20. Kapitel

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KADEN

Kaden kann Gwen nicht im Architekturgebäude finden, also setzt er seinen Weg fort und hofft, dass seine Ahnung ihn nicht trügt und dass sie genau den gleichen Ort aufgesucht hat, den er immer aufsucht, wenn er Ruhe braucht.

Eine Weile schlendert er vor sich hin und weiß nicht genau, was er erwarten soll, wie er reagieren soll, sobald er Gwen gegenüber steht, aber er ermahnt sich, sich nicht so viele Gedanken darüber zu machen, weil es im Grunde sowieso nichts bringt und ihn nur noch nervöser macht.

Nervöser. Ja, sie macht ihn definitiv nervös, mehr als irgendeine andere Person. Nicht einmal sein Vater kann diesem Mädchen das Wasser reichen, wenn es darum geht, ihn zu verwirren und Chaos in ihm zu schaffen. Gwen hat ihm eindeutig den Kopf verdreht, er weiß bis jetzt nur noch nicht genau, inwieweit sie es getan hat.

Unter seinen Füßen zerfallen die Herbstblätter knirschend zu Staub, und als ein Luftzug durch die Baumkronen weht, regnet es noch mehr bunte Blätter, die den Boden bedecken wie Schnee im Winter.

Gerade in diesem Moment hört er den durchdringenden Schrei und ihm läuft es kalt über den Rücken bei diesem Laut, in dem so viel Unausgesprochenes, so viel Gefühl liegt, dass es ihm davor graut, dem nachzugehen, aber er überwindet seine Scheu und setzt sich schneller als zuvor in Bewegung.

»Gwen?«, fragt er, als er nur wenige Augenblicke später stehen bleibt und die zusammengesunkene Gestalt inmitten des Meeres aus Blättern ausmacht.

Nichts rührt sich. Es ist, als hätte sie ihn gar nicht wahrgenommen, als wäre sie wieder in dieser anderen Welt, hätte sich an diesen anderen Ort geflüchtet, um dem Grauen zu entkommen, das in dieser Welt auf sie wartet.

»Gwen?«, wiederholt er und diesmal kommt Leben in sie. Wie von der Tarantel gestochen springt sie auf und stürzt davon. Es braucht einen Moment, bis er realisiert, dass sie vor ihm davonrennt.

»Hey!«, ruft er ihr verwirrt hinterher und folgt ihr. »Verdammt, ist die schnell«, stellt er kurze Zeit später fest, während er ihr immer noch dicht auf den Fersen ist, sie jedoch nicht einzuholen vermag.

Kaden jagt das Mädchen weiter durch den Wald und spürt, dass ihm langsam die Luft zu knapp wird und er Seitenstechen bekommt, aber er sprintet weiter, wobei er auf die Hindernisse acht gibt, die im Weg liegen und leicht zu Stolperfallen werden können. Sollte er in eine solche tappen, wäre Gwen über alle Berge, bevor er sich wieder aufgerappelt hätte.

»Jetzt ... warte ... doch mal!«, stößt er keuchend hervor und weicht einem dicken Baumstamm aus, der plötzlich vor ihm auftaucht und ihn straucheln lässt.

Vor sich hört er Gwen aufschreien und steigert sein Tempo noch einmal, obwohl alles in ihm protestiert und er schon schwarze Flecken sieht.

Nachdem er die letzten Meter hinter sich gebracht hat, beobachtet er Gwen einen Augenblick dabei, wie sie verzweifelt versucht, ihren Fuß aus dem Geäst eines umgestürzten Baumes zu befreien, was jedoch weiterhin erfolglos bleibt.

»Was ist los, verdammt nochmal?«, fragt er und setzt sich schwer atmend neben sie.

»Lass. Mich. In. Ruhe!«, keucht sie und nach jedem Wort versucht sie mit einem Ruck, ihren Fuß zu befreien.

»Wenn ich dir helfe, läufst du dann wieder vor mir davon?«

»Worauf du wetten kannst«, entgegnet sie schnippisch, nein, sogar zornig.

Er seufzt. »Gut, dann musst du jetzt wohl noch einige Minuten so bleiben«, stellt er resigniert fest, »denn ich will jetzt eine Antwort. Ich erwarte sie, bestehe sogar darauf.«

✔A Servile CrownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt