37. Kapitel

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Ich habe eine Ahnung, wenn auch nicht mehr. Aber meine Gabe, in die Zukunft zu blicken, gibt mir ein gutes Gefühl für das Mögliche und Unmögliche. Und mir ist klar, dass der einzig mögliche Ort, an dem sich der Anführer verstecken könnte, hinter der zerstörten Zone der Stadt liegt. Niemand versucht freiwillig dieses Labyrinth zu durchdringen, und ich kann es verstehen.

Ohne Karte ist es ein nahezu unmögliches Unterfangen, ganz zu schweigen von den meterhohen Hindernissen eingestürzter Bauwerke. Zum Glück habe ich an diese möglicherweise auftretenden Schwierigkeiten gedacht und mir eine Karte ›ausgeliehen‹. Wenn ›ausgeliehen‹ das neue Wort für ›gestohlen‹ ist.

Ich bleibe stehen und entrolle die Karte, um mich zu orientieren. Scheinbar habe ich den größten Teil des inneren Stadtrings schon durchquert. Ich muss lächeln, als ich den weißen Fleck direkt in der Mitte der Stadt erblicke, an der nichts zu sein scheint. Der Ort, an dem ich den Anführer vermute.

Vorsichtig rolle ich die Karte wieder zusammen und laufe mit ihr in der Hand weiter. Mittlerweile bereue ich es, nie mehr für meine Ausdauer gemacht zu haben, denn ich werde zusehends kurzatmiger.

Schließlich durchbreche ich die letzte Häuserfront und bleibe vor einem großen Gebäude stehen, das eine sehr imposante Bauart aufweist.

Langsam nähere ich mich dem zweiflügligen Tor und zerbreche mir den Kopf darüber, ob ich anklopfen oder lieber einfach eintreten sollte. Nach einiger Zeit der Unsicherheit raffe ich all meinen Mut zusammen und werfe mich gegen das Holztor, sodass ein Torflügel aufschwingt.

Ich atme erleichtert auf und mache einen Schritt in die Halle – bis ich plötzlich an beiden Oberarmen zwei starke Hände spüre, die mich festhalten und in die Knie zwingen.

Verzweifelt wehre ich mich und fauche die Angreifer an, doch es ist zwecklos, also lasse ich locker und lasse ergeben den Kopf sinken.

»Was tust du hier?«, fragt einer der Wachen, auf den ich einen kurzen Blick erhaschen kann.

»Ich will zum Anführer.«

Die beiden Wachen wechseln einen überraschten Blick und scheinen einen Augenblick zu überlegen, ob sie meiner Forderung nachkommen sollen. Einer der Soldaten reißt mir die Rolle aus der Hand und öffnet sie.

»Woher hast du die?«, fragt man mich und ich zucke die Schultern. Jetzt ist es sowieso egal, immerhin hat die Karte ihren Zweck für mich erfüllt.

»Bringen wir sie zu ihm?«, fragt der rechte Wachmann. Der linke nickt und wiederholt die Worte, jedoch entschlossen und ohne Zweifel: »Bringen wir sie zu ihm.«

Beinahe hätte sich ein triumphierendes Lächeln auf mein Gesicht geschlichen, doch ich kann es gerade noch verkneifen. Ich muss den beiden ja nicht unbedingt verraten, dass alles nach Plan verläuft und sogar noch besser funktioniert als erhofft.

Stattdessen versuche ich mich weiterhin zu befreien, um keinen Verdacht zu erwecken.

»Lasst mich los!«, zische ich und versuche, mich aus dem Griff der Wachen zu befreien, die jedoch keinen Zentimeter nachgeben.

»Habt ihr eine Ahnung, wen ihr hier vor euch habt?«, beginne ich nun, es auf eine andere Art zu versuchen, und beobachte mit wachsender Genugtuung, wie die beiden Männer einen nervösen Blick wechseln.

Fast meine ich schon zu spüren, wie sich ihre Finger aus meiner Kleidung lösen, doch dann zerren sie mich plötzlich weiter und auf eine hohe Tür zu.

Langsam rückt der überraschende Umstand, dass ich tatsächlich von Wachen erwischt worden bin, in den Hintergrund und ich beginne mich umzublicken. »Das gibt es doch nicht«, hauche ich und verrenke mir beinahe den Kopf. Das Tor vor mir wird aufgestoßen, doch ich blicke hinter mich in den Flur. »Es ist ... es ist, als wäre ich zurück im Palast«, stelle ich schleppend fest und kann mich gar nicht von dieser Pracht losreißen.

✔A Servile CrownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt