Kapitel 38

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Die zwei Tage im Krankenhaus waren ehrlich auszuhalten. Ich las drei dicke Bücher, die Chris mir alle von zu Hause mitbrachte, als er mich besuchte, bekam Essen, von dem ich nicht wirklich etwas aß, und vor allem war ich mal für eine kurze Zeit weg von zu Hause. Ich meine, ich hätte natürlich gerne meine Kids um mich gehabt, aber hier wurde man nicht immer an das Geschehene erinnert. Und das tat gut. Sehr gut. Aber ich durfte auch wie geplant am übernächsten Tag wieder nach Hause ziehen, wo sich dann die unangenehmen Sachen nur so reihten. Erst musste unserer Schwester abreisen, da ihr Chef ihr keinen längeren Urlaub geben wollte. Darüber regten wir uns alle furchtbar auf. Blödmann, dieser Chef! Und einfühlsam wie eine Schnecke! Wir hätten sie so gerne noch ein bisschen hier bei uns behalten, aber sie musste zurück. Nach Dresden. Da wohnt sie, unsere liebe Schwester. Seit einem Jahr. Weil sie dort bessere Arbeit gefunden hat als hier in Bünde. Naja, jedenfalls musste sie leider fahren. Danach rief unser Stagemanager Budda uns an, um uns mitzuteilen, dass wir uns ganz dringend einmal treffen müssten. Er sagte, er möchte uns sehen und mit uns über die Tour sprechen und darüber, wie nun alles weiter gehen soll. Nicht schön. Irgendwie. Ich meine, ich liebe unsere Crew. Jedes einzelne Mitglied. Aber ich möchte Ihnen wirklich nicht gerne in meinem momentanen Zustand gegenübertreten. Ich will vor ihnen stark wirken und nicht so schwach und verletzlich. Aber das kann ich ihnen ja nicht als Ausrede sagen.
Und dann erhielten wir auch noch eine Anzeige der zwei Familien der anderen beiden Frauen, die bei dem Unfall beteiligt gewesen wären. Sie hatten überlebt. Alle beide. Und zwar locker. Nur ein bis zwei Brüche! Oh, wie mich das ärgerte! Naja, ärgerte ist nicht das richtige Wort...Egal. Okay, das ist nicht nett von mir. Wirklich, Andreas, freu dich für sie! Dass die Familien nicht das gleiche durchmachen müssen wir ihr. Aber ich kann das nicht. Es ist doch ein wirkliches Pech, dass ausgerechnet Steffi gestorben ist! Mann! Scheiße! Alles scheiße! Folglich sitzen wir jetzt schon mindestens zwei Stunden bei einem Anwalt. Chris und ich. Wobei, eigentlich sitzt Chris alleine auf diesen unbequemen Stühlen dem Anwalt gegenüber. Ich bin geistig total abwesend! Ich muss über alles nachdenken. Über Steffi, über die Zauberei und über Moritz. Der ist übrigens regelmäßig zu Frau Dr. Heilmann gegangen. Brav, brav. Hat Chris für mich im Auge behalten. Und...Aua! Mein Bruder hat mir unter dem Tisch gegen mein Schienbein getreten. Erschrocken sehe ich zu Chris. Dieser nickt mit seinem Kopf einmal kurz in Richtung von Herrn Uhu. Dem Anwalt. Ja, er heißt Herr Uhu und er sieht eigentlich auch aus wie ein Uhu. Zumindest erinnert er mich an einen. Er trägt eine schwarze Brille mit dicken Rändern, hat zwei riesige Augen, die irgendwie aus seinem Gesicht herausstechen, und kleine, schmale Ohren. Uhu eben! "Soll ich meine Frage noch einmal wiederholen?", zwitschert der Uhu jetzt und ich nicke geistesabwesend. "Haben die beiden Personen einen Zettel unterschrieben, auf dem sie bestätigen, dass sie auf eigene Gefahr hin auf der Bühne handeln?" Seine Worte hallen alle in meinem Kopf nach. Jedes einzelne mindestens fünf mal. Schließlich schüttle ich meinen Kopf. "Wir haben eine Show! Da holen wir dauernd Leute auf die Bühne! Und das muss schnell gehen, da kann man nicht mal kurz mit Papier und Stift ankommen! Und bisher ist noch nie etwas geschehen!", murmle ich leise. So ein dummer Uhu! Als ob wir während unserer Show mit solchen Formularen anrücken würden... "Tja, aber genau das ist eben passiert! Es ist ein Unfall geschehen und Sie müssen leider Gottes dafür bürgen, da Sie die Veranstalter der ganzen Show sind! Allerdings sind es natürlich mildernde Umstände, da Sie die Personen nicht absichtlich verletzt haben und die Personen freiwillig auf die Bühne gekommen sind. Aber die Kosten für die Krankenversorgung der beiden Personen müssen Sie leider wohl oder übel übernehmen, das geht nicht anders!" Der Uhu sieht mich durch seine Uhu-Brille mitleidig an. "Ja, natürlich bezahlen wir diese Kosten! Ist ja klar! Und das machen wir auch sofort, egal wie hoch die Summe ist!", brumme ich sogleich. Ich will einfach mit dem Thema abschließen! Für immer! Und ich übernehme auch alles. Alle Kosten und allen Ärger! Sofort, dann ist es schneller abgehakt. Für immer! Ich will einfach damit abschließen. "Ja, natürlich, das sehe ich genauso!", meint auch Chris jetzt und lächelt mir aufmunternd zu. Lieber Bruder. "Okay, dann gebe ich Ihnen Bescheid, sobald ich weiß, wie hoch die Kosten sind! Alles okay mit Ihnen?" Die Frage ist wohl an mich gerichtet. Ja, ist eigentlich alles mit mir okay? Das frage ich mich auch langsam. Ich habe nämlich seit es passiert ist fast nichts gegessen. Und das sind jetzt immerhin schon bald vier Wochen! Nur dann und wann einen Löffel Suppe oder Mimi zu Liebe ein bis zwei Butterbrote und jetzt eben ein kleines bisschen Krankenhausessen. Steffi hätte sich aufgeregt. Wie sonst was. Weil ich mich nicht richtig ernähre. Pah, aber es geht mir doch eigentlich gut! Zum Glücklichsein braucht man kein Essen! Dazu braucht man nur zwei Sachen. Zum einen Sport, in meinem Fall das Joggen, weil es einen ablenkt, fit hält und Spaß macht, und auf der anderen Seite muss man einfach immer lächeln. Beim Lächeln werden Glückshormone freigesetzt und dann wird man mit der Zeit wirklich glücklich. Super glücklich und total zufrieden! Rede ich mir zumindest ein. "Andreas? Alles gut?" Chris und der Uhu starren mich beide ein wenig besorgt an. "Ja, ja! Alles gut!", nuschle ich schnell und zwinge mich zu einem Lächeln. Ein unechtes Lächeln. Und wenn ich es mir so überlege, macht so ein unechtes Lächeln vielleicht doch nicht so glücklich.

Die Magie des Kämpfens❤ (Ehrlich Brothers Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt