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Aidan

Ich fühlte mich wie gerädert am nächsten Morgen. Ich saß schon um sechs am Frühstückstisch und versuchte mich mit Kaffee aufzuwecken. Aber dadurch, dass ich nur etwa drei Stunden geschlafen hatte, brachte auch das Wundermittel der Wundermittel nicht viel. Trev stand kurz nach mir auf, und ging aus dem Haus um eine Runde zu laufen. Ich spähte in Chase Zimmer, aber es war immer noch leer. War er gestern einfach abgehauen, nachdem Addie so ausgerastet war und nicht mehr zurückgekommen? Vermutlich noch wegen eines Mädchens?

Ich schüttelte nur seufzend den Kopf, hatte aber sowieso sofort andere Gedanken, als Addie aus ihrem Zimmer kam und verschlafen zur Couch schlurfte, um sich dort niederzulassen. Sie nahm ein Kissen, umklammerte es mit beiden Armen und legte ihren Kopf darauf.

„Hast du geschlafen?", fragte ich irgendwann. Addie drehte ihren Kopf zu mir und sah mich an, als hätte ich nichts Blöderes fragen können. Hätte ich wahrscheinlich auch nicht. Dann wandte sie sich wieder ab. Ich nahm meinen Kaffee, stand auf und ging zu ihr.

„Bist du immer noch sauer auf mich?", fragte ich und ließ mich neben ihr nieder. Sie schüttelte den Kopf und ich atmete erleichtert auf. Wenigstens etwas.

„War ich schon vor zwei Tagen nicht mehr", murmelte sie dann. Ich sah sie ungläubig an. Was hatte sie gerade gesagt?

„Und du hast es nicht für nötig gehalten mit mir zu reden?" Die Fassungslosigkeit musste man mir angesehen haben, aber Addie störte sich nicht daran.

„Du hast doch selbst keinen Ton gesagt", gab sie unschuldig zurück und schloss ihre Augen. Nicht zu fassen. Ich hatte zwei Tage mehr als nötig Schuldgefühle gehabt. Sie hatte Glück, dass ich darüber im Moment nicht streiten wollte.

„Wie geht's dir?", fragte ich daher.

„Blendend."

„Und wirklich?"

„Beschissen."

Ich wartete darauf, dass Addie mehr sagte, aber das tat sie nicht. Sie saß einfach nur da, den Kopf auf dem Kissen, die Augen geschlossen. Ich fragte mich, ob sie eingeschlafen war. Leute die länger nicht schliefen, fielen doch in Sekundenschlaf. Aber Addie öffnete mühsam die Augen und rieb sich übers Gesicht. Warum sagte sie uns nicht endlich was los war? Warum sagte sie mir nicht endlich was los war? Mittlerweile konnte ich nur noch hoffen, dass sie irgendwann so übermüdet war, dass sie gar keinen anderen Ausweg mehr sah, als es uns zu erzählen. Obwohl ich natürlich nicht hoffte, dass es soweit kommen würde.

„Addie...", begann ich, brach aber dann ab, weil ich keine Ahnung hatte, wie ich an sie heran kommen sollte. Wenn Trev es nicht schaffte, warum hätte ich es dann schaffen sollen? Addie drehte sich wieder zu mir und sah mich abwartend an, obwohl sie genau wusste, worüber ich sprechen wollte.

Dann schüttelte sie den Kopf. „Ich bitte dich, Aidan, lass es gut sein."

„Was muss ich tun, damit du mir endlich sagst, was los ist?"

„Es ist nichts los!"

Das hätte sie nicht einmal einem Blinden erzählen können. Sie starrte krampfhaft in die Nähe des Fernsehers. Was war an der Leere die sie betrachtete spannender als an mir?

„Ich will einfach nur schlafen", wisperte sie. Ihre Augen wurden glasig. Noch glasiger, als sie es ohnehin schon waren und ihre Unterlippe begann zu beben. „Ich will nur noch schlafen, aber ich kann nicht, weil ich weiß, dass ich wieder einen Alptraum haben werde, sobald ich meine Augen schließe, selbst wenn es nur für eine Sekunde ist." Sie legte ihre Hände vors Gesicht und brach in verzweifelte Schluchzer aus. Also wenn Trevs Nächte aus solchen Szenarien bestanden, dann wunderte es mich ehrlich nicht, dass auch er zunehmend schlechter aussah. Ich stellte meine Tasse auf den Couchtisch und nahm Addie in die Arme. Zu meiner Überraschung ließ sie es sogar zu. Ich drückte sie an mich und ließ sie eine Zeit lang einfach nur weinen. Ich wartete geduldig, bis sie sich wieder halbwegs beruhigt hatte.

Shadow Girl (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt