Kapitel 16

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Fast kam ich mir vor wie in einen dieser Horrorfilme. Es war noch nicht richtig hell, aber auch nicht mehr dunkel, und ich war definitiv der einzige Mensch der sich jetzt gerade auf den Campus befand. So fing doch irgendwie jeder Horrorfilm an. Oder besser gesagt jede Szene war so bevor der eigentlich Horror begann. Ein Mensch, meistens ein unschuldiges Mädchen, wie ich es eben war, stand irgendwo allein herum und plötzlich kam der Massenmörder an. Aus heiterem Himmel. Oder der Entführer. Und ich stand hier allein. Bis Dan irgendwann kommen würde, aber in mir flackerte immer noch die kleine Hoffnung, dass er es einfach verschlafen würde. Ich schüttelte leicht meinen Kopf als ich mir meine Gedanken von gerade eben nochmal durch den Kopf gehen ließ. Horrorfilm. So ein Quatsch. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen diesmal positiv an die Sache ranzugehen. Schließlich hatte ich letztens auch ziemlich viel geschafft. Für meine Verhältnisse.

Ich ging einige Schritte nach vorn, um auf die große Uhr an der Eingangstür schauen zu können. Der Minutenzeiger wechselte gerade von 29 auf 30. Punkt 6:30 Uhr. Und Dan war noch nicht da. Ein kleines triumphierendes Lächeln schlich sich auf mein Gesicht.

Ich ging ein wenig hin und her. Meine Beine taten mir immer noch weh, aber ich versuchte das zu verdrängen. Ich musste an gestern Abend zurückdenken. Ich betete, dass Dan nichts mehr davon wissen würde. Und wenn er noch alles wissen sollte, dann dürfte er mich auf gar keinen Fall darauf ansprechen. Ich wüsste nicht was ich sagen sollte. Und es war mir irgendwie peinlich, dass ich nicht gleich als er auf mich zugekommen war gegangen war. Es war mir peinlich, dass er sich zu mir gesetzt hatte und dass er mein Gesicht berührt hatte. Einfach alles war mir peinlich. Und ich wusste nicht einmal so richtig warum.

Als ich mich das nächste Mal zum Campus umdrehte sah ich ihn. Er joggte bereits und irgendwie hatte dieses Bild etwas unheimlich ästhetisches. Ob es schöne oder hässliche Ästhetik war, darüber ließ sich streiten, aber dieser Anblick hatte etwas. Hinter Dan ging die Sonne auf und seine Gestalt warf große Schatten. Irgendwie konnte ich meinen Blick nicht abwenden. Bis ich mich irgendwann dazu zwang. Allein schon, weil ich Dan mittlerweile gut genug kannte um zu wissen dass er mich sonst gleich darauf angesprochen hätte. Außerdem wollte ich ihn nicht das Gefühl geben ich würde ihn anschauen. Lange anschauen. Denn das tat man nur, wenn es etwas Schönes zu sehen gab. Und er sollte ja nicht glauben, dass ich diesen Anblick schön fand.

Er verlangsamte sein Tempo und blieb vor mir stehen.

„Jill.“ Irgendwie klang er freundlich. Obwohl er ziemlich übel aussah. Ich wollte mir in diesem Moment nicht ausmalen wie der Rest der Mannschaft aussehen würde. Dan hustete kurz.

Ich schaute auf meine Uhr. 6:35 Uhr

„Du bist zu spät.“Ja, ich würde es mir nicht nehmen lassen ihn das unter die Nase zu reiben. Ich schaute ihn etwas streng von unter herauf an. Dan verdrehte nur seine Augen.

„Nerv nicht. Ich hab gerade versucht freundlich zu sein. Und ich und du wissen genau, dass man mit den Kater den ich im Moment habe eigentlich alles andere als freundlich ist.“ Das war mal eine Ansage. Ich fragte mich, warum er überhaupt versucht hatte extra für mich freundlich zu sein. War er ja sonst schließlich auch nie. 

„Außerdem kannst du froh sein. Das heißt 5 Minuten weniger Training für dich. Irgendwann holen wir die aber nach.“

Ich hasste es wie er immer alles bestimmen konnte. Aber ich konnte auch nichts dagegen machen. Er war einfach in der richtigen Position dafür. Ich gab einen resignierenden Laut von mir, dann zeigte ich in Richtung Eingangstür, weil ich fest davon ausging dass Dan jetzt nicht weiter reden würde, sondern endlich mit dem Training beginnen wollte. Und der Weg dahin, ob ich wollte oder nicht, würde nun mal durch den Notausgang des Mädchenhauses führen.

opposites attract each otherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt