d.s: Kapitel 2

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Kayleight

Zwei  Stunden nach unserer Ankunft hob das Flugzeug ab. Ich liebte es zu fliegen, denn das verlieh mir das Gefühl von Freiheit. Als ich klein war, hatte ich regelrecht Panik davor. Doch das ließ mit der Zeit nach und mittlerweile war es verschwunden. Vermutlich lag es auch ein wenig daran, dass ich im Falle eines Absturzes nicht sterben würde. 

Ich saß zwischen Jorge und Arizona. Beide schwiegen die erste Hälfte unseres sechsstündigen Fluges. Ich sah zu Jorge. »Ich habe gesehen, wie du Josh angesehen hast, nachdem Hunter all seine Taten aufgezählt hat. Da lag Verachtung drin. Du tötest doch aber auch«, sagte ich. Mehr um ein Gespräch anzufangen. Aber auch aus Neugierde. 

Jorge blickte von seinem Bildschirm aus zu mir. »Keine Kinder. Ich töte keine Kinder«, antwortete er mit ernster Stimme darauf. Er schien es ernst zu meinen. Doch hatte nicht er ein ganzes Dorf ausgerottet? Da mussten auch Kinder gelebt haben. Dann fiel mir jedoch ein, dass das eine Grenze war, die er seitdem vielleicht nie wieder überschritten hat. Schließlich lernt man aus seinen Fehlern. Also hinterfragte ich das nicht mehr weiter und akzeptierte es als Antwort. 

Es verging eine weitere Stunde. Gerade war ich in dem kleinen Toilettenraum, der nicht für Menschen mit Klaustrophobie geeignet wäre und lehnte mich an das Waschbecken. Erst jetzt realisierte ich langsam, was genau wir hier taten. 

Wir würden jemanden in die Hölle bringen, wo wer weiß was mit ihm geschieht. Und das einzige, was er getan hat, war dieser den Rücken zuzukehren. Er wollte nicht länger für den 'Boss' arbeiten. Was war daran verwerflich? Nichts. Wirklich gar nichts. 

Und dennoch opferten wir ihn, um unsere Freunde wiederzubekommen. Wie könnten wir uns je wieder als gut bezeichnen? Und wie sollte ich mir je wieder in die Augen sehen? Langsam flossen Tränen meine Wange hinunter und ich begann zu weinen. Das war eine Zwickmühle. 

Als es an der Tür klopfte, ertönte Arizonas Stimme. »Alles okay?«, wollte sie wissen. Schniefend öffnete ich die Tür. Sofort umarmte sie mich. »Ich kann das nicht mehr, Arizona«, sagte ich. Sie strich mir über den Rücken. 

»Wir bekommen sie wieder zurück«, antwortete sie. »Hunter hält seine Versprechen.« Ich nickte, doch im Grunde war es nicht das, worauf ich hinaus wollte. Mit meinen Worten meinte ich, dass ich all das nicht mehr kann. Stark sein, die richtigen Entscheidungen treffen, Personen opfern. 

Doch ich behielt das für mich, denn es ging auch um sie. Schließlich war Riley ebenfalls dort unten und litt vermutlich fürchterlich. Ich war nicht die Einzige, die jemanden verlieren würde, wenn das schiefgeht. 

In London angekommen, gingen wir in ein Hotel. Dort war ich zusammen mit Arizona in einem Zimmer. Wir packten nicht viel aus, denn wir würden höchstens zwei Tage bleiben. Ich wusste, wo Jordan sich aufhielt. Lange suchen brauchten wir nicht.

Kurzzeitig hatten wir überlegt, Mason zu besuchen. Doch ich konnte nicht versprechen, das er nicht auf Hunter losgehen würde, weshalb es besser war, ihm keinen Besuch zu erstatten. Vielleicht wird ihm Mary irgendwann davon erzählen. Wenn Hunter weit genug weg ist. 

Arizona saß grübelnd auf dem Bett. Ihr braunes Haar lag offen über ihren Schultern. Ich fragte sie was los sei und sie sah seufzend zu mir. 

»Können wir das nicht auch anders lösen? Ich meine, Jordan wird gequält werden«, meinte sie und es war ihr anzusehen, dass ihr dieser Gedanke nicht gefiel. Ihr war bewusst, was auch ich wusste; er mochte nicht die netteste Person der Erde sein, doch er war unschuldig. 

Ich setzte mich zu ihr. »Wenn es eine andere Möglichkeit gäbe, wären wir nicht hier. Ohne ihn würden wir die anderen nie wieder sehen«, entgegnete ich. Jedoch nicht so fest und entschlossen wie ich es gern hätte. Natürlich wollte ich die anderen wiedersehen. Mein Mann und meine Tochter waren schließlich dort unten. Aber dennoch war es schwer, sich im klaren zu werden, was man opfern musste. 

»Justin und Mary gehören dort vielleicht hin, aber Riley nicht. Er wird zugrunde gehen«, sagte sie und sah mich mit Tränen in den Augen an. Sie sorgte sich um ihn. Was sie sagte, war nicht fair aber dennoch nahm ich sie in den Arm. Denn irgendwo hatte sie recht. 

Justin und Mary haben beide schon Menschen, unschuldige Menschen, getötet. Riley nicht. Er hatte nichts getan, wodurch er die Hölle verdient hat. Auch wenn es wehtat, das zuzugeben; sie hatte recht. 

Daraufhin ruhten wir uns eine Weile aus. Erst als es bereits dunkel wurde, gingen wir nach unten, um die anderen zu treffen. Mit einem Taxi machten wir uns dann auf den Weg zu Jordan. Vor seinem riesigen Haus blieben wir stehen. Hunter bezahlte den Taxifahrer und stellte sich neben mir. Jetzt würde es also beginnen. 

Justin

Es waren schon Stunden vergangen. Wie viel, wusste ich nicht. Es könnten zwei gewesen sein, aber auch schon deutlich mehr. Hier unten hatte ich einfach kein Zeitgefühl mehr. Zudem hatte ich das Gefühl, dass es von Minute zu Minute wärmer wurde und für Sydney war das bestimmt nicht gut. 

Wir irrten umher. Ich hatte meine Tochter auf dem Arm. Riley setzte die Hitze mehr zu, als Mary und mir, vermutlich, weil wir Vampire waren. Doch auch wir würden es nicht ewig aushalten. Ich blickte zu Mary, die  betrübt wirkte. 

»Denkst du, sie werden uns finden?«, wollte sie wissen. Die Frage war nicht nur an mich, sondern auch an Riley gerichtet. Sie fragte sich erst gar nicht, ob sie uns suchen würden. Das stand für sie außer Frage. Und für mich auch. 

Ich nickte. Natürlich würden sie uns finden. Die Frage war nur, ob wir dann noch lebten, denn ich bezweifelte, dass uns die Hölle gut tun wird. Eher im Gegenteil. Wir mussten so schnell wie möglich hier raus.

»Ist es nicht seltsam, dass wir uns hier unten frei bewegen können?«, gab Riley nach einer Weile des Laufens zu bedenken. Ich zuckte mit den Schultern. 

»Hunter meinte mal, dass der Teufel es merkt, wenn hier jemand abhaut. Wir würden vermutlich nicht weit kommen, selbst wenn wir einen Ausgang finden würden«, antwortete ich und begann Sydney zu beruhigen, die gerade begonnen hat, zu weinen. 

Ihr war warm, sie hatte vermutlich Hunger und dann war ihre Mutter nicht da. Das war hart für ein kleines Kind. Doch ich schaffte es, sie erst einmal zu beruhigen. Wir entschieden uns daraufhin, einen Platz zum sitzen zu suchen. Keiner von uns wollte noch weiter laufen und es würde nicht schaden, sich etwas auszuruhen. 

Nach einigen Minuten fanden wir etwas. Seufzend ließ Riley sich fallen und lehnte sich an den Fels an. Mary hingegen sah sich um und ich tat es ihr gleich. Von weitem erkannte ich eine Gestalt, die uns beobachtete. 

»Ihr solltet euch nicht hinsetzen«, gab sie von sich. Ich runzelte die Stirn und fragte, wer da sei. »Wow, das tat weh, Justin«, sagte die Person und kam näher. Erst dann erkannte ich sie und auch Mary schien das zu tun, denn sie rannte zu ihm und umarmte ihn. 

»Sam«, sagte sie. Er erwiderte die Umarmung und schien so zu sein, wie er vor der Dämonen-Sache war. Als sie sich voneinander lösten, lächelte Mary vor Freude. Sie hatte ihn sehr vermisst. Schon damals, als wir das erste mal dachten, er sei gestorben. 

Ich nickte ihm zu, doch ich durfte jetzt nicht zu sentimental werden. »Was machst du hier?«, wollte ich wissen und war gespannt auf die Antwort, denn er war tot. Kayleight hatte ihn getötet. Er konnte gar nicht am Leben sein. Vielleicht bildeten wir uns ihn auch nur ein, oder es war eine Täuschung der Hölle. 

dark sun ➹ j.b ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt