Kapitel 29

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Chris macht uns die Tür auf. Und als er uns erblickt, seufzt er. So erleichtert und doch so traurig. Ohne ein Wort nimmt er mir Moritz, der inzwischen angefangen hat, stark vor Kälte zu zittern, von meinem Arm und drückt ihn einmal kurz. Dann holt er aus dem Wohnzimmer zwei Decken und legt sie uns beiden um. Ohne ein Wort führt er uns zu unserem Sofa, drückt uns darauf und verschwindet in der Küche. Kurz darauf kommt er mit zwei dampfenden Tassen wieder und hält uns je eine hin. Dankbar nehmen wir sie entgegen und setzen die Becher gleichzeitig an die Münder. Eine wohlige Wärme macht sich in mir breit. Beide trinken wir den heißen Tee mit einem Schluck aus und stellen die Tasse genau gleichzeitig auf den Tisch vor der Couch. Dann lassen wir uns nach hinten in die Kissen fallen und keine Minute später ist Moritz neben mir auch Chris schon eingeschlafen. War sicher einfach alles zu viel für ihn...Mein kleine Großer. Da liegt er. Mit verwuscheltem Haar, dreckiger Haut und schmutziger Kleidung. Völlig durchnässt. Sanft streiche ich ihm über den Kopf und kuschle ihn noch wärmer in die Wolldecke ein. Dann wende ich mich an Chris, der neben uns an der Wand lehnt. Mit einem so vielsagendem Blick im Gesicht. Mit diesem unglücklichen Lächeln, das eigentlich schon für sich spricht. Plötzlich stehe ich auf und Chris stößt sich noch im selben Moment von der Wand ab. Wie von selbst tappen wir auf einander zu und fallen uns im nächsten Augenblick schon in die Arme. "Er...Er hat versucht, sich...", beginne ich, aber mein Bruder unterbricht mich sofort. "Ich weiß! Ich habe es geahnt. Irgendwie. Warum auch immer. Der Junge tut mir so leid!" Er löst sich wieder von mir. "Wir erkundigen uns gleich, was wir jetzt tun und an wen wir uns am besten wenden!" Ich nicke. Ja, das müssen wir wohl. Aber es ist gut, dass er ruhig bleibt. "Ich gehe mal nach oben! Mama und Sylvi spielen dort mit Lotta und Michel! Den ganzen Tag schon! Ich weihe sie mal ein in alles, damit wir zusammen etwas beschließen können! Und du solltest dich in der Zwischenzeit mal umziehen! Ich habe dir Sachen da drüben hingelegt! Bis später!" Er ist schon fast aus der Tür, als er sich noch einmal zu mit umdreht. "Andreas?" "Ja?" "Du würdest so etwas doch niemals machen, oder? Versprich mir das!" Ich nicke sofort. "Ja, natürlich! Ich könnte das nicht einmal!", schwöre ich. Chris lächelt. Schwach, aber er lächelt. Dann ist er weg und ich höre, wie er in den ersten Stock läuft. Sogleich streife ich mir die klitschnasse Lederjacke von meinem Körper und ziehe mir stattdessen das weiße T-Shirt an, welches mir Chris bereit gelegt hat. Dann noch die Jogginghose gegen eine lockere Jeans getauscht...Und schon sehe ich wieder viel besser aus! Als ich mich im Spiegel betrachte kann ich erkennen, dass der Rege zumindest fast auch das Puder abgespült hat. Na wenigstens etwas! Nachdenklich betrachte ich mein Spiegelbild in Spiegel. Vor zwei Wochen. Da war ich doch noch so glücklich! So happy. So zufrieden. Und jetzt? Jetzt bin ich ein Häuflein Elend. Und nicht nur ich...Meine ganze Familie! Michel, Moritz, Chris, Sylvia, Mama und ich. Uns allen geht es gelinde ausgedrückt "beschissen". Alles andere wäre gelogen.
Eine halbe Stunde später sitze ich auch schon mit Chris vor meinem Computer. Wir suchen Ratschläge für Situationen wie die, in der wir uns gerade befinden. Und nun haben wir endlich eine Nummer von einer Psychologin für Kinder und Jugendliche aus Herford gefunden...Da will ich jetzt auch anrufen...Um einen Termin zu machen...Nur Mut, Andreas! Anders geht's nicht! Du möchtest Moritz doch helfen. Und du selbst hast doch keine Ahnung, was jetzt am besten für ihn ist! Also... "Guck, es sind gerade sogar Anrufzeiten! Perfekt!", freut sich Chris und tippt auf den Laptopbildschirm. Ah...Wie toll! "Nimm deine Finger vom Bildschirm, sonst wird der noch dreckig!", befehle ich Chris mies gelaunt wie einem kleinen Kind. "Ja, ja!" Chris gibt mir dann auch schon die Telefonnummer durch und ich tippe sie in mein Handy. "Na dann, auf gut Glück!", zische ich und drücke auf den grünen Hörer. Tuuut....Tuuut... "Guten Tag, hier spricht Fr. Meyer, Sekretariat Psychologiepraxis Dr.Heilman, mit wem habe ich denn das Vergnügen?", meldet sich eine nette Stimme. Vergnügen...Pah, dass ich nicht lache! Von wegen Vergnügen! "Andreas Reinelt hier, guten Abend! Ähm...Also ich würde gerne einen Termin mit..." "Fr.Dr.Heilmann machen? Aber natürlich!", unterbricht mich die Sekretärin. "Möglichst schnell bitte!", füge ich noch hinzu. Ich will wirklich nicht, dass Moritz noch etwas passiert. Wirklich auf keinen Fall. "Okay, also morgen Nachmittag von drei bis circa fünf hätte die Fr.Doktor noch einen Termin frei, ginge das?" "Ja, das wäre perfekt!", antworte ich und schlucke. Naja, ist ja kein Wunder, dass mir das alles so nahe geht! Ich hätte fast meinen Sohn verloren! Also. Ich muss mich gar nicht rechtfertigen. Ja. Und doch fällt mir das alles so schwer. Und der Gedanke daran, morgen mit irgendeiner fremden Frau über alles reden zu müssen, macht das ganze auch nicht besser...Hach...Ich lege auf und blicke in Chris' neugieriges Gesicht. "Morgen!", kläre ich ihn auf. "Sehr gut, Andreas!", mein Chris und streicht mir tröstend über den Arm. Ja, Trost...Den kann ich gut gebrauchen!

Die Magie des Kämpfens❤ (Ehrlich Brothers Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt