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„Jamie? Geht's dir gut?", werde ich plötzlich gefragt und Elisa hockt neben mir. Ich schaue verwirrt in ihre rehbraunen Augen und höre dem angeregten Streitgespräch nur noch halb zu. „Wieso machst du das?!", schimpft Manu seinen jüngeren Bruder an.

„Dich geht nicht an, was ich mit ihm mache." – „Ich will nur vermeiden, dass du ihm weh tust, Dylen!" Mit diesen Worten schauen alle drei zu mir und ich schaue zu Dylen. Der Schwarzhaarige scheint etwas sagen zu wollen, die richtigen Worte aber wohl nicht zu finden. Schließlich seufzt er nur und verschwindet aus meinem Zimmer.

Manuel und Elisa schauen sich kurz an und setzen sich neben mich aufs Bett. „Es tut mir leid, dass wir einfach rein geplatzt sind, aber Manu hatte so ein Gefühl..", murmelt Eli und lehnt sich an mich.

„Was für 'n Gefühl hn?", zische ich und sehe dem Großen direkt in die dunklen Augen. „Ich lebe mit Dylen, es wäre nicht das erste Mal, dass er sich direkt beim ersten Treffen an jemanden ran macht und sie danach direkt wieder fallen lässt."

Ich seufze kurz auf und lasse meinen Blick durch den Raum wandern. Manuel sagte: "sie". Ob Dylen nur auf Frauen steht? Wieso mache ich mir darüber Gedanken? Ich stehe einfach auf, verlasse mein Zimmer und ziehe mir im Flur meine alten Chucks und eine dünne Jacke an, ehe ich die Wohnung verlasse und ein wenig durch die Gegend laufe.

Wieso mache ich mir so Gedanken um diesen Jungen? Er ist doch niemand besonderes. Okay, ich hatte bereits von ihm geträumt, was wirklich etwas seltsam ist, aber nicht unmöglich wie es scheint, aber ich kenne ihn doch gar nicht. Wieso denke ich über ihn nach, als wäre er das Wichtigste, was in meinem Leben passiert. Ich sollte mich lieber um meine Schwester sorgen, immerhin habe ich sie mit irgendeinem Typen alleine gelassen. Doch irgendwie vermisse ich Dylen schon. Ich will nicht, dass wir nicht mit einander reden. Ich würde gerne mit ihm reden und ich hätte auch nichts dagegen gehabt mit ihm zu schlafen.

Ich seufze und kicke einen der Steine vom Weg und schaue mich etwas in der Umgebung um. Ich bin anscheinend auf dem Weg zum Park mit der Brücke. Wieso auch nicht; da gehe ich ja immer hin, wenn ich alleine sein will.

Die Bäume sehen dank dem dunkelblauen Himmel schon fast schwarz aus, was ich wirklich hübsch finde. Das leichte Licht, der untergehenden Sonne, die irgendwo hinter mir ist, dimmt das Ganze in eine angenehme Stimmung und lässt mich seufzen. Wieso ist es hier so schön?

An solch einem Ort, wo so viele Menschen schon ihr Leben verloren oder beendeten... Mein Vater starb hier, dennoch bin ich oft hier und denke über alles Mögliche nach. Meinen eigenen Tod, Elisa, Mama, Dylen... Es gibt gerade zu viel, über was ich denken könnte. Ich will eigentlich nur hier sitzen, die Augen schließen und alles hinter mir lassen, mich entspannen und der Natur lauschen. Die wenigen Vögel, das plätschernde Wasser und der Wind, der zwischendurch die Blätter der vielen Bäume rascheln lässt. Die Dunkelheit, die mich einhüllt, wie ich es liebe. Abgeschieden von der Außenwelt, die mich nicht versteht. Die Außenwelt, die ich so fürchte, wie sie mich fürchtet. "Ein Junge mit weißen Haaren und schwarzer Kleidung, der muss depressiv sein!"

Ich bin nicht depressiv – glaube ich. Ich bin nur deprimiert und komme nicht mit dem Tod meines Vaters klar. Nicht, weil ich es nicht akzeptiert habe, sondern weil ich nicht weiß, was ihn tötete. Ohne diese Gewissheit werde ich nicht wieder klar denken können, wenn ich an meinem Vater denke. Ich werde ohne diese Gewissheit wohl niemals aus der Therapie entkommen und die Selbsthilfegruppen werde ich auch nie wieder los.

Immer, wenn ich früher jemandem von meiner Theorie erzählt habe, sind die Leute zu meiner Mutter und meinten, dass ich geisteskrank und traumatisiert wäre. Nein, das war und bin ich nicht – ich sehe die Welt nur mit offenen Augen. Ich habe eben einen erweiterten Fokus. Ich sehe nicht nur das, was mir gesagt wird zu sehen. Ich sehe das, was ich sehen will, weil ich weiß, dass es wirklich da ist.

So zum Beispiel Dylen. Ich denke nicht, dass er so schlimm ist, wie Manuel sagt. Ich denke eher, dass er auch nur seinen Spaß will. Was ist denn daran falsch? Sex ist etwas Natürliches. Nur, weil Manu anscheinend ein etwas veraltetes Weltbild hat, darf sein Bruder sich nicht ausleben?

Und wenn Dylen sich eben nicht nur an Blümchensex aufgeilen kann, dann ist das so. Ich wüsste nicht, wie sonst das 'Verletzen' gemeint sein sollte.

Durch einen Ton von meinem Handy werde ich aus meinen nie endenden Gedanken gerissen und seufzend schaue ich auf das Gerät. Die Nummer hat mir geschrieben. Doch diesmal solle ich kein Nacktbild schicken. Es ist eine ganz normale Nachricht.

Naja, normal?

+49176 24134... Hey Sugar, dein Daddy hat's glaube ich übertrieben. Ich habe einen Fehler gemacht, denke ich. Ich weiß nicht, ob ich ihn damit verletzt habe. Hilf mir und sag mir, ob du dich verletzt fühlen würdest ♥

J.A.M.I.E Daddy? Das ist neu... Aber gut, wie du willst. Sag mir, was du gemacht hast Daddy ♥

+49176 24134... Ich war bei einem Jungen, er ist wunderschön und ich glaube, dass ich ihn schon sehr lange liebe. Nein, ich bin mir sicher. Ich wollte heute mit ihm schlafen. Wir wurden leider gestört, dabei hat er mich so ängstlich angeschaut. Ich habe Bedenken ihn verletzt zu haben, Baby. Ihm wurde gesagt, dass ich ihn verletzen wollen würde... Wärst du sauer?

J.A.M.I.E Nein, ich wäre nicht sauer. Ich würde mich mit dir hinsetzen und mit dir reden. Was das bedeutet für uns und ... ja, dann würde ich mir nochmal überlegen, ob ich wirklich dein Baby sein wollen würde. Also an seiner Stelle ♥

Offline. Seltsamer Typ, aber irgendwas sagt mir, dass ich mit ihm schreiben sollte und mich ihm öffnen sollte. Vielleicht tut er dasselbe ja bei mir. Vielleicht sagt er mir auch irgendwann, wer er ist und woher ich seine Nummer habe.

Eine gefühlte Ewigkeit bleibe ich am See liegen, schaue in den Himmel und komme ein Wenig zur Ruhe. Eigentlich sollte ich schon längst zu Hause sein, meine Mutter macht sich sicher Sorgen, doch mittlerweile sollte sie eingesehen haben, dass ich alt genug bin.
Doch durch ein Knacken schrecke ich hoch und schaue auf einen Busch, wo ein Hund steht. Ein Hund? Nein, das ist ein Wolf! Was zur Hölle? Hier gibt es keine Wölfe.

Ruhig bleibe ich sitzen und schaue dem Tier nicht in die Augen sondern schaue auf den Boden, sehe dabei im Augenwinkel, wie der große Wolf jedoch langsam näher kommt. Als er vor mir steht schaue ich auf seine Pfoten und sehe, wie sich das Tier hinsetzt und schaue leicht hoch und es macht den Eindruck, dass er lächelt.

Hellgraues Fell und dunkle Augen. Hübsches Tier. Ist er etwa zahm? Ein zahmer Wolf in unserem Kaff wäre schon lange Gesprächsthema. Plötzlich legt er sich hin und leckt über meine Hand. Ich zucke leicht zusammen und streichle ihm danach über den Kopf.

„Jamie!", höre ich plötzlich und zucke erneut zusammen. Diese Stimme kenne ich! Sofort drehe ich mich in die Richtung und keine Sekunde später steht Dylen vor mir und zieht mich hoch. „Halt dich von dem Wolf fern.", zischt er und drückt mich weg. Verwirrt lasse ich das mit mir machen, sehe noch, wie der Wolf aufsteht und scheinbar seinen Kopf schüttelt, ehe er davon trabt.

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Hab Bock gehabt was zu posten :)

Endless Life // [ BoyxBoy] \\ ABGEBROCHENWo Geschichten leben. Entdecke jetzt