Kapitel 49

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Geschafft! Das Aufsammeln. Die ganzen Teile liegen auf der Küchenablage. Endlich. Was für eine Arbeit! Hat ewig gedauert. Aber jetzt liegen sie da. Ich atme aus. "Es ist schon fast drei!", stelle ich dann gähnend fest. Eigentlich ein kleiner Hinweis darauf, dass wir jetzt schlafen gehen sollten. Dass wir uns jetzt beide in unsere Betten legen sollten und einfach schlafen sollten. Aber entweder versteht Chris meinen versteckten Wink nicht oder er will ihn nicht verstehen.  "Und was wollen wir jetzt machen? Noch ne Runde nach draußen?" Er grinst mich auffordernd an. Ein Grinsen. Nach so einem Tag. Muss man erstmal schaffen. Und eigentlich bin auch ich mir sehr sicher, dass ich kein Auge zutun könnte. Also, warum nicht? "Nach draußen geht doch immer!", antworte ich so und lächle ebenfalls. Vielleicht ist es das beste, jetzt einfach mein Leben zu genießen bis zu dem Punkt, an dem ich erfahre, was da mit mir passiert ist. Ja, das klingt gut. Guter Plan. Ich kann ja auch nichts mehr an der Sache ändern. "Na dann!" Wir gehen beide in den Flur, werfen uns unsere Jacken über und verschwinden in die Dunkelheit. Boa, tut die frische Luft gut. Sie ist kalt und klar. Wunderschön! Auch Chris atmet einmal tief durch. Nebeneinander schlendern wir einfach in die Schwärze der Nacht hinein. Hier kennen wir alles so gut. Auch im Dunklen. Hier sind wir aufgewachsen. Hier haben wir als kleine Kinder immer  verstecken gespielt. Hier kennen wir jeden Fleck. Wirklich jeden. Hier sind wir zuhause. Schweigend laufen wir immer weiter. "Und was ist, wenn jetzt eines der Kids aufwacht und zu uns will?", fragt Chris plötzlich. Für einen Moment ringe ich mit mir, nicht zurückzugehen. "Dann wird es kurz warten müssen!", gebe ich dann aber doch zurück. Ich weiß, das ist echt nicht nett, aber ich möchte jetzt einfach raus. Draußen sein. Alles loslassen. Alles für einen Augenblick vergessen. Nur für einen Moment. Einfach alles vergessen. Mich vergessen. Nur mit Chris hier entlang laufen. "Weißt du noch?", will Chris auf einmal wissen. Trotz der Dunkelheit weiß ich genau, dass wir gerade neben der alten Eiche stehen. Als Kids sind wir so häufig hinauf geklettert. Sehr oft. Und einmal ist Chris so hoch hinauf geklettert, dass er sich nicht mehr hinunter getraut hat. Er konnte eigentlich überhaupt nichts mehr machen, weil er zum ersten Mal in seinem Leben diese blöde Höhenangst gespürt hat. Armer Chris. Jedenfalls ist unser Papa damals dann auch schimpfend auf den Baum gestiegen, da die dicken Äste auch ihn aushielten. Und ich weiß zwar nicht wie, aber irgendwie hat er es geschafft, Chris unversehrt abgesehen von ein paar Schürfwunden zurück auf den Boden zu bringen. Auf seinen Arm. Und gleichzeitig kletternd. Er war schon mutig, unser Papa. Bei diesem Gedanken steigen mir sofort Tränen in die Augen. Zu sehr schmerzt die Erinnerung. Aber sie ist das einzige, was und geblieben ist. "Natürlich!", gebe ich also zurück und grinse. "Ob die Eiche uns wohl noch trägt?" "Sicher! Aber das sollten wir vielleicht bei Tageslicht testen!", lache ich und auch Chris prustet los. "Ich kann mich noch so gut daran erinnern, wie ich als Kind...", beginnt er da. "So hoch geklettert bin, dass Papa mich runterholen musste? Na klar weiß ich das alles noch! Ich stand ja unten!", führe ich den Satz meines Bruders zu Ende. "Ja, genau. Er war so stark!" Chris' Stimmklang hat gewechselt. Von fröhlich zu einer Mischung aus Trauer und Sehnsucht. Er spürt genau das gleiche wie ich. Das weiß ich einfach. "Ja, das war er!", stimme ich ihm sofort zu und taste im Dunklen nach der Hand meines Bruders. Dann drücke ich sie ganz fest. Für einen Moment sind wir beide still. Hängen unseren Gedanken nach. Jeder für sich. Und doch bin ich mir sicher, dass wir an das selbe denken. So stehen wir da. Um ungefähr vier Uhr nachts draußen in der Dunkelheit. Unter der Eiche. Hand in Hand. Als Brüder. Nicht als Künstler oder als Magier. Als Brüder. Ganz menschlich. Einfach wir.

Die Magie des Kämpfens❤ (Ehrlich Brothers Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt