

2309 Wörter

Castiel hat sie hintergangen. Was sagt ihr dazu?

 Was sagt ihr dazu?

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