Kapitel 48

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"Bist du morgen wieder in der Werkstatt?", fragt Moritz jetzt. Er versucht, seitdem Mimi die Kids wieder hier abgesetzt hat, mich aufzumuntern. Seine beiden Geschwister sind schon im Bett. Und schlafen ruhig. Würde ich auch gerne...So ruhig schlafen können. Wir sitzen stattdessen hier auf dem Sofa und Moritz redet auf mich ein. Allerdings höre ich ihm eigentlich gar nicht richtig zu. Gedankenverloren schüttle ich den Kopf. "Ah!" Verständnisvoll nicht mein Sohn. "Ist dir eigentlich irgendetwas aufgefallen?" Ich sehe auf. Aufgefallen? Was soll mir aufgefallen sein? Ich zucke mit den Schultern. Keine Ahnung, nein. "Du hast es wohl komplett vergessen, was?" Seine Stimme dringt irgendwie nicht wirklich zu mir durch. Meine Gedanken sind ganz wo anders. Bei Chris in der Küche, um genau zu sein. "Was habe ich vergessen?", erkundige ich mich nun. Werfe aber sogleich wieder einen abgelenkten Blick auf die Küchentür. "Dein Versprechen! Du hast mir versprochen, niemals mehr zu zaubern! Weißt du noch?" Ein irritierter Blick zu Moritz. "Wie kommst du jetzt darauf?", frage ich mit gerunzelter Stirn. Wie kann er mich jetzt, nach dem heutigen Tag, darauf ansprechen?! Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich hatte wegen dieses blöden Versprechens ja eh schon ein mega schlechtes Gewissen! Und ich wusste, dass er es nicht vergessen hat. Er vergisst nie etwas. "Wie ich da drauf komme?" Er schreit fast, aber auch das nehme ich gar nicht wahr. Meine Konzentration lieg ja immer noch wo ganz anders. "Ich habe kein Wort mehr darüber verloren! Ich habe dich nie darauf angesprochen! Und vor allem war ich dir nie böse deswegen! Du hast nicht einmal mehr mit mir gesprochen, bevor du wieder in eure Werkstatt gefahren bist! Du hast dich da sozusagen für die Zauberei und gegen mich entschieden! Das war ein echt mieses Gefühl!", donnert Moritz los. Ach, und ich dachte, er spricht mit mir, um mich aufzuheitern! Falsch gedacht. Ich bringe nur ein abgelenktes "Ja!" zustande. "Bitte? Was "ja"?", ist Moritz entrüstet. Ich schaue abwechselnd überfordert von der Küchentür zu meinem Sohn. "Okay, das war alles echt toll von dir! Dass du das alles so hingenommen hast und nicht böse warst! Okay, ja? Aber jetzt lass mich bitte in Ruhe!", stoße ich ihn von mir weg. Dabei fällt mir sein entgeisterter Gesichtsausdruck gar nicht auf. Auch, dass er jetzt mit zügigen Schritten das Zimmer verlässt, bemerke ich erst zu spät. Aber das geht alles überhaupt nicht an mich ran. Denn mir ist gerade etwas anderes tausendmal wichtiger. Ich lausche. Geschrei. Schon wieder. Aus der Küche. Chris denkt vielleicht, ich würde es nicht hören, aber ich höre es. Ganz klar und deutlich. Jeden Laut und jedes Wort. Und ich hasse meine Situation. Weil ich nichts tun kann. Ich kann nur hier mal wieder auf dem Sofa liegen und mich schämen. Dabei weiß ich nicht einmal, wofür. Weil ich mich an nichts erinnern kann. An nichts des heutigen Abends. Gar nichts. Naja, besser gesagt, ab dem Moment, in dem wir von der Maske aus ins Studio gelaufen sind. Ab da. Alles weg. Unheimlich. Mir wollte auch niemand so richtig etwas darüber sagen, was passiert war, als ich mich auf einer Art Liege außerhalb des Studios wieder fand. Seit dem bin ich wieder voll da. Aber die Erinnerung an die Zeit dazwischen ist wie weggewischt. "Du hattest einen kleinen Aussetzer, weiter nichts! Das war nicht so schlimm!", hat Chris mir nur ausweichend auf meine Fragen geantwortet. Bevor er dann zu Hause von unserer Mutter angerufen wurde. Er telefoniert bis jetzt. In der Küche eben. Und es ist kein schönes Gespräch, so viel ist klar. Nach dem, was ich so verstehen konnte, hat Mama auf irgendeine Weise mitbekommen, dass ich eine Art Aussetzer oder was auch immer hatte, und macht jetzt Chris dafür verantwortlich, weil er mich dorthin mitgenommen hat, obwohl er doch hätte wissen müsste, dass ich für so etwas noch nicht bereit bin. "Er meinte selber, dass er wieder bereit für solche Sachen sei!", hat Chris immer wieder laut wiederholt. Und dann noch Sachen wie "Ja, es geht ihm inzwischen wieder ganz gut!" oder "Dafür kann ich ja nichts!" Doch anscheinend nützt das alles nichts, denn jetzt höre ich meinen Bruder laut brüllen: "Ach, lass mich damit doch jetzt in Ruhe, ich kann ja nichts für das alles!" Dann ertönt eine Mischung aus eben Scheppern und einem Klirren. Erschrocken hebe ich den Kopf. "Scheiße!", ertönt es nun von nebenan. Oh je, ich muss zu ihm. Ihm helfen. Ihm versichern, dass er für alles, was auch immer passiert ist, echt nichts kann! Dass nur ich schuld bin. Also flitze ich zur Küchentür. Und dann stehe ich auch schon in der Küche. Und sehe, was so geknallt hat. Chris' Handy. Er muss es wirklich mit seiner gesamten Kraft in die andere Ecke des Raumes geschmettert haben, sonst sähe das Handy oder das, was es mal war, jetzt nicht so aus. In mindestens tausend Einzelteile ist es zersprungen, welche Chris gerade verzweifelt aufsammelt. "Chris, alles gut?", frage ich entsetzt, als ich auch sehe, dass ihm eine Träne die Wange herunter läuft. Was für eine bescheuerte Frage...Natürlich ist nichts gut. "Ja!", wimmert er jetzt aber und wischt hastig mit seinem Handrücken über seine Wange. Die Träne weg. "Chris, was ist passiert? Was hat Mama gesagt? Und wie hat sie von all dem Chaos mitbekommen?", sprudeln die Fragen aus mir heraus. Ich will das jetzt wissen! "Das solltest du dir echt wann anders anhören, nicht jetzt!", zischt Chris nur als Antwort und pickt weiterhin die Splitter seines Handydisplays auf. Seufzend beginne ich, ihm dabei zu helfen. Was soll ich auch machen? Ich kann ihn nicht zwingen, mit mir zu sprechen. Leider. "Du musst mir nicht helfen, das habe ich gar nicht verdient! Ich bin doch an allem schuld! An allem! Immer Chris. Chris ist schuld und Chris hat es kaputt gemacht! Immer Chris! Ich bin ein schlechter Mensch und..." "Hey, Stopp!", rufe ich entsetzt. Was war das denn? Selbsthass? Oder Ironie? Oder einfach Wut? Egal, was es war, es muss aufhören. "Chris, du bist der beste Bruder, den man sich vorstellen kann! Ich bin dir so dankbar und Mama war wahrscheinlich nur aufgeregt wegen..." Ich stocke. Ich weiß ja nicht, was vorhin geschehen ist. Aber, wenn Chris sein Smartphone gegen die Wand wirft, muss es schlimm sein. Angst kriecht in mir hoch. Was habe ich da nur während des Drehs der Show gemacht? Bin ich irgendwie ausgerastet? Habe ich geweint oder so? Hilfe, ich kann alles gemacht haben! "Aber in seinem Zustand kann Andreas das alles doch gar nicht beurteilen, da musst du schon für ihn entscheiden!", äfft Chris unsere Mutter verächtlich nach. "Die hat doch einen Vollschaden!" Er schreit richtig. Oh, was ist da bloß passiert, dass unsere Mama so ausrastet? Sie ist doch sonst so ein ruhiger, ausgeglichener Mensch! Wie kann man sie so wütend machen? Chris ist jedenfalls nicht an allem schuld, so viel ist klar! Und egal, was ich getan habe, er konnte nichts dafür! Es ist echt ein beschissenes Gefühl, keine Ahnung zu haben, was man selbst gemacht hat. Das Gefühl verunsichert einen total. Scheiß Gefühl!

Na? Spannend?^^

Die Magie des Kämpfens❤ (Ehrlich Brothers Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt