2. Kapitel

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Tatsächlich hat meine Mutter schon all meine Habe in eine Tasche gepackt, doch da ich kaum etwas besitze, ist das Gepäckstück nur sehr klein.

Ich sehe ihr nicht in die Augen, als sie mir die Tasche in die Finger drückt und mit einer Hand über mein wie aus Gold gesponnenes Haar streicht. Diese Frau hat mich für ein paar Goldmünzen an den König verkauft, obwohl sie genau weiß, wie gefährlich es für mich wird.

»Der Bote wartet draußen mit seinem Pferd auf dich«, berichtet meine Mutter und sie scheint nicht einmal besorgt zu sein, kein Anzeichen, dass sie sich schuldig fühlt, ist in ihrem faltenlosen Gesicht zu sehen, das selbst nach so vielen Jahren noch makellos aussieht.

Ich nicke leicht und bin froh, dass James nicht hier ist, denn ich wäre beim Verabschieden sicherlich in Tränen ausgebrochen. »Sag James, ich hab ihn lieb, ja?«, bitte ich sie und warte, bis sie sich einverstanden erklärt hat, dann drehe ich mich um und verlasse das Haus.

Nachbarn lugen voller Sensationsgier aus den Fenstern und beobachten das interessante Schauspiel, in dem ich die Hauptrolle verkörpere. Ich gebe vor, sie nicht zu sehen, und trete vor den Boten, der mir die Tasche abnimmt und mir vor sich auf das Pferd hilft. Wieder einmal verfluche ich das sperrige Kleid, weil es mich in meinen Bewegungen einschränkt, aber Mum hat mich im Gegensatz zu Dad nie Hosen tragen lassen.

»Bereit?«, fragt der Bote mich, und ich nicke. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Aber um ehrlich zu sein, nein, ich bin ganz und gar nicht bereit, ich stehe gerade Todesängste aus.

Der Mann gibt seinem Pferd, das glänzend braunes Fell hat, die Sporen und ich werde mit dem Rücken gegen den Boten gepresst, was mir unangenehm ist, aber ich kann es nicht verhindern.

Häuser und Felder fliegen an uns vorbei, die Hufe der Stute schlagen laut auf dem Kopfsteinpflaster auf, als wir die erdige Landstraße der äußeren Bezirke verlassen und auf den Palast zuhalten.


Wir nähern uns einem riesigen, zweiflügligen Tor, das aufschwingt, kurz bevor wir davor ankommen. Ohne langsamer werden zu müssen trabt das Pferd hindurch und über das weitreichende Anwesen, bis es auf den Befehl des Reiters hin zum Stehen kommt.

Der Bote springt ab und dreht sich zu mir um, um mir herunterzuhelfen, doch da bin ich schon längst aus dem Sattel geglitten. Als er mich missmutig mustert, starre ich herausfordernd zurück, bis er schulterzuckend den Blick abwendet und mir mit einem Wink zu verstehen gibt, ich solle ihm folgen. Meine Tasche hat er bereits aus seinem restlichen Gepäck gelöst und trägt sie zu einem großen Gebäude, das zwar eindrucksvoller aussieht als so manches Haus im inneren Zirkel, aber neben dem Palast, der einige Meter weiter hinten aufragt, wirkt es dennoch geradezu mickrig.

Der Bote klopft scharf an die hölzerne, robuste Tür und erklärt währenddessen: »Das sind die Unterkünfte der einfachen weiblichen Bediensteten. Miss Sophie wird dir später alles näher erklären.« In diesem Augenblick schwingt die Tür auf und vor uns steht eine ältere Dame, durch deren schwarze Haare sich schon vereinzelte graue Strähnen ziehen. Ihr Gesicht ist wettergegerbt und mit Falten durchzogen, aber sie steht hoch aufgerichtet da und mustert mich mit prüfender Miene.

Mein Begleiter deutet eine Verbeugung an. »Miss Sophie«, grüßt er, »ab hier überlasse ich alles Weitere Ihnen.« Die Dame nickt und der Bote geht an ihr vorbei durch die Tür, wo er mein Gepäck abstellt. Ich bleibe zu einer Salzsäule erstarrt weiterhin stehen, bis er das Gebäude wieder verlassen hat und samt seines Pferdes verschwunden ist.

»So«, murmelt Miss Sophie langgezogen. »Bringen wir dich zuerst einmal auf dein Zimmer. Du bewohnst es zusammen mit einem anderen Mädchen, das dir im Laufe der nächsten Tage und Wochen die Gepflogenheiten bei Hofe näherbringen wird. Es wird sicherlich einige Zeit dauern, bis du dich der neuen Umgebung angepasst hast.« Sie beginnt, die Treppen hochzusteigen. Während sie die Stufen erklimmt, redet sie weiter. »Da du der niedrigsten Dienerschaft angehörst, die es hier gibt, wohnst du in der obersten Etage und musst die meisten Treppen steigen.« Sie seufzt. »Das kommt dir vielleicht am Anfang nicht wie ein Nachteil vor, weil man von ganz oben einen tollen Ausblick hat, aber spätestens nach einer Woche weißt du, weshalb sich alle darum reißen, unten zu schlafen.«

✔A Servile CrownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt