Kapitel 8

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Immer noch halte ich Steffis Parfüm in den Händen. Die Erinnerung schmerzen immer noch zu sehr. Wahrscheinlich wäre ich auch noch ewig so dagestanden, hätte es nicht an der Tür geklingelt. "Hey, Andreas! Sylvi und Mama sind da! Kommst du?", reißt Chris' Stimme mich aus meinen Gedanken. Sofort stelle ich die Parfüms an ihre Stelle zurück und verlasse das Bad. "Ach ja, ich wollte ja ein Pflaster auf meine Wunde kleben!", schießt es mir in den Kopf...Naja, egal, jetzt muss ich zu den anderen! Die sind jetzt viel wichtiger! Schnell wie der Wind rase ich die Treppe nach unten, sodass ich im Flur um ein Harr Chris umgerannt hätte. "Wow! Ich kann ja verstehen, dass du dich freust, die beiden zu sehen, aber deswegen musst du mich nicht umlegen!", lacht er nun und öffnet vor mir die Haustür. "Chris, wo ist Andreas?", ist der erste Satz unserer Mutter, bevor sie sich an Chris vorbei durch die Tür schiebt. "Andreas! Mein Sohn! Es tut mir so unendlich leid!" Meine Mama fällt mir um den Hals und drückt mich an sich. "Danke, es geht schon!", versichere ich ihr. Ja, es geht schon. Das rede ich mir eben die ganze Zeit ein. Ich zeige den anderen auch, was sie sehen wollen. Ich spiele ihnen vor, dass ich einigermaßen darüber hinweg bin, so gut es eben geht. Aber ich werde das, glaube ich, nie sein. Nie in meinem ganzen Leben!
Doch ich möchte wirklich auf gar keinen Fall von den anderen bemitleidet und besorgt angeschaut werden! Das ist nämlich fast genauso schlimm. Das ist das, was auch mit am meisten weh tut. Da war Chris ehrlich anders als alle anderen. Er hat am zweiten Tag schon wieder so wie immer mit mir geredet. Zumindest meistens. Und das hat gut getan! Das hat einen nicht ständig wieder an das Geschehene erinnert. Auch meine Schwester begrüßt mich herzlich mit einer gaaaaaaanz langen Schwesterarmung.
Der Nachmittag vergeht so langsam. Wir sitzen alle gemeinsam im Wohnzimmer und trinken Tee. Was sollen wir auch sonst tun? Fröhlich Spiele spielen als wäre nichts passiert? Nein, das geht dann auch wieder nicht! Sylvia hat von uns allen noch am meisten geweint. Sie war auch immer sehr, sehr gut mit Steffi befreundet gewesen und hat viel mit ihr unternommen. Naja, "viel unternommen" und sie war "gut befreundet". Toll! Was ist das schon dagegen wie, wenn man seine Ehefrau verliert. Das ist doch nichts dagegen! Aber diese Gedanken schlucke ich einfach herunter. Obwohl es jedes Mal, wenn der Name Steffi genannt wird, noch so weh tut und mir jedes Mal so heiß wird. Heiß und dann in der nächsten Sekunde eiskalt. Nein, ich beschwere mich nicht, sondern zwinge mich zu einem schwachen Lächeln. Denn das tröstet dann auch die anderen. Und sie machen sich nicht so viele Sorgen.
Irgendwann bei unserem tollen, fröhlichen Gespräch fragt Mama dann plötzlich: "Und wie willst du die Trauerfeier und die Beerdigung planen? Ich meine, da musst du wirklich mit Saskia und André sprechen, sie sind trotz all ihren Taten immer noch Steffis Eltern! Aber wie stellst du sie dir denn vor?" Erschrocken reiße ich die Augen auf. Also auf so eine Frage war ich jetzt nicht vorbereitet. "Mama! Dafür zu planen ist viel, viel zu früh! Es ist erst vor drei Tagen passiert! Lass ihn damit noch in Ruhe!" Chris funkelt unsere Mama vorwurfsvoll an. Okay, in dem Moment, gebe ich zu, fällt es mir unendlich schwer, nicht doch wieder anzufangen zu heulen. Es macht sich in meinem ganzen Körper breit, dieses Gefühl...Dieses elende Gefühl der Sehnsucht und des Schmerzes. Wie ein Ballon bläst es sich in mir auf. Drohend, jeden Moment zu platzen. Dann würde ich einfach beginnen los zu heulen. Zu weinen und zu schluchzen. Aber das darf ich nicht, das habe ich mir vorgenommen. Also unterdrücke ich meine Gefühle und spiele. Kleiner Test im Schauspielern, super, Andreas! Okay, falscher Ausdruck... Furchtbar schwerer, entsetzlich harter, schmerzvoller Test im Schauspielern! So ist es richtig! "Andreas?" Sylvias Stimme holt mich in die Gegenwart zurück. "Äh... Musik! Mit Musik!" Das ist das erste, was mir einfällt. Steffi hat Musik geliebt. Und sie hatte eine wunderschöne, sanfte Stimme. "Musik? Klaviermusik? Das kann ich übernehme!", bietet Chris an und schenkt mir ein schwaches Lächeln. Er lächelt so, als wüsste er, wie ich gerade mit mir selber kämpfe. Als wüsste er, wie es mir in Wahrheit geht. Als könnte er in mich hinein schauen.  "Vielleicht sollten wir das dann einfach auch wann anders besprechen!", meint Sylvia jetzt. Schnell nicke ich. Ich kann nicht anders, auch, wenn ich eigentlich dagegen ankämpfe. "Okay. Also, ich hole mal zwei Matratzen von oben, dann können wir alle nebeneinander auf dem Boden hier im Wohnzimmer schlafen", sagt Chris und verschwindet aus dem Raum. "Das ist eine gute Idee!", meint Mama. Ja, das finde ich allerdings auch. Das ist eine sehr gute Idee! So liegen wir wenig später alle zusammen im Wohnzimmer auf dem Sofa und Matratzen. Chris hat sich dieses Mal schon gleich am Anfang zu mir auf die Couch gelegt. Zum Glück. Denn ich kann irgendwie in seinem Arm besser schlafen als alleine. Naja, jedenfalls bin ich sehr froh, dass er da ist.
"In drei Tagen ist Weihnachten!", flüstert Chris plötzlich aus dem Nichts ins Dunkle hinein. "Ja, ich weiß!", zische ich nur zurück und schließe die Augen. Ja, in drei Tagen ist Weihnachten. Aber das ist doch egal. Völlig egal in unserer Situation. Total unwichtig. Und ich glaube, es wird für uns alle das schlimmste Weihnachten unseres Lebens werden. Leider.

Die Magie des Kämpfens❤ (Ehrlich Brothers Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt