Beverly
Meine Schwester war der Teufel gewesen. Mein Dämon war vielleicht eine boshafte Schattengestalt, die es liebte Menschen zu verletzen und mit ihrer Psyche zu spielen, aber meine Schwester hatte sich auf einem weitaus grausameren Niveau aufgehalten. Nie war sie die große Schwester gewesen, die ich gebraucht hätte. Im Gegenteil. Bis heute war ich sicher, dass sie eine manipulative Soziopathin gewesen war, die nie als solche erkannt worden war. Sie hätte man eher einweisen sollen, als mich. Meine Fähigkeit war es, Gedanken lesen zu können. Ihre war es gewesen, Menschen wie Marionetten für sich tanzen zu lassen, ohne dass sie es bemerkt hätten. Sogar mich hatte sie jahrelang in ihren Fängen gehabt, bis ich die Fähigkeit des Gedankenlesens erlangt hatte, und auf brutalste Weise hatte erfahren müssen, was in ihrem kranken Kopf wirklich vorgegangen war. Ich hatte nie nachvollziehen können, warum sie mich in ihrem tiefsten Inneren so sehr gehasst hatte. Soweit ich mich zurückerinnern konnte, hatte ich ihr nie etwas getan. Und noch weniger konnte ich verstehen, wie ich ihr so lange, so blind hatte vertrauen können.
Die Beziehung zwischen Aidan und Addie war eine ganz andere. Sie wollten füreinander nur das Beste, auch wenn es oft so aussah, als würden sie den Anderen am liebsten erschlagen. Das hatte ich in den letzten Tagen ein paar Mal miterleben dürfen. Trotzdem bemerkte ich, wie wichtig sie einander waren. Warum hatte ich nie die Chance dazu bekommen, Menschen wie sie zu treffen? Eine solche Loyalität, die nicht nur zwischen Addie und Aidan, sondern auch zwischen ihnen, Chase und Trev herrschte, kannte ich nur von mir und meinem Dämon, doch das zählte nicht, da es eine nicht-menschliche Verbindung war, die zwischen uns bestand. Ich war dazu gezwungen meinem Dämon gegenüber loyal zu sein, aber die vier taten es freiwillig. War nun in meinem Kopf etwas falsch, oder in deren?
Es war Donnerstagnachmittag. Nachdem Aidan wieder von der Uni kam, spazierten wir planlos durch die kleine Stadt. Ich mochte es zwar bei ihm zu Hause auf der Couch herumzuliegen, den ganzen Tag nur zu zeichnen und mir den Kopf darüber zu zermartern, warum Felicity mir dieses nichtssagende Buch gegeben hatte, aber nach einiger Zeit fiel mir prinzipiell die Decke auf den Kopf, und ich musste raus. Dass Aidan bei mir war, änderte aber trotzdem nichts daran, dass ich ständig paranoide Vorstellungen davon hatte, Dr. Kennedy auf der Straße zu sehen, oder die Frau aus Modoc, oder sonst jemanden, der mir hätte gefährlich werden können. Es war ein verschneiter Tag und ziemlich kalt draußen, sodass wir uns irgendwann in einen Starbucks setzten, um uns ein wenig aufzuwärmen. Aidan's Cappuccino duftete göttlich, aber ich wusste genau, wie widerlich dieses Getränk schmeckte. Dafür hatte ich mich doppelt und dreifach über meinen Chai Latte gefreut. Als ich mich noch regelmäßiger mit meinen Freunden getroffen hatte, um mir selbst vorzuspielen, dass alles so werden könnte, wie ich es mir immer ausgemalt hatte, waren wir unzählbar oft im Starbucks gesessen. Damals hatte ich noch versucht mir einzureden, dass Kaffee lecker sei, bis ich auf Chai Latte gestoßen war und das Kaffeetrinken komplett aufgegeben hatte. Ich wusste nicht mehr, wann ich zum letzten Mal diesen von Gott geschaffenen Tee getrunken hatte. Es musste Jahre her gewesen sein, aber sobald ich ihn ausgetrunken hatte, bestellte ich einen zweiten.
Der Valentinstag stand vor der Türe, und auch Starbucks lies die Gelegenheit zu dekorieren nicht verstreichen. Obwohl ich die roten Kerzen, die Konfetti in Herzform und die roten Luftschlangen unfassbar kitschig fand, schaffte die dämmrige Beleuchtung in Kombination mit den Tischen und Stühlen aus dunklem Holz, eine gemütliche Atmosphäre. Hinzu kamen natürlich der typische Caféhausduft und der Blick auf die Straße, auf der die Menschen in dicken Jacken und mit Schal und Mütze durch die Schneeflocken eilten.
Nachdem Aidan und ich weder gestern Abend, noch heute Morgen besonders viel geredet hatten, weil er ziemlich viel für die Uni hatte vorbereiten müssen, fühlte es sich gut an mit ihm hier zu sitzen. Es fühlte sich fast normal an, obwohl ich schon gar nicht mehr wusste, was ich als Normalität hätte bezeichnen können.
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Shadow Girl (Band 1)
Paranormal„Es ist wie ein Spiel. Entweder du kontrollierst die Schatten, oder die Schatten kontrollieren dich." „Und du? Kontrollierst du die Schatten?" „Manchmal denke ich das." *** Hätte Aidan sein schlechtes Gewissen ignoriert und die unruhigen Nächte weit...