Kapitel 22

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Das blondhaarige Mädchen lässt sich rückwerts durch das steinerne Tor fallen und ist verschwunden. Verschwunden in den Tiefen des Jenseits und für immer dort gefangen. Der junge Mann, der nun wie erstarrt vor dem Bogen steht, stößt einen verzweifelten Schrei aus. Er hat sie verloren. Für immer.

Wutentbrannt macht Lukas auf dem Absatz kehrt und schnappt sich ein Messer, dass vor seinen Füßen liegt. Seine Trauer wird von der unglaublichen Wut in ihm übertrumpft, als er mit bebenden Kiefer auf den Mann zuläuft, der immer noch von den anderen Leuten zurück gehalten wird. Seine Eltern können ihn nicht von seinem Vorhaben aufhalten. Er stößt sie von sich weg und lässt keine Worte an sich ran. Sein Ziel besteht nur aus einer Sache. Der Schuldige muss büßen. Er entreist, den umherstehenden Leuten, den Mann in ihrer Mitte und schubst ihn auf den Boden. Die Überlegenheit ist aus Magnus' Augen gewichen, als er völlig überrumpelt auf dem harten Stein landet. Seine Gesichtsmuskeln spannen sich an und er versucht sich aus seiner misslichen Lage zu befreien. Doch Lukas, der nun nur noch von seiner Wut und dem Adrenalin in seinen Adern geleitet wird, drückt ihn weiterhin auf den Boden. ,,Du hast sie getötet," faucht er mit zusammen gebissenen Zähnen, ,,Spüre ihren Schmerz!" Das Gesicht, des Gefangenen wird kreidebleich, als der über ihm das Messer zückt und es ihm ohne zu zögern ins Herz stößt. Er drückt die Klinge tief in die Wunde, ehe er sie wieder herauszieht. Langsam kommt Lukas wieder zur Besinnung und wird sich seiner Tat bewusst. Das blutverschmierte Messer in der Hand, richtet er sich wieder auf. Nun ist es vorbei, das Böse hat ein Ende. Die umherstehenden Gefolgsleute des blondhaarigen Mannes, der nun tot in seiner Blutlache auf dem Boden liegt, machen sich hastig aus dem Staub, sodass der Raum nun nur noch von der vierköpfigen Familie und deren Helfer ausgefüllt ist. Mit der blutigen Klinge in der Hand betrachtet der Täter sein Werk. Seine Gliedmaßen sind taub vor Schock und Anstrengung. Keiner der Familienmitglieder regt sich, bis sich plötzlich die Kleinste, das Mädchen mit den nussbraunen Augen, aus ihrer Starre löst und auf ihren Bruder zugelaufen kommt. Dieser hebt sein Blick und beobachtet das Geschehen stumm, während er das Messer immer noch fest umklammert hält. Vorsichtig befreit Lucy die Klinge aus seinem Griff. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen wirft sie es mit einem lauten Klirren vor sich auf den Boden. Ganz langsam legt sie die Arme um ihren Bruder, der immer noch wie erstarrt und mit leerem Blick nach vorne schaut. Erst nach mehreren Sekunden kehrt sein Bewusstsein zurück und er schließt seine Schwester fest in die Arme. Auch die Mutter und der, sonst so kalte Vater bewegen sich nun auf ihre beiden Kinder zu und schließen sie in ihre Arme. Die Luft ist still, doch in ihren Köpfen rattern die Gedanken. Denn der Krieg ist nun vorbei und der Fortbestand der Menschheit gesichert. Auch wenn viele dafür ihr Leben lassen mussten.

Der Alltag geht nun wieder seinen gewohnten Lauf. Die Eltern müssen arbeiten, die Kinder kümmern sich um das Lernen. Doch etwas fehlt. Das Leben hat sich verändert, seitdem eine Person nicht mehr da ist. Besonders für das älteste Kind der Familie. Es ist still geworden. Niemand unterhält sich mehr über seine Probleme oder Gedanken, niemand sprüht vor Freude. Der Tot ist noch lange nicht verkraftet, er hat sich in das Herz jeder von ihnen gefressen und nichts als Trauer hinterlassen. Sollte man sich nicht freuen, wenn man die Existenz einer Spezies von Lebewesen gerettet hat und dafür die andere Unheilvolle beseitigt hat? Doch diese Sache scheint wohl schon ganz in den Hintergrund geraten zu sein, denn die Gedanken kreisen nur noch um das Mädchen mit den blonden Haaren und hellblauen Augen.

Bis auf das Klirren des Besteckes ist es still am Esstisch. Die Eltern versuchen die Tatsachen zu verdrängen und ein glückliches Familienleben vorzuspielen. Doch die Stimmung ist im Moment alles andere als glücklich.

,,Und wie war dein Tag, Lucy?" fragt Linda plötzlich in die Stille hinein, an das braunhaarige Mädchen gewand. ,,Gut," erwiederte diese knapp und stochert weiter in ihrem Gemüse herum. Das war wahrscheinlich nicht die Antwort, die ihre Mutter hören wollte, doch um ihr Unbehagen zu verstecken wendet sie sich stattdessen an ihren Sohn: ,,Und bei dir?" Aber auch der ist heute nicht der Mann der Worte und gibt ihr als Antwort nur ein emotionsloses Schulterzucken. Deprimiert stößt sie die Luft aus und wirft ihrem Mann einen traurigen Blick zu, ehe sie ihrem Sohn sachte ihre Hand auf den Arm legt und murmelt: ,,Es geht vorbei." Genervt schüttelt Lukas, die Hand seiner Mutter ab und schiebt den Stuhl mit einem lauten Quitschen zurück. ,,Ich habe keinen Hunger mehr," zischt er noch, ehe er sich abwendet und nach oben in sein Zimmer verschwindet.

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