33. Kapitel - ein letzter Kuss

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33. Kapitel -  ein letzter Kuss

Geschockt starrte ich auf die SMS. Wer war in der Lage, mir so etwas anzutun? Vor allem nachdem was alles passiert war? Ich brauchte Simon, noch mehr als die Luft zum Atmen, mit ihm vergaß ich einfach alles andere um mich herum, ich brauchte ihn einfach.
Sofort wählte ich Simons Nummer und hoffte sehr, dass er ans Handy gehen würde.
Nach dem vierten Klingeln, ich hatte schon fast die Hoffnungen aufgegeben, nahm er ab.
"Was ist?", zischte er und ich merkte sofort, dass er geweint hatte. Das passte ganz und gar nicht zu Simon. Wieso hatte er geweint? Was hatte in der Nachricht geschrieben, die ihn so aus der Fassung gebracht hatte?
"Wo bist du?"
"Geht dich n' Scheiß an"
"Sag schon"
Mit einem Seufzen gab er nach und er sagte, dass er an der Bushaltestelle sitzen würde.  Ich befahl ihm sich keinen Zentimeter zu bewegen, stopfte mein Handy in die Tasche, rannte die Treppen runter - wobei ich mich fast hinlegte - zog mir in windeseile meine Schuhe und meine Jacke an und rannte zu der nahgelegenen Bushaltestelle.
Erleichterung machte sich in mir breit, als ich Simon an der Bushaltestelle sitzen sah. Er starrte auf den Boden und selbst als ich bei ihn angekommen war und mich neben ihn gesetzt hatte, sah er nicht einmal auf.
"Was hat er, was ich nicht habe?", fragte er leise und eine kleine Träne rann seine Wange hinunter.
"Ich habe keine Ahnung wovon du sprichst, aber lies das mal"
Ich zeigte ihm die Nachricht von "Mr. X" und stupste ihn leicht an, damit er sich dazu aufraffte, es wenigstens kurz anzusehen.
Seine Augen weiteten sich, als er die SMS durchlas.
"So ein Arsch! Dieser Scheiß Mr. X soll endlich die Fresse halten!"
Simon drückte mir einen Kuss auf die Wange.
"Er hat mir geschrieben, dass du was mit Raffael am laufen hast", sagte Simon leise und kuschelte sich an mich.
Heftig schüttelte ich den Kopf.
"Nein! Niemals! Ich liebe NUR dich, sonst niemanden"
"Wir müssen unbedingt herausfinden, wer diese dämlichen SMS schreibt"

Wir saßen noch einige Minuten an der Haltestelle und spekulierten, wer diese Nachrichten geschrieben haben könnte, aber uns wollte einfach nicht einfallen, wem wir sowas zutrauen konnten.

"Auch das noch", Simon deutete in eine Richtung, wo Dennis und Vivi Hand in Hand auf uns zukamen.
"Boah, auf die habe ich ja gar kein Nerv. Lass mal verschwinden"
Ich sprang auf und zog Simon mit mir.
"Wohin denn?"
"In die Stadt, auf die habe ich absolut keine Lust", sagte ich und schon liefen wir los. Ich hörte meine Schwester nach mir rufen aber das war mir in dem Moment mehr als egal, ich hatte einfach keinen Nerv auf die beiden, vor allem nicht auf Dennis.

Zwanzig Minuten später saßen Simon und ich in einem kleinen Café direkt neben dem Park. Weder er noch ich waren jemals hier gewesen, aber das Café war so gemütlich eingerichtet, dass es einem so vor kam, als wäre man an einem ganz anderen Ort.
Simon nippte an seinem Latte Macchiatto, während ich an meinem Keks knabberte. Jeder ging seinen eigenen Gedanken nach und doch hatte ich das Gefühl, dass wir beide über das selbe nachdachten.
Ich hatte Angst. Angst davor, dass Mr. X es noch schaffen würde unsere Beziehung zu zerstören, oder Selina, Alex oder Sina.
"Ich bin eben auf Toilette", sagte Simon, stand auf, gab mir einen kurzen Kuss auf die Stirn und ging dann in Richtung einer kleinen Tür wo "WC" drüberstand.
Während ich auf Simon wartete, überlegte ich wie ich rausfinden konnte, wer dieser "Mr. X" war. Es musste irgendjemand aus meinem näheren Umfeld sein, wahrscheinlich sogar jemand, dem ich das absolut nicht zutrauen würde. Alex, Sina oder Selina wäre viel zu auffällig. Anscheinend war da noch jemand, der mit unserer Homosexualität nicht klar kam. Die Frage war nur wer.

Als Simon nach zehn Minuten immer noch nicht von der Toilette wiedergekommen war, entschied ich mich dazu, nach ihm zu sehen.
"Simon?", fragte ich leise, sobald ich bei der Herrentoilette ankam und gegen die Tür klopfte. Ein leises Schluchzen drang durch die Tür und sofort zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen.
"Schatz? Was ist los?" Vorsichtig klopfte ich an die dunkelbraune Tür und drückte die Klinke runter, sobald ich hörte, wie er die Tür aufschloss. Simons Anblick erschrack mich. Er saß vor der Toilettenschüssel auf dem Boden, sein Arm blutete und neben ihm lag eine kleine Rasierklinge.
"Oh mein Gott", entfuhr es mir und sofort hockte ich mich neben meinen Freund und nahm ihn in den Arm. Er lehnte seinen Kopf gegen meine Schulter und ich merkte wie mein Shirt an der Stelle nass wurde.
"Ich kann das alles nicht mehr", flüsterte er leise unter Tränen, während er sich weiter an mich schmiegte.
"Was meinst du?"
"Einen auf glücklich machen, obwohl ich es nicht bin. Ich will doch einfach nur mit dir zusammen sein aber stattdessen werden wir nur von irgendwelchen Leuten tyrannisiert. Ich kann das nicht mehr."
Seine Worte trafen mich genau ins Herz. Er wollte mit mir glücklich sein, konnte es aber nicht. Es tat mir weh ihn so Leiden zu sehen und noch mehr verletzte es mich, dass er sich selber Schmerzen zu fügte.
Schnell löste ich mich ausder Umarmung, riss etwas Klopapier ab und drückte es auf die Schnitte auf seinem Unterarm.
"Mach das nie wieder, Schatz, hörst du? Bitte, davon wird die Welt nicht besser", flehte ich ihn an und musste dabei selber die Tränen zurückhalten.
Er sagte nichts dazu, sondern starrte gegen die gefließte Wand der Toilette, ehe er nach paar Minuten sich mit dem Handrücken die letzten Tränen wegwischte und dann ganz abrupt aufstand.
"Lass uns gehen", sagte er bestimmt und ich vagte es nicht, ihm zu widersprechen.
Ich warf das Toilettenpapier in den Mülleimer und folgte ihm schließlich wieder zurück an unseren Tisch, wo wir anschließend bezahlten und nach draußen gingen.

Vor dem Café standen wir schließlich unschlüssig rum und sahen auf den Boden. Etwas hatte sich in diesem Moment verändert. Plötzlich war eine Lücke zwischen uns, eine kalte Distanz.
Ich liebte diesen Jungen aber es machte mich fertig ihn so verletzlich und unglücklich zu sehen.
"Glaubst du, das geht auf längere Zeit gut mit uns?", fragte ich ihn schließlich und sah ihm dabei fest in die Augen. Ich hatte Angst vor dieser Frage, aber sie musste gestellt werden. Seine Antwort verletzte mich dafür umso mehr. Er zuckte einfach mit den Schultern und wich meinem Blick aus.
"Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Du machst mich glücklich, du bist so ein wunderbarer Junge, Nico, aber ich kann das nicht mehr. Ich bekomme so viele schlimme Nachrichten, in der Schule muss ich mich jeden Tag dem Gespotte von meinen ursprünglichen Freunden antun. Im Gegensatz zu dir habe ich fast niemanden, der zu mir hält. Die meisten meiner Freunde stehen plötzlich hinter Alex und Selina und die Stunden in denen wir uns sehen sind auch nicht gerade viele", erklärte er leise. Als er das alles sagte, kam ich zu einer Kurzschlussreaktion.
"Vielleicht sollten wir dann lieber getrennte Wege gehen, Simon. Ich liebe dich über alles, aber alles was ich will ist, dass du glücklich bist und es dir gut geht. Wenn du jetzt sagst, dass es dir innerlich nicht gut geht dann hat das keinen Sinn", sagte ich und versuchte dabei den Schmerz, der sich in mir ausbreitete zu ignorieren.
Tränen rannen über Simons Gesicht.
"Ich habe es versucht, Nico, ich habe es wirklich versucht", flüsterte er leise, umarmte mich und gab mir einen kleinen Kuss auf die Lippen, ehe er wieder zwei Schritte zurückwich.
"Ich habe versucht damit klar zu kommen, dass ich kaum einen mehr habe außer dich, Raffael, Lea und Lina. Aber ich brauche jemanden der außer euch hinter mir steht"
Nun liefen auch mir die Tränen über die Wangen, ich konnte sie einfach nicht mehr zurück halten. Sie hinterließen eine heiße Spur, ehe sie auf den Boden fielen.


"Dann ist es wohl besser, wenn wir versuchen ohne den anderen glücklich zu werden", sagte ich leise, woraufhin er nickte.
"Vergiss aber nicht, ich liebe dich"
"Ich liebe dich auch"
Ein letztes Mal küssten wir uns, ein langer, leidenschaftlicher Kuss. Das uns die Passanten angewidert ansahen war uns egal, wir wollten diese letzte Minute genießen, ehe ich ihn gehen ließ. Er sollte glücklich werden ... und das würde er auf Dauer nicht mit mir sein.

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"New Place - New Life" Genre: Romantik, Jugendliteratur. ; Autor(innen): siehe Widmung; Klappentext + Link: siehe Kommentarbox

Nimon! (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt