10. Kapitel. In Sicherheit?

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Ein kräftiges Ziehen im Bauch weckte sie und sie rollte sich automatisch zusammen. Wie lange musste sie das noch durchhalten? Es konnte doch unmöglich noch über zwei Monate so weitergehen. Sie wimmerte leise und bemerkte zu spät, dass sie nicht allein war.
"Was ist los?", fragte die Stimme die ihr nun so vertraut war, wie der Anblick des Mondes. Mist. Sie hob den Kopf an und sah in Wills blaugrüne Augen.
"Ich muss mit dir etwas besprechen. Aber das hat Zeit bis nach dem Frühstück.", sagte Selina und stand auf. Will seufzte, blieb aber liegen.
"Sage es mir jetzt, bevor wieder etwas dazwischen kommt, das nach meiner Aufmerksamkeit verlangt."
Leise brummend zog sie sich das Kleid über den Kopf, das sie sich ausgesucht hatte.
"Ich habe mich gestern mit Grim über Schwangerschaften bei Gestaltwandlern unterhalten und dabei herausgefunden, dass das Baby doch früher kommen könnte als wir erwartet hatten.", sagte sie und ohrfeigte sich innerlich dafür.
"Wie viel Zeit bleibt uns noch?", fragte er.
"Mindestens zwei Monate. Aber auf diesen Zeitraum können wir uns einstellen.", erklärte sie ihm. Diese Offenbarung ließ ihn scharf die Luft einziehen. Sie wussten beide, dass sie zu wenig Zeit hatten, um sich wirklich auf das Kleine einzustellen. Er zog die Stirn in Falten und schien zu überlegen.
"Über was denkst du nach?"
"Darüber wie ich euch beide am Besten schützen kann. Es wird nicht mehr lange dauern und Sumar-Gardo wird überrannt werden. Und dann sind sie auf direktem Weg hierher und niemand kann mehr fliehen. Ich glaube nicht, dass es hier sicher für euch ist." Selina starrte ihn an. Das durfte nicht sein Ernst sein. Er wollte sie jetzt auch noch wegschicken? Er stand auf und kam zu ihr hinüber.
"Selina, du musst mir jetzt zuhören. Wenn alles schief geht, will ich dich in Sicherheit wissen. Dich und unser Kleines." Bei diesen Worten legte er eine Hand auf ihren Bauch.
"Ich will, dass ihr in Sicherheit seid und nicht mitten im Kriegsgetümmel."
"Und wo soll ich hin?", fragte sie leise. Der gestrige Tag spielte sich in ihrem Kopf ab und sie hatte das Gefühl, Luke hatte ihn auf seine Seite ziehen können.
"Nach Hagenfels. Dort wartest du auf Nachichten. Du wirst nicht von dort weggehen, bis ich dich hole."
"Und wenn du nicht kommst? Wie lange soll ich warten, wenn keine Nachichten kommen?"
Er seufzte.
"Sollte das Schlimmste eintreten und Larwenia geht an Xadrien oder Kalistrien, wirst du das Kind schnappen und in die Berge gehen. Dort hälst du dich östlich und gehst in Dragos Höhle. In Hagenfels wartest du bis zum Sommeranfang. Ich hoffe nicht, dass es zum Schlimmsten kommt, doch ich kann auch nicht versprechen, dass es gut enden wird."
"Wann soll ich gehen?"
"Spätestens in einem Monat. Nimm Isabella und Raphael mit. Ich werde Grim fragen, ob er auf euch aufpassen kann."
"Du willst die Katze bitten uns zu beschützen?", versuchte sie das Ganze ins Lächerliche zu ziehen, doch leider ließ er sich nicht darauf ein und fuhr fort.
"Er weiß ein wenig über die Gestaltwandler und kann dir mit seinem Wissen helfen."
Sie nickte betrübt und fragte schließlich:
"Weisst du wo mein Dolch ist?"
Auf diese Frage hin, musste er schmunzeln.
"Ich habe ihn gestern Abend noch aus der Tür gezogen und ihn auf das Fensterbrett gelegt."
Sie wandte den Blick von ihm ab und schaute zum Fensterbrett. Tatsächlich lag dort ihr liebstes Werkzeug.
"Lass ihn dort liegen.", sagte er sanft und legte seine Hand in ihren Nacken. Vorsichtig küsste er sie. Sie wollte ihre Arme um ihn legen, doch er zog sich zurück, bevor sie etwas dergleichen tun konnte.
"Lass uns etwas essen gehen." Enttäuscht ließ sie ihn gehen.
Sie nickte und lief zur Tür hinaus in den Flur, die Treppe hinunter bis in den Speisesaal.

Dort traf sie auf Luke und Grim die schon am Tisch saßen und sich über ihr Frühstück her machten. Sobald die den Raum betrat ruhten sämtliche Augenpaare auf ihr. Die der Wachen, die der Diener, die von Luke und Grim. Sie blieb vor ihrem Platz stehen und sah sich stirnrunzelnd um. Wieso starrten sie alle so an?
Kopfschüttelnd setzte sie sich und einer der Diener stellte einen Teller mit Suppe vor ihr ab.
Noch immer spürte sie die Blicke aller auf sich ruhen. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus.
"Ist irgendetwas?", fragte sie in den Raum und schnell wandten sich alle Blicke wieder ab.
Sie widmete sich wieder ihrer Suppe als Will hereinkam.
"Guten Morgen", sagte er höflich zu den Anwesenden und setzte sich an die Stirnseite des Tisches. Grim und Luke antworteten ihm und aßen dann schweigend weiter.
"Selina, ich möchte nachher mit dir sprechen.", sagte Luke und sah vorsichtig zu ihr. Sie blickte kurz auf, nickte und aß den Rest ihrer Suppe. Dann stand sie auf und ging zu Tür. Im Türrahmen blieb sie stehen.
"Kommst du?", fragte sie an Luke gewandt, der schnell aufstand und ihr folgte. Sie führte ihn in die Bibliothek und schloss die Tür hinter ihnen. Luke wurde nervös.
"Also ... ich wollte noch einmal mit dir über mein Angebot von gestern reden."
"Es gibt nichts mehr zu bereden. William und ich haben heute Morgen alles geklärt.", sagte sie und bemerkte wie seine Nervosität nachließ.
"Und welche Entscheidung habt ihr getroffen? Ich muss es wissen, damit ich dich in Sondra sicher unterbringen kann.", sagte er und straffte die Schultern.
"Ich werde nicht nach Sondra gehen.", sagte sie.
"Aber ...", unterbrach er sie und Selina beeilte sich mit ihrer Erklärung.
"Ich werde in unsere Heimatstadt gehen. Nach Hagenfels, dort warte ich bis zum Sommeranfang und wenn William mich bis dahin nicht abgeholt hat, gehe ich nach Osten in die Berge und verstecke mich dort." Luke sah sie enttäuscht an, denn er dachte, dass sie in Sondra sicherer gewesen wäre, doch dies war nicht der Fall.
"Wer wird dich beschützen? Wer wird bei der Geburt des Kleinen helfen?", fragte er.
"William will Grim fragen, ob er mich begleiten kann. Außerdem kommen Isabella und Raphael mit. Die Wölfe werden mich obendrein auch noch beschützen."
Eigentlich hätte sie Kyle gerne dabei gehabt, da er ja mit jeder Waffe umgehen konnte, doch er würde im Krieg unentbehrlich sein und Will würde ihn noch brauchen.
Da dieses Gespräch offensichtlich vorbei war, drehte sie sich um und ging Will suchen.
Sie fand ihn schließlich in seinem Arbeitszimmer an seinem Schreibtisch.
"Hey.", sagte sie leise und lächelnd.
Er sah von seinen Unterlage auf und auf seinen Lippen breitete sich ebenfalls ein Lächeln aus.
"Hey. Ist alles geklärt?", fragte er und lehnte sich zurück.
"Ja, er wollte mich nochmal überreden mit ihm nach Sondra zu kommen, doch ich habe ihm von unserem Plan erzählt.", erklärte sie kurz und setzte sich auf das Sofa das vor dem Kamin stand. Dieser war angezündet und spendete wohlige Wärme.
"Ich habe Grim auch gebeten, ob er dich begleiten kann. Erhat zugestimmt, auch wenn er lieber gekämpft hätte. Ihm ist klar, dass diese Aufgabe etwas wichtiger ist."
Sie sah in die Flammen. Grim war mehr oder weniger dazu verdonnert worden, den Aufpasser für sie zu spielen, während sie den nächsten Thronerben großzog. Keine spannende oder schöne Aufgabe für einen Krieger. William stand auf und setzte sich neben sie. Sich kuschelte sich an ihn und sah weiterhin ins Feuer. Plötzlich kam ihr ein Gedanke.
"Wo werde ich in Hagenfels leben? Das Haus meiner Eltern ist zerstört worden. Ich kann nicht die ganze Zeit in einem Gasthaus unterkommen, dort werden sie zuerst suchen, wenn sie nach mir suchen sollten."
Wills Gesichtszüge wurden ernst.
"Darüber habe ich mir vorhin schon Gedanken gemacht, deswegen bin ich so spät zum Frühstück erschienen. Ich habe einen der Diener ausgeschickt, um in Hagenfels oder der näheren Umgebung ein Haus zu kaufen."
"Ich will eigentlich nicht gehen.", murmelte sie leise.
"Ich weiß, aber ich will nicht, dass du oder unser Kleines in Gefahr geratet. Ich will dich am liebsten auch nicht gehen lassen, aber hier ist es nicht sicher für dich. Allein schon, dich noch einen Monat hierbleiben zu lassen ist schon gefährlich."
Sie sah ihn an. Seine wunderschönen Augen starrten traurig ins Feuer, während er an einer ihren Haarsträhnen herumspielte.

Larwenia Band 6 - Lord of Dark and DespairWo Geschichten leben. Entdecke jetzt