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Aidan

Erst nachdem ich am nächsten Morgen aufgewacht war, war mir bewusst geworden, was für einen unsagbaren Schwachsinn ich geträumt hatte. Doch je länger ich darüber nachdachte, desto mehr verblassten alle Einzelheiten. Als ich ins Wohnzimmer kam, saßen die Anderen schon beim Frühstück. Wir murmelten einander ein „Guten Morgen" zu, und ich holte mir meinen täglichen Wachmacher. Heute wieder schwarz. Da ich erst am Nachmittag in die Uni musste, konnte ich mir heute Zeit lassen.

Chase machte sich bereits daran seine Sporttasche zu packen. Trevs und meine Blicke trafen sich kurz. Addie sah gerade nicht her, deshalb nutzte ich die Gelegenheit und fragte lautlos: „Alpträume?" Trev nickte unauffällig. Ich sah wieder zu Addie. Sie sah überhaupt nicht so aus, als hätte sie jede Nacht Alpträume, die ihr den Schlaf raubten. Ihre Haare fielen wie immer in braunen Locken über ihre Schulter und ihr Make-up war so natürlich wie immer und sah nicht so aus, als hätte sie zehn Schichten gebraucht um Augenringe und fahle Haut zu kaschieren. Mir fiel nur auf, dass sie immer noch in ihrer Schlafhose und ihrem typischen Schlafshirt dasaß, obwohl sie normalerweise immer schon angezogen und bereit zum Aufbruch war.

„Hey, ihr kommt doch heute Abend zum Spiel, oder?", fragte Chase, mit einem Apfel zwischen den Zähnen. Ich drehte mich zu ihm und lehnte mich gegen die Arbeitsfläche.

„Haben wir je ein Spiel verpasst?", fragte Trev, als hätte Chase ihm gerade einen Mord vorgeworfen. Mit dieser Antwort schien Chase recht zufrieden. Er warf sich seine Tasche über die Schulter und nahm seine Jacke von der Lehne seines Sessels.

„Bis später", rief er, kurz bevor die Türe hinter ihm ins Schloss fiel. Chase war wahrscheinlich der disziplinierteste Mensch, den ich kannte. Nicht einmal Trev konnte mit ihm mithalten. Klar würde er alles dafür tun, um Zulassung zu seinem Jurastudium zu bekommen. Aber Chase ging seit Jahren täglich zum Training, selbst wenn er krank war. Er war vielleicht ein bisschen unreif und kindisch und zugegebenermaßen bestimmt nicht der Hellste, aber er hatte Ehrgeiz, das musste man ihm lassen.

„Bringst du mir noch einen Kaffee?", fragte Addie mich und hielt mir ihre Tasse hin, ohne mich anzusehen. In letzte Zeit sah sie mich wirklich nicht sehr häufig an. Ob das jedoch an gestern Abend lag, oder daran, dass sie gerade in einem ihrer Unibücher las, konnte ich nicht sagen.

Meine Schwester studierte Sprachwissenschaften, beziehungsweise Linguistik, und Ethnologie, zwei Themen, die mich von allen auf dieser Welt existierenden Themen, wohl am wenigsten interessierten. Ich hatte auch keine Ahnung, warum Addie sich ausgerechnet für diese zwei Studienrichtungen entschieden hatte, aber meine Eltern waren mit ihrer Wahl mindestens so glücklich, wie mit meiner. Besonders unsere Mutter hatte Monate lang versucht Addie von diesen beiden Studien abzubringen. Dazu musste man aber sagen, dass Addie und Mom ohnehin nicht besonders gut miteinander auskamen. Den genauen Grund dafür kannte ich nicht einmal, ich wusste nur, dass Addie sehr, sehr schnell gereizt werden konnte, wenn ich einen Satz mit den Worten Mom hat gesagt..., begann. Die beiden hatten in Addies Teenagerzeit oft Streit wegen Trev gehabt, aber das war über zwei Jahre her.

„Hast du das Gehen verlernt?", fragte ich und trank einen Schluck von meinem Kaffee, der noch verdammt heiß war. Jetzt sah Addie mich an.

„Erstens, stehst du, zweitens, neben der Kaffeemaschine."

Ich warf einen Blick auf die Kaffeemaschine, die hinter mir stand, dann auf Addie und dann ging ich mit großen Schritten weit von der Kaffeemaschine weg.

„Tut mir leid, aber ich glaube fast, dass du näher dran bist, als ich", sagte ich gespielt bedauernd und trank provokant einen weiteren Schluck. Addie konnte sich ein halb verärgertes, halb belustigtes Schmunzeln nicht verkneifen.

Shadow Girl (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt