d.s: Kapitel 5

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Wir schliefen alle eine Nacht lang durch. Nach diesen Erlebnissen war das notwendig. Am nächsten Morgen brachte Cress uns Fisch zum Frühstück. Als eine Art Versöhnungsgeschenk und ich war mir fast sicher, dass ich nach all dem hier nie wieder Fisch anfassen würde. Nie wieder. 

Während wir den Fisch räucherten, berichteten wir Cress grob von unserem Problem. Dass unsere Freunde sich in der Hölle befanden und wir so schnell wie möglich dort hinein müssen. Auch von dem Portal, dass sich angeblich hier befindet, erzählten wir ihr. 

»Ihr wollt in die Hölle?«, wollte sie erneut wissen und sah uns an, als ob wir verrückt und lebensmüde wären. Dann begriff sie wohl, dass wir es ernst meinten und seufzte. 

»Durch das Portal kam noch nie jemand zurück«, meinte sie. Also wusste sie, wo es sich befand. Sie nickte und erzählte davon, dass wir nicht die ersten seien, die es suchen. Zudem würde es sich in zwei Tagen wieder öffnen. 

Doch auf ihre Erklärung folgte ein 'aber' und das gefiel mir nicht. »Es ist in der Mitte des Sees. Unter Wasser«, sagte sie. »Deshalb kommen die meisten eine Woche später mit Taucherausrüstung wieder.« Doch diese Zeit hatten wir nicht. Das schien sie zu wissen. 

Hunter meinte, er könnte so lange die Luft anhalten. Ich fragte mich, ob er überhaupt atmen musste. Bei Vampiren...ich weiß nicht, ob wir es unterlassen konnten, doch ich wollte es auch nicht zwingend herausfinden. Selbst wenn; wer wusste, für wie lange. 

Josh teilte den Fisch auf und wir begannen zu essen. »Es gäbe eine Möglichkeit«, meinte Cress. »Ich könnte den anderen dabei helfen. Der Kuss einer Meerjungfrau lässt euch kurzzeitig Unterwasser atmen.« Misstrauisch beäugte ich sie. Berührungen waren aber gefährlich. 

Sie klärte uns auf, dass es sich nicht auf den Mund bezog. Magie war seltsam, das musste ich zugeben. Aber wenn es so war, hatten wir keine Wahl als ihr zu glauben. »Ich helfe euch, wenn ihr mir den Namen des Sees sagt, zu dem ich dann kommen soll.« Sie erklärte, dass sie uns nicht begleiten könne, da sie in der Hölle austrocknen würde. Meerjungfrauen konnten aber von einem See in den anderen tauchen. 

Ich nannte ihr den Namen trotz Zögern der anderen. Somit stand die Sache also fest; sie würde und musste uns helfen. Und sie wirkte glücklich darüber, nützlich zu sein. Ich konnte mir nicht vorstellen wie es sich anfühlte, nach einer halben Ewigkeit endlich normal mit Leuten reden zu können, die akzeptieren was man ist. Jedenfalls die meisten von uns. 

* * * 

Am nächsten Abend als es dunkel wurde, saßen Josh und ich auf der Wiese. Wir hielten Wache. Cress wollte uns holen, sobald das Tor sich öffnet. Zwischen uns herrschte eine peinliche Stille, bis ich beschloss, sie zu brechen. 

»Du hast also deine Familie getötet«, sagte ich. Es klang nicht vorwurfsvoll, es war lediglich eine Feststellung. Josh nickte. »Und dein Rudel.« Wieder ein Nicken. »Kinder.« Er sah zu mir und sagte, dass er das wüsste, auch ohne dass man es ihm unter die Nase rieb. Ich seufzte. 

»Das ist krank.« Wieder eine Feststellung. Doch dieses mal konnte ich nicht verhindern, dass es zudem vorwurfsvoll klang. Er hatte Kinder getötet. Und seine Familie. Welche normale Person würde das nicht krank finden?

Er erklärte, wie es zu der Tat kam. Es sei seine erste Verwandlung in einen Werwolf gewesen und zudem habe sein Bruder ihn provoziert. Er wollte das Töten rechtfertigen, doch ich ließ das nicht zu. Solche Dinge konnten mit nichts gerechtfertigt werden. Niemals. 

»Bereust du es?«, wollte ich wissen und sah auf den See. Wundernd was Cress wohl gerade tat. Ob sie schlief? Vermutlich nicht, schließlich musste sie wachsam sein. Das Portal könnte sich jede Minute öffnen. 

Dann blickte ich zu Josh und sah, dass er mich ebenfalls ansah. »Es war meine Familie, natürlich bereue ich es«, antwortete er, was mich verwunderte. Er wirkte nicht wie jemand, den so etwas zu kümmern schien. Dann wiederum; ich kannte ihn nicht und ich wusste auch nicht wie alt er zu diesem Zeitpunkt war. Vielleicht war er noch anders. Nicht so wie jetzt. 

»Wieso bist du dann so gleichgültig?« Er seufzte. »Ich habe eh verschissen, wie du von Hunter gehört hast. Schlimmer kann es nicht werden«, meinte er und warf einen Stein in den See. Ich verdrehte daraufhin die Augen. Wie konnte man nur so pessimistisch sein?

»Aber besser. Vielleicht wird dir ja vergeben«, entgegnete ich. Er konnte das doch nicht aufgegeben haben. Doch auf diese Antwort lachte er nur und sah mich amüsiert an, als hätte ich einen Witz gerissen. 

»Du bist wirklich so naiv wie ich dich eingeschätzt habe«, sagte er. »So etwas wie Vergebung gibt es nicht. Und selbst wenn, manche Menschen oder Wesen verdienen sie nicht. Ja, ich bereue meine Tat, weil es meine Familie war. Aber ich habe zum Überleben noch mehr Menschen töten müssen. Das bereue ich nicht.« Ich wusste nicht, ob diese Antwort mich schockierte, weil er erneut so gleichgültig klang, oder weil er gerade offengelegt hatte, dass er tatsächlich der Mörder war, für den die anderen ihn hielten. 

»Außerdem wusste ich was ich tat, als ich meine Familie tötete. Selbst im Wutanfall weiß man, was man macht. Und in diesem Moment wollte ich es«, fuhr er fort. So konnte nur jemand denken, der nicht mehr an Vergebung glaubte. Doch wieso? 

Ich wusste nicht, wohin ich diese Unterhaltung lenken sollte, damit sie nicht komplett aus dem Ruder lief. Außerdem interessierten mich seine Gedanken, denn meine waren das genaue Gegenteil. Ich glaubte daran, dass jedem vergeben werden kann. 

»Auf welche Seite würdest du dich einordnen, wenn man dich fragen würde?«, wollte ich wissen. »Gut oder böse?« Erneut lachte er, doch anstatt mich anzusehen, warf er wieder einen kleinen Stein in den See. Im Mondlicht war zu erkennen, an welcher Stelle er die Wasseroberfläche durchbrach. 

Ich seufzte. Es ging mir auf die Nerven, dass er mich nicht ernst nahm. Aus diesem Grund stand ich auf und wollte zum Zelt gehen. Da hielt seine Stimme mich auf. 

»Ich teile die Welt nicht in gut und böse. Die Grenzen verschwimmen. Cress ist nicht böse, dennoch tötet sie Menschen. Jeder würde töten, um zu überleben. Du warst bereit, einen Unschuldigen zu opfern, um deinen Mann wiederzubekommen«, antwortete er auf meine Frage. Für ihn schien die Welt nicht schwarz oder weiß zu sein, sondern grau. 

»Jeder trägt Gutes und Schlechtes in sich, Kayleight. Die Frage ist viel eher, was man daraus macht.« Als er dann zu mir hinüber sah, schenkte er mir ein leichtes Lächeln. Ich wusste, dass er recht hatte mit dem, was er sagt. 

Doch es fiel mir dennoch schwer. In meiner Familie wurde immer in gut und böse unterteilt. So waren meine Eltern nunmal. Vielleicht war ich ihnen also ähnlicher als ich dachte. Doch das hieß nicht, dass ich meine Denkweise nicht ändern konnte. Vielleicht nicht heute oder morgen. Aber ich hatte ja auch noch eine Ewigkeit zeit, um dazu zu lernen. 

»Es ist offen«, ertönte eine weibliche Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte Cress, die am Ufer war. Keine Ahnung wie lange sie uns zugesehen hat und ob sie überhaupt etwas mitbekam. Ich nickte und zusammen mit Josh gingen wir zu den anderen, um sie zu wecken. 

dark sun ➹ j.b ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt