Kapitel 22

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Müde starre ich auf den Fernseher. Wir sehen jetzt schon mindestens zwei Stunden Tom und Jerry. Weil mir nichts anderes eingefallen ist und ich überhaupt keine Lust auf irgendwelche Spiele habe. Aber ich sehe irgendwie mehr durch den Bildschirm hindurch. Die Handlung nehme ich gar nicht richtig wahr. Mein Blick wandert nach rechts zu Moritz. Er hockt zusammen gekuschelt auf einem roten Sessel und starrt genau so gedankenverloren durch den Fernseher hindurch wie ich. Und in seinen Augen liegt so viel Trauer. So viel Unglücklichsein. So viel Schmerz. Er hat braune Augen. Genau wie Chris, Sylvia und ich. Aber seine haben sich momentan schon fast schwarz gefärbt. Unheimlich! Sehen meine wohl auch so aus? "Ich gehe mal kurz an die frische Luft! Ich habe bisschen Kopfschmerzen!", meint Moritz nun plötzlich und steht auf. Etwas abwesend nicke ich und zwinge mich zu einem Lächeln. "Okay! Aber du kommst gleich wieder?" "Klar! Diesen spannenden Film möchte ich auf keinen Fall lange verpassen!" Er grinst. Ironie lässt grüßen. Ich grinse zurück. Mein Junge! Er ist schon super! Und er ist mir oft sehr ähnlich. Zum Beispiel beim Essen. Er mag genau das gleiche wie ich gerne. Und auch die Zauberei macht ihm immer Spaß! Er möchte sogar selber mal Magier werden. Ja, ich bin ein stolzer Papa! Natürlich bin ich auch stolz auf die beiden kleinen. Sie bedeuten mir genau so viel. Sie sind mir nur nicht so ähnlich. Sie ähneln eher Steffi. Bei dem Gedanken schwindet das Lächeln aus meinem Gesicht. Oh, wie ich sie doch vermisse! Ach, diese blöden Gedanken! So kann man sich gar nicht auf den Film konzentrieren! Auch, wenn er mich eigentlich überhaupt nicht interessiert. Während ich noch gegen meine bösen Gedanken ankämpfe, verlässt Moritz das Haus. Ich höre die Haustür laut ins Schloss fallen. "Was ist das da, wo Jerry sich drin versteckt hat?", fragt Michel mich und ich bin natürlich völlig von seiner Frage überfordert. Wie soll man auch Fragen zu einem Film beantworten, wenn man keine Sekunde den Film beachtet hat? Unmöglich! "Das...Äh...Keine Ahnung! Das weiß ich nicht, das war wirklich schlecht dargestellt!", meine ich deshalb schnell und versuche, mich ernsthaft auf den fluchenden Kater zu konzentrieren, der gerade wütend hinter Jerry her rast und sie knapp verfehlt. Wie immer eigentlich...
Ich öffne meine Augen. Und sehe unsere Decke. Schöne Decke! Schön weiß. Etwas langweilig. Naja. Ich hebe meinen Kopf etwas an. Der Film läuft immer noch. Mist, ich bin eingeschlafen! Dabei habe ich mich wirklich angestrengt, dem Film zu folgen. Ich sehe mich um. Michel guckt immer noch aufmerksam Tom und Jerry und die Kleine ist eingeschlafen. Wie ich. Süß! Aber Moritz...Müsste er nicht längst wieder da sein? Besorgt springe ich auf. Wie lange habe ich wohl geschlafen? Er wollte doch nur ganz kurz raus! "Hey, wie lange habe ich schon geschlafen?", erkundige ich mich bei Michel. "Woher soll ich das denn wissen? Keine Ahnung!", lacht der nur.  "Ich bin gleich wieder da, okay? Ich schaue schnell mal nach Moritz!", meine ich hektisch. Dann stürme ich aus dem Zimmer. Durch den Flur. Durch die Haustür. Ohne Jacke. Verheerender Fehler! Boa, ist das kalt nur um T-Shirt! Ist ja auch Winter! Egal, wo ist Moritz? Wo kann er sein? Im Garten? Schnell laufe ich einmal um das Haus herum und stoße die Gartenpforte auf. Und schon höre ich das Schluchzen. Ganz leise, und doch ist es da. Ganz deutlich. Ich sehe mich um. In der Dunkelheit kann ich nur erahnen, wo sich Moritz befindet. Also lasse ich mich von dem leisen Weinen leiten und tappe langsam vorwärts. Weiter und weiter. Immer dem Schluchzen nach. In Socken durch das feuchte Gras. Weiter und weiter. Hier müsste doch jetzt irgendwo...Aua! "Verdammt!", fluche ich, als ich leider mit voller Wucht gegen unsere Schubkarre stoße. Warum muss eigentlich immer alles im Weg stehen? Ein Kichern ist zu hören. Na immerhin hat er jetzt seinen Spaß! "Moritz?" "Ja?" Wieder folge ich der Stimme und diesmal komme ich schon nach drei Schritten an unserer großen Hollywoodschaukel an. Da sitzt er ja! Endlich gefunden! Seufzend lasse ich mich neben meinen Sohn auf die Sitzfläche fallen. "Kann ich irgendetwas für dich tun?", frage ich nach einem kurzen Schweigen. "Nein!", kommt es sofort zurück. "Kommst du wieder mit rein?" "Ja, gleich! Hier ist so schöne, frische Luft! Hier kann man viel leichter frei von allem sein!", antwortet er. Na gut. Dann bleiben wir eben noch kurz. Inzwischen bereue ich, dass ich keine Jacke mitgenommen habe.  Naja, ich bleibe jetzt hier. "Oder doch!", meint Moritz plötzlich. Ja! Sehr gut! Er will doch wieder rein! Wie schön! "Na dann! Komm!" Ich taste nach seiner Hand. "Nein, ich meine, du kannst doch etwas für mich tun!" Ach so...Schade! Was kommt jetzt? "Und was wäre das?", frage ich schnell. Egal, was es ist, ich möchte es machen! Für ihn. Damit er glücklich ist. Es geht ihn nämlich genau so schlecht wie mir und Michel. Das gibt er nur nicht zu. "Du darfst nie wieder..." Er stockt. Und ich bin gespannt. Wie ein Flitzebogen. Was kommt jetzt? Lügen? Uns alleine lassen? Weg gehen? Aber "Du darfst" klingt irgendwie schon nicht so toll... "Zaubern!", beendet Moritz seinen Satz mit fester Stimme und ich zucke zusammen. Bitte was? Was verlangt er von mir? "Aber...Wieso?" "Weil die Zauberei uns schon Mama genommen hat. Sie soll uns nicht auch noch dich nehmen! Wir brauchen dich!" Stille. Okay, ich bin sprachlos. Er hat die Zauberei doch auch immer so sehr geliebt! Wie kann er jetzt so etwas sagen? "Versprich es!", fordert er nun. "Nein! Nein, das will ich nicht! Du forderst zu viel! Das kann ich nicht!", schreit eine Stimme in meinem Kopf. Auf der anderen Seite möchte ich ihn nicht enttäuschen und fühle mich auch erstmal nicht zur Zauberei hingezogen..Aber das kann sich ja vielleicht irgendwann wieder ändern. Und wir können doch nicht alles, was wir aufgebaut haben hinschmeißen! Unsere Tricks, die Firma, unsere Crew. Es hat Jahre gedauert, das alles einzurichten, bis es perfekt war. Es ist zwar nur ein kleines Versprechen, aber Moritz klingt so ernst. Hilfe, was soll ich machen? "Das ist doch nur ein kleines Versprechen! Ein Satz! Das hat er doch gleich wieder vergessen!", sage ich mir selber in Gedanken und doch bin ich hin und her gerissen. Er bedeutet mir so viel! Aber das Zaubern auch...
Familie oder Zauberei?

Die Magie des Kämpfens❤ (Ehrlich Brothers Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt