25. Kapitel - Wut

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25. Kapitel - Wut

Noch vor sechs Wochen war mein Leben perfekt. Es hatte sich gut angefühlt, ich war glücklich und voller Lebensfreude. Ich war gespannt auf mein letztes Schuljahr und hoffte sehr, dass es mit einem dualen Studium als Business Administrator bei einem Unternehmen klappte.
Heute, sechs Wochen später, stand ich vor den Scherben meines Lebens. Aus der schönsten Zeit in meinem Leben wurde ein Disaster. Der erste Schultag stand vor mir und noch immer hatte ich das, was geschehen war, nicht verdaut. Krampfhaft versuchte ich die Tränen und die Wut zurückzuhalten. Oft kam es vor, dass der blanke Hass in meinen Augen auftauchte und nicht mehr viel fehlte, ehe ich mich in ein eiskaltes Monster verwandeln würde.
Mit geballten Fäusten und einem eiskalten Blick betrat ich das Schulgelände. Seit gestern hatte ich eine Maske aufgesetzt, eine Maske, die nicht zeigte, was ich fühlte oder dachte. Der Tag würde schwer werden. So wie der Tag gestern war und der Tag morgen sein wird und alle anderen Tage. Langsam bekam ich Angst. Angst vor der Zukunft. Angst vor dem, was noch kommen würde.

Ich ignorierte die Blicke der anderen. Die meisten wussten schon, was geschehen war. Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, noch bevor ich es selber hatte realisieren können.
In mir war alles leer und still. Vivi stand neben mir. Ihre Augen waren gerötet und alles an ihr wirkte heruntergekommen. Sie war nicht so stark, wie ich. Es war auch ihr letztes Jahr, da sie noch G9 und ich G8 war, würden wir gleichzeitig aufhören.
"Ich schaffe das nicht", flüsterte sie, als auch ihr aufgefallen war, dass uns alle beobachteten.
Mike war bereits bei seinen Freunden. Sie würden ihm helfen, genauso wie ihre Familien.
"Ich kann nicht", sagte Vivi gequält und als ich sie genauer betrachtete, sah ich wieder die Tränen in ihren Augen, ehe sie zur Mädchentoilette stürzte. Ein paar ihrer Freundinnen hatten es bemerkt und liefen ihr direkt nach.
Meine Freunde waren an ihrem üblichen Platz aber ich ignorierte sie. ich wollte mit niemanden sprechen, ich wollte nur alleine sein, meinen eigenen Gedanken nachgehen und am liebsten aus dieser Hölle namens "Leben" verschwinden. Das war kein Leben mehr. Innerhalb zwei Wochen war aus dem Leben die Hölle geworden und die Hölle war grausamer als jeder Tod.

Müde und geschafft erreichte ich schließlich den Raum, in dem ich jetzt Deutsch haben würde. Nach und nach kamen auch die anderen, die jetzt mit mir Unterricht hatten.
"Hey, alles okay?", erschrocken sah ich auf und sah in das leicht unsichere Gesicht von meinem Kumpel Yannik. Statt einer Antwort zuckte ich bloß mit den Schultern. Er nickte und setzte sich schließlich neben mich.
"Ich bin für dich da, wir alle. Wenn was ist, wir stehen hinter dir und wenn du Hilfe brauchst, sag bescheid", meinte er noch, ehe seine Sachen aus dem Rucksack holte. Wieder nickte ich. Es gab einfach keine Worte für das, was geschehen war und wahr haben, wollte ich es noch lange nicht.

Die ersten Unterrichtsstunden zogen sich brutal. Nach zwei Stunden Deutsch hatte ich schließlich zwei Stunden Chemie, in denen mir alles zu viel wurde. Ohne irgendein Wort zu sagen, stand ich auf und packte meine Sachen zusammen.
Die Lehrerin sah mich erst total verwirrt an, ehe sich ihre Wangen rot färbten und sie einen Schwall vom unmissverständlichen Wörtern losließ, in denen sie im Endeffekt sagte, dass ich mich sofort wieder auf meinen Platz setzen sollte und was eigentlich in mich gefahren war.
Da platzte mir der Kragen. Den ganzen Morgen hatte ich mich zusammengerissen, die scheiß Blicke der anderen ertragen und das ganze Getuschel, das sobald ich vorbei gegangen war, verstummt war.
Ich stellte mich bedrohlich nah vor die Lehrerin, die einen halben Kopf kleiner als ich war und sah ihr direkt in die Augen.
"Mein Vater wurde vor zwei Tagen umgebracht, es ist mir scheißegal was sie mir jetzt sagen, ich gehe jetzt!", sagte ich in einer leisen, klaren, eiskalten Stimmlage, die meine Lehrerin erschrocken zurückweichen ließ. Die anderen hatten meine Worte natürlich mitbekommen und einen raunen ging durch den Kurs.

Zum ersten Mal, seitdem die Polizei mir davon erzählt hatte, sprach ich über das, was passiert war. Die Polizei wusste immernoch nicht was für Motive hinter dem Mord standen oder wer es war. Ich wusste nur, dass er von einer Brücke geschubst worden war und mit voller Wucht von einem Auto erfasst wurde. Der Mörder hatte nicht nur meinem Vater auf dem Gewissen, sondern auch ein junges Mädchen, was um  die 20 gewesen sein muss und auf dem Weg zu ihren Eltern war.
Sofort keimte die Wut wieder in mir auf, ich musste hier raus.
Schnell lief ich aus dem Raum und dann die Treppen hinunter auf den Schulhof und schließlich zur Bushaltestelle. ich wollte weg. Die Polizei tappte im Dunkeln aber ich hatte eine Idee, jemand, der auf jeden Fall wissen musste, warum Papa sterben musste.

Meine Mutter.

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Ihr fragt euch sicher, wieso er nicht wirklich deprimiert rüberkommt. Aber wenn jemand voller Wut ist, vergisst man die Trauer und realisiert sie erst paar Tage später, die Trauer wird in einem der nächsten Kapiteln noch deutlicher werden.... ich hoffe ihr seid nicht allzugeschockt.

Nimon! (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt