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Beverly

Kaffee war nun wirklich kein Ersatz für Alkohol. Er verschlimmerte meine Lage lediglich, denn ich war die Menge an Koffein nicht gewöhnt, und daher war ich aufgedreht, wie schon lange nicht mehr. Ich konnte meine überschüssige Energie nur nirgends so recht loswerden. Also hopste ich in alle Geschäfte, die ich finden konnte, und ging den Kassierern und Angestellten mit meiner Redseligkeit wohl gehörig auf den Keks. Das Ganze ging etwa eine Stunde so, bevor ich mich dazu entschloss, den armen Menschen nicht mehr die Ohren abzukauen, und in den Park ging, der etwa zehn Minuten vom Starbucks -meiner letzten Haltestelle- entfernt lag. Die Temperaturen in Fresno hatten über die letzten zwei Wochen beschlossen hinaufzuklettern, und es war fast immer warm und sonnig. So auch heute, also setzte ich mich mit meinem Chai Latte (der wohl nur deshalb aufs Haus gegangen war, damit ich aus dem Starbucks verschwand) auf eine Holzbank. Von dort aus konnte ich den kleinen See überblicken, und den Enten dabei zusehen, wie sie einander übers Wasser jagten, und ihre Köpfe untertauchten, um sich abzukühlen. Der Kies knirschte, wenn Menschen vorbeikamen, die Blätter raschelten im Wind, und das Brummen einiger Bienen, die ich nicht lokalisieren konnte, ergab mit den Schreien einiger Vögel eine angenehme Geräuschkulisse.

Mein Dämon kletterte neben mich. Es waren nicht viele Menschen auf dieser Seite des Seeufers, also konnte ich relativ ungestört mit ihm reden.

„Ich weiß nicht wovon du sprichst", sagte ich ausweichend, und trank einen Schluck Tee, als er mich fragte, was zum Teufel ich mir dabei gedacht hatte. Er murrte etwas Undeutliches. „Ich ziehe zumindest vor, es nicht zu wissen", lenkte ich ein. Ich wippte mit meinem Fuß unruhig auf und ab. Eine seltsame Unruhe lag wie ein Schleier über mir, aber ich versuchte es zu ignorieren.

„Toller Tag heute", seufzte ich zufrieden, und sah mich ein wenig um. Auf der gegenüberliegenden Seite des Sees, lagen einige Leute im Gras auf ihren Badetüchern und sonnten sich, oder plantschten mit Luftmatratzen und Bällen im Wasser herum. „Wirklich. Das Wetter ist doch schön. Ich meine in Santa Barbara wäre es sicher schöner, aber das geht schon. Vielleicht schaffe ich es ja, ein bisschen Farbe zu bekommen, wenn ich hier in der Sonne sitzen bleibe. Ich bin ja fast durchsichtig." Er kletterte über die Lehne auf meine andere Seite, und stupste mich auffordernd an. „Ich will aber nicht zurück nach Santa Barbara." Er legte den Kopf schräg. „Das hat gar nichts mit Aidan zu tun." Er gab einen empörten Laut von sich. „Dass du Aidan nicht magst, hast du deutlich gemacht. Aber es geht gerade nicht um ihn. Ich meine, es ist doch alles gut zwischen uns." Wow. Nicht mal ich kaufte mir das ab. Es wurde wohl Zeit den Tatsachen in die Augen zu sehen.

Ich schlug mir mit der flachen Hand auf die Stirn. „Oh Gott, was hab ich getan?" Ich wirbelte zu meinem Dämon herum. „Habe ich das wirklich getan? War ich wirklich so dumm?" Er nickte bestätigend, und ich ließ mich kraftlos gegen die Holzbank sinken. Ich versuchte zu analysieren, wie es dazu hatte kommen können, dass ich Aidan geküsst hatte. Aidan! Geküsst!

Bei Tag hätte ich das sicher nicht getan. Jetzt verstand ich, was die Leute damit meinten, wenn sie sagten, dass die Nacht Menschen seltsame Dinge tun ließ. Das konnte ich nur bestätigen. Ich hatte schon halb geschlafen, meine Gedanken waren vernebelt gewesen, und Aidan hatte so gut gerochen. Es war wie ein Traum gewesen, in dem ich es einfach getan hatte. Auch jetzt fühlte es sich nicht an wie die Realität. Aber es war real. Und wie es das war. Ich hatte Aidan geküsst, und war eingeschlafen. Und er hatte kein Wort dazu gesagt.

Ich kam zu dem Schluss, dass er mich hassen musste.

An den heutigen Morgen wollte ich gar nicht zurück denken. Mein ganzer Körper erfüllte sich mit Scham, und ich wäre am liebsten im Boden versunken, wenn ich daran dachte. Wie sollte ich Aidan je wieder in die Augen schauen? Offensichtlich war ihm die ganze Situation ja genau so unangenehm, wie mir, obwohl es dafür keinen Grund gab. Ich hatte ihn geküsst, und ich bekam gerade einen Korb.

Shadow Girl (Band 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt