41. Kapitel

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»Gwen. Gwendolyn. Wach auf, na komm!«, ruft mich eine Stimme zurück in die Realität.

Noch etwas schlaftrunken zwinkere ich mir den Traumsand aus den Augen und setze mich vorsichtig auf. »Wenka?«

»Was für ein Glück«, seufzt sie und umarmt  mich etwas zu fest, aber es zaubert dennoch ein wohliges Lächeln auf mein Gesicht. Ich weiß, dass Wenka normalerweise nichts von Gefühlsduselei hält, daher ist es umso rührender, dass sie für mich eine Ausnahme macht.

Kurz sehen wir uns an und ich denke mir: Verdammt, wieso fällt mir jetzt nichts ein, was ich zu ihr sagen könnte?, doch dann übernimmt Wenka diesen Part und fängt unbefangen zu reden an.

»Mensch, du hast ja für ganz schön viel Aufruhr gesorgt, als du dich einfach so hast entführen lassen!«, schimpft sie. »Alle sind hysterisch geworden, als es sich herumgesprochen hat, dass jemand entführt wurde.«

Ich ziehe die Augenbrauen hoch.

»Aber du weißt ja, wie es hier abläuft: Nach ein paar Tagen, nachdem die größten Schäden vom Brand behoben worden waren, kehrte wieder Normalität ein.«

»Sind Menschen gestorben?«, will ich wissen.

Wenka nestelt an einer Ecke meiner Decke herum. »Erstaunlicherweise nein. Es gibt, soviel ich weiß, nur zwei Opfer mit sehr schweren Brandverletzungen, aber auch die werden es überleben. Alle anderen sind nochmal glimpflich davongekommen. Die meisten Häuser, die sie in Brand gesteckt haben, sind unbewohnt gewesen. Deshalb wundert es mich auch, dass sie das Wohnhaus ebenfalls als Ziel ihres Angriffs ausgewählt haben. Es fällt aus der Reihe. Fast so, als wollten sie damit etwas Bestimmtes bezwecken.«

Ich sehe ihr nicht in die Augen, weil ich Angst habe, dass mich mein Blick verraten würde. Noch bin ich nicht lange genug in der Schauspielbranche tätig, um sagen zu können, dass ich meine Rolle glänzend spiele.

»Wie dem auch sei«, fährt Wenka fort und übergeht mein Schweigen geflissentlich, »es heißt, Prinz Kaden hätte einen Riesenaufstand deswegen gemacht, hat Suchtrupps organisiert, von denen dich ja dann eine wirklich gefunden hat.«

»Die Vorstellung, dass so ein Verbrechen direkt vor seinen Augen geschehen konnte, gefällt ihm wohl nicht. Der König wird ebenso beunruhigt darüber gewesen sein, immerhin stellt dieser Vorfall seine Macht und Kontrolle infrage«, versuche ich das Gespräch von Kaden abzulenken.

»Vom König hat man nicht viel gehört, seit bekannt gegeben wurde, dass sein zweitältester Sohn nun ebenfalls dem Tode erlegen ist.«

Seufzend lege ich eine kühle Hand auf meine Stirn. »Die Welt erscheint mir immer mehr wie ein chaotisches Irrenhaus, in dem man nur nach vorne blicken kann, weil nach hinten der Weg versperrt ist. Das Meiste, was geschieht, ergibt keinen Sinn, aber dennoch geschieht es.«

Wenka nimmt meine andere Hand und sieht mir fest in die Augen. Ich spüre, wie sie mir etwas kleines, hartes und kantiges unauffällig in die Hand schiebt, und sie flüstert: »Ja, es geschehen unerklärliche Dinge, aber manchmal muss man nur tief genug graben, um eine Antwort zu finden.« Sie lächelt mich geheimnisvoll an. »Keine Sorge, Gwen, dein Geheimnis ist bei mir sicher.«

Dann erhebt sie sich und lässt mich allein.

Ich warte einige Minuten, bis sich mein Herzschlag beruhigt hat, dann entfalte ich den Zettel, den sie mir gegeben hat. Hin und her gerissen zwischen Dankbarkeit und Zweifel starre ich auf das Papier, das mit Dads leicht nach links geneigter Handschrift beschrieben ist. Sein Brief, den ich – wie es mir erscheint – vor einer halben Ewigkeit erhalten habe. So viel ist seitdem geschehen, dass ich schon fast vergessen habe, ihn jemals besessen zu haben. Dass ich vergessen habe, welche Gefahr er birgt.

✔A Servile CrownWo Geschichten leben. Entdecke jetzt