Kapitel 18

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Wochen vergehen, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Mein Lachen, das ich für kurze Zeit wieder gefunden habe, ist verblasst. Stattdessen wird mein Herz von Einsamkeit umhüllt. Ich fühle mich so verlassen, wie schon lange nicht mehr. Klar, ich habe Lucy und wir verstehen uns wirklich gut. Sie ist, wie eine Schwester für mich. Aber trotzdem kann sie das Loch in meinem Herzen, das er hinterlassen hat, nicht füllen.

Schlaflose Nächte plagen mich. Es vergeht keine Sekunde, in der ich nicht an ihn denke. Jede Kleinigkeit erinnert mich an ihn und versetzt meinem Herz einen Stich. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Sehnsucht, nur nach einer Person. Am Schlimmsten sind jedoch die Albträume, wenn ich denn mal schlaf bekomme. Er wird gefoltert, misshandelt und schlimmeres, sodass ich jedesmal weinend aufwache. Wie auch diese Nacht. Mit rasendem Herzen reiße ich die Augen auf, nur um zusehen, dass er nicht da ist. Lucy schläft seelenruhig in ihrem Schlafsack. Schwer atmend rolle ich mich auf den Rücken und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Wieso kriege ich ihn einfach nicht aus dem Kopf? Er ist weg! Nicht mehr da!! Und das wird auch so bleiben. Wenn das so weiter geht, kann man mich gleich in die Psychatrie einweisen. Das ist doch nicht mehr normal. Deprimiert, ziehe ich den Reisverschluss meines Schlafsack ein Stück auf, um meine verschwitze Haut ein wenig abzukühlen. Aus meiner Tasche wühle ich den Ring, den ich seit seinem Abschied immer bei mir trage. Das Einzigste, dass mir noch von ihm bleibt. Fest umschließe ich ihn in meiner Hand, bis sie zu schmerzen beginnt. Doch das stört mich nicht, es zeigt mir, dass ich noch in der Realität bin und nicht in einem Traum lebe. Als ich die Faust wieder öffne, haben sich tiefe Kerben in meine Haut gedrückt. Verträumt fahre ich mit dem kalten Metall über meine Lippen und versinke wieder in meinen Gedanken.

Am nächsten Tag, nehme ich Lucy mit auf eine Lichtung, um ihr noch ein paar Verteidigungsübungen zu zeigen. Sie macht sich im Großen und Ganzen recht gut. Zumindest besser als ich bei meinen ersten Übungsstunden. Sie ist wansinnig flink und raffiniert. Ich wette sie wäre eine gute Taschendiebin, aber das tut es jetzt nichts zu Sache. Die Temperaturen steigen auf Frühlingshafte 20ºC und die Luft wird von dem Geruch der sprießenden Pflanzen durchzogen. Erste Schmetterlinge und Bienen, kündigen die Ankunft des Frühlings an. Erschöpft lasse ich mich in das Gras plumpsen und und schaue in die Wolken hinauf. Lucy tut es mir gleich. Gedankenverloren beobachte ich die vorbeiziehenden Wolken und denke an den Tag zurück, als ich mit ihm zusammen im Gras gelegen habe. Zwischen meinen Gefühlen damals und heute liegen Welten dazwischen. Und das Ganze geschah erst vor weniger als 2 Monaten. Trotzdem scheint es mir eine Ewigkeit her zu sein. Es war das Erste mal, dass wir uns näher kamen, auch wenn er danach so abweisend zu mir war. Irgendetwas hat sich dadurch zwischen uns verändert. Wieder einmal driften meine Gedanken zu ihm ab, wodurch sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildet. Plötzlich bemerke ich aus dem Augenwinkel, wie Lucy mich von der Seite aufmerksam mustert. Nachdenklich dreht sie einen Grashalm zwischen den fingern und lässt den Blick wieder in den Himmel schweifen. ,,Du liebst ihn, nicht wahr?" meint sie plötzlich mit nüchterner Stimme. Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage. Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung, doch sie blickt immer noch starr in die Wolken. Naja, das ist dann wohl mein größtes Problem. Ich war noch nie in meinem Leben verliebt. Woher soll ich dann wissen wie sich Liebe anfühlt? Den Blick wieder nach oben gerichtet frage ich sie schließlich: ,,Woher weiß ich das?" Schon seltsam ich frage ein 11 jähriges Mädchen was Liebe ist. Aber hey, ich bin seit dem Tot meiner Eltern ein Wrack, was Gefühle betrifft, also kann man es mir nicht verübeln. ,,Du weißt es, wenn du nur noch an eine bestimmte Person denken kannst, dir dein Leben nicht ohne sie vorstellen willst, sie jede Sekunde vermisst in der sie nicht bei dir ist. Wenn sie mit jeder ihrer Berührungen ein unglaubliches Kribbeln in dir auslöst und dein Herz zum explodieren bringt, dann ist es Liebe," murmelt sie und wird zum Ende hin immer leiser. Und in diesem Moment wird es mir schlagartig klar. Ich liebe ihn. Ich liebe Lukas Coltin. Nicht nur ein bisschen, sondern so sehr, dass ich mein Leben für ihn geben würde. ,,Ja," hauche ich kaum hörbar, sodass ich mir nicht sicher bin, ob es Lucy überhaupt mitbekommen hat. Doch das spielt im Moment auch gar keine rolle, denn viel wichtiger ist, dass es mir nun Bewusst wird. Warum habe ich bloß so lange gebraucht, um das zu verstehen? Er ist die einzige Person, die je solche Gefühle in mit hervorrufen konnte. Zum ersten mal in den letzten zwei Wochen bildet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht. Ein echtes, wirklich glückliches Lächeln.

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