Kapitel 5

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Ich saß mit geschlossenen Augen auf dem kalten Steinplateau, lehnte mich an Hawkins und döste. Plötzlich hörte ich, wie jemand nach Luft schnappte und öffnete die Augen. Dort, am Rand des Plateaus, hing Ellie und hievte sich hoch. Als sie dann endlich auf dem Stein saß, atmete sie tief durch und krabbelte zu uns herüber. Ich sah sie an.

"Geht's?", fragte ich. Sie nickte nur. Ich schloss die Augen wieder. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Fraya auch endlich ankam. Und auch sie war für kurze Zeit bewusstlos. Ich knetete meine Hände und kaute auf meiner Lippe herum. Verdammt nochmal! Ellie rüttelte sie wach. Fraya schoss in die Höhe.

"Danke, Ellie.", murmelte sie. Ich schluckte und sank in mir zusammen, zog den Kopf ein und biss mir auf die Lippe. Irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen, sie mitgenommen zu haben. Alle drei. Ich hätte einfach Nein sagen sollen, als Hawkins gesagt hatte, er würde mitkommen, ich hätte einfach versuchen sollen, Ellie und Fraya abzuschütteln und ich hätte mich einfach allein auf den Weg machen müssen. Schwungvoll stand ich auf und sah in die Runde. 

"Darf ich euch mal was fragen?", fragte ich. Einstimmiges Nicken.

"Warum wolltet ihr unbedingt mitkommen?" Ellie stand ebenfalls auf. 

"Na, weil du unsere Freundin bist und wir dir helfen wollten. Also, ich jedenfalls." Sie sah Fraya an. Diese nickte und stimmte ihr zu. Mein Blick richtete sich auf Hawkins. Er schluckte und stand dann auf. 

"Ich glaube, es ging mir darum, etwas zu beweisen. Nicht dir oder den anderen beiden. Eher mir selbst. Ich schätze, ich höre mich gerade ziemlich bescheuert an, aber ich hab vorher daran gezweifelt, dass ich jemals dazu in der Lage wäre, jemandem zu helfen. Gemeinsam mit anderen zu arbeiten, die offensichtlich nicht so viel Angst vor mir haben, wie der Rest." Er presste die Lippen aufeinander. Ich starrte ihn an. Ellie wechselte einen Blick mit Fraya. Ich nickte, dann drehte ich mich um und starrte auf die Tür. Es war eine schwere, breite Steintür. Mein Blick glitt zu den Gravuren. 

"Bene factum. Argh. Scheiß Latein. Haltet ihr zusammen, überlebt ihr, entzweit ihr euch, sterbt ihr.", las ich vor. Gut, der Kommentar über die lateinische Sprache war nicht über die Tür graviert worden. Hawkins legte den Kopf schief, ging auf die Tür zu und wischte über die freie Stelle unter den Gravuren. Ich stutzte, als neue Worte erschienen. 

"Wir müssen uns in Zweierteams aufteilen.", murmelte Hawkins. Ich schluckte. Dann sah ich zu Ellie und Fraya. 

"Ich lasse euch die Wahl. Eine von euch kann mit mir gehen, die andere mit Hawkins, oder ihr beide geht zusammen und ich geh' mit Hawkins." Ellie wechselte einen Blick mit Fraya, dann hakte Ellie sich bei Fraya unter und ich nickte. Hawkins holte nur tief Luft und öffnete dann die Tür. Mir blieb der Mund offen stehen, als ich sah, was uns hinter der Tür erwartete. Dort, ein paar Meter hinter der Schwelle, war eine weißblaue Wand aus Eis, getrennt durch eine grob zwei Meter dicke Eisenwand, sodass es aussah, als gäbe es zwei Kapseln mit je einem Eingang. Ich schluckte. Wir alle waren noch nass. Und wir alle trugen nicht mehr als Unterwäsche. 

"Wir schaffen das.", sagte ich leise. "Hoffentlich...", fügte ich dann hinzu. Und wir betraten den Raum. Sofort empfing mich eisige Kälte und ich schlang die Arme um meinen Körper. Fraya war die einzige, die nicht fror und Ellie und ich klammerten uns einen Moment an ihr fest, um uns aufzuwärmen. Hawkins stand neben uns und ich konnte deutlich sehen, dass er fror, weil er Gänsehaut hatte. Langsam löste ich mich von Fraya und sagte:

"Na dann mal los." Wir sahen uns ein letztes Mal an, dann betraten wir die verschiedenen "Kapseln". Ich schluckte. Hier drin war es noch kälter und sogar der Boden war zugefroren. Automatisch drängte ich mich dichter an Hawkins. Er schlang einen Arm um mich und versuchte ebenfalls, den letzten Rest Körperwärme aufzusparen. Die Kapsel war eigentlich ein Gang, der unendlich lang zu sein schien. Also liefen wir los. Die Luft, die wir ausatmeten, wurde in kleinen Wölkchen sichtbar und meine Füße waren jetzt schon eiskalt. Ich war noch nicht lange hier drin und begann bereits, zu zittern, während Hawkins sich noch ganz gut im Griff hatte. Plötzlich knurrte etwas hinter uns und ich fuhr herum, Hawkins direkt neben mir. Hinter uns - jetzt natürlich vor uns - stand ein monströses Etwas, das einem weißen Wolf mehr ähnelte, als sonst irgendwas. Es fletschte die Zähne und Speichel tropfte auf den Boden, wo er sofort gefror. Ich schluckte, dann sah ich Hawkins an. Er erwiderte meinen Blick.

Phönix der NachtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt