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„Was tut man, wenn man nicht mehr mit seinem Leben zufrieden ist?", fragt sie freundlich und lächelt in die Runde. Die verschiedensten Menschen, die verschiedensten Gesichter. Alle verstecken sich hinter ihrer eigenen Fassade. Alle akzeptieren das, was sie sind und wissen zugleich, dass sie es niemals gutheißen könnten. Genauso klar, wie die Ungewissheit der Anwesenden, ist die Tatsache, dass niemand der geschminkten Tusse dort antworten würde.

„Man schafft sich ein Neues.", entgegne ich genervt und merke urplötzlich, wie es kälter wird. Die dumme Nuss hatte bestimmt eines der Fenster hinter uns geöffnet, nachdem wir uns alle gesetzt hatten.

„Wie heißt du?", fragt sie gespielt begeistert. Es ist nichts besonderes, wenn man auf eine Frage antwortet um der peinlichen Stille zu entgehen. Es ist normal. Egal, was dann gesagt wird, es wäre immer noch besser als sich gegenseitig anzuschweigen in der Hoffnung jemand anderes würde die Worte übernehmen und einen selbst aus dieser misslichen Lage befreien.

„Jamie.", erkläre ich simpel und schaue mich etwas um. Die Blicke der anderen sind eklig. Die verschiedensten Augenpaare, die sie am liebsten auf mich werfen wollen um jeden Millimeter meines Körpers betrachten zu können.

Die Blondierte lächelt und schlägt ihre Beine übereinander. „Weshalb bist du hier, Jamie?", fragt sie lächelnd und lässt ihren Blick durch die Runde schweifen, ehe sie mich mit ihren langweiligen Augen fokussiert.

„Das ist 'ne Selbsthilfegruppe, was glauben Sie denn warum ich hier bin? Meine Mutter war der Meinung, dass ich mich hier besser um meine Probleme kümmern könnte, als bei meiner Psychologin."

„Also bist du nicht freiwillig hier?", sie sieht leicht enttäuscht aus und setzt seine Schmolllippe auf. „Haben Sie sich die Lippen aufspritzen lassen?", ich hebe eine Augenbraue und lege meinen Kopf schief.

In der kleinen Runde müssen sich einige das Lachen verkneifen, während andere zu kichern beginnen. „Wie kannst du mich sowas fragen?!", empört fuchtelt sie mit den Armen herum, steht auf und kommt auf mich zu. „Verlass sofort diese Runde!", ruft sie laut und ich grinse – mein Plan hatte funktioniert.

„Liebend gern! Mein Tipp an euch, wendet euch an Psychologen, nicht an unausgebildete Möchtegernbarbies.", mit diesen Worten stehe ich auf, drücke mich an der parfümierten Frau vorbei und verlasse den kleinen Raum durch einen Flur. Auf der Treppe im Flur sitzt ein Junge. Ungefähr mein Alter. Er schaut auf sein Handy und lächelt leicht.

Plötzlich hebt er seinen Kopf und schaut mich mit stechenden blauen Augen an. „Du starrst ganz schön." Sein Lächeln ist bezaubernd. Wunderschön. Einzigartig. Fesselnd.

„Fettsack beweg' dein Arsch da weg!", höre ich plötzlich und am oberen Teil der Treppe steht ein anderer Junge. Auch er sieht außergewöhnlich gut aus. Solche Schönheiten wären hier schon lange Gesprächsthema gewesen, weshalb ich davon ausgehe, dass die beiden wohl erst hergezogen sind. Plötzlich steht der Junge von dem oberen Teil der Treppe neben dem anderen und mustert mich.

„Nette Haarfarbe.", grinst er. „Wie kommst's zu weiß?" – „Weiß nicht, man sollte doch alles mal ausprobieren, oder?" Er nickt freudig und stupst den anderen dann mit seiner Hand im Gesicht an – anders gesagt, er klatscht ihm leicht gegen die weich aussehende Haut.

Die beiden schauen sich eine Weile lang an und ich bin gerade in Begriff zu gehen, als ich plötzlich am Rücken festgehalten werde und mir jemand ins Ohr atmet. Wer auch immer der beiden das ist, er riecht fantastisch. „Ich wäre dafür, dass du noch nicht gehst, wir haben uns doch noch gar nicht kennen gelernt." – „Das können wir nachholen, ich muss los."

Der Junge von der Treppe, der mit den eisblauen Augen dreht mich zu sich um und mustert mein Gesicht. „Nette Verkleidung Eva. Wieso denn ausgerechnet Jamie?!", fragt er aufgebracht und verwirrt schaue ich ihn an.

In diesem Moment wird die Tür zum Raum von eben geöffnet und die Silikonbraut kommt heraus stolziert. Doch als sie mich sieht, verfinstert sich ihre Miene deutlich und sie schaut zu den beiden Jungen. „Ich habe ihn rausgeschickt! Ihr sollt doch nicht ständig meine Patienten abfangen!"

Der Junge, der mich gerade Eva nannte, bekommt große Augen und starrt zwischen uns hin und her. „Shit man.", murmelt er und schaut mir tief in die Augen. Dieses Blau ist so schön. Eine solche Farbe habe ich bei einem Augenpaar noch nie gesehen.

„Du wirst vergessen, was hier passiert ist, sobald du diesen Flur verlässt und nach Hause gehst. Du wirst deiner Mutter nur erzählen, dass auch diese Gruppe nichts für dich war und du weiter nach einer suchen wirst. Wir haben nie mit dir geredet und du hast uns noch nie gesehen.", seine Pupillen werden beim sprechen ungewöhnlich groß und seine sanfte Stimme verpasst mir eine Gänsehaut. „Hast du das verstanden?", fragt er und ich nicke nur, drehe mich weg und verlasse den Flur.

Doch sobald er das Gebäude verließ, vergaß er, was gerade passiert war. Die schönen Augen des Jungen, die mit Silikon vollgepumpte Barbie und die Worte der Jungen. Dass der mit den blauen Augen seinen Namen kannte und dass die beiden neu in der Umgebung sein müssten.

Endless Life // [ BoyxBoy] \\ ABGEBROCHENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt