3. Danach

177 10 0
                                    




Als ich wieder aufwachte lag ich nicht mehr im Sand. Ich hatte meine Augen in Schlitzen und starrte auf die weiße Decke. Wo bin ich? Ich spürte, dass mein Körper immer noch sehr schwach war und beschloss, dass es kurzzeitig besser wäre, mich gar nicht zu bewegen. Ich ertastete etwas Weiches unter meiner Hand und drückte in es. Mein Griff löste sich jedoch schon nach Millisekunden, da ich viel zu schwach war. Ich stöhnte leicht auf und bemerkte ein fürchterliches Surren in meinem Kopf. Mein Kopfweh fühlte sich an als würden tausend Hammer auf meinen Kopf einschlagen und ich griff mir zögerlich auf den Kopf. Er glühte. Langsam drehte ich meinen Kopf leicht schräg und wurde von der Sonne, die den ganzen Raum erhellte, geblendet. Ich kniff meine Augen zusammen und drehte mich wieder zu der Decke. Warum war ich hier? Was ist passiert? Ich konnte mich an Nichts mehr erinnern. 

Ich hörte ein Klicken und drehte mich rückartig zu dem Ort, wo das Klicken herkam. Eine schlanke Person mit einem Arztkittel kam in den Raum und als sie mich erblickte, breitete sich ein riesiges Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Sie hatte ihre langen goldenen Haare zu einem nahezu perfektenPferdeschwanz zusammengebunden und ihre hellgrünen Augen beobachteten mich freundlich. Sie war eine sehr schlanke, große Frau und hatte makellose Haut.„Du musst Marieke sein, oder?", sagte sie mit einer sehr sanften Stimme. Ich nickte nur. Erneut ging die Tür auf und ein anderer Doktor kam in den Raum. Er war ein sehr drahtiger Mann und war sicher zwei Meter groß. Auch er schaute mich freundlich an, doch als er zu seiner Kollegin sah, verschwand dieser Gesichtsausdruck. Sein Blick war leidend und er ging rasch auf die wunderschöne Frau zu. Er zog leicht an ihrem Kittel und führte sie ein bisschen von meinem Krankenbett weg. Er flüsterte ihr etwas in ihr Ohr, ohne seine Augen von mir zu lassen. Ihre Augen ruhten auch auf mir und als der Mann ihr die wichtige Information mitgeteilt hatte, wurden ihre grünen Augen riesig und sie zuckte mit ihren Mundwinkeln. Sie öffnete ihren Mund und ein leises „Ähh..." ,kam aus ihrem Mund. Es war eine angespannte Stimmung in dem kleinen Raum und ich konnte nichts anderes machen, als die Krankenschwester anzustarren. Sie wurde unfassbar rot im Gesicht und ich wettete ihr Kopf musste sich mindestens genauso schlimm angefühlt haben, wie meiner. Der Doktor starrte mich an und ich meinte, dass er sich schuldig gefühlt haben muss. Früher hätte ich mich in einer solchen Position sehr unwohl gefühlt, doch in diesem Moment, ignorierte ich dieses Gefühl einfach. Dieses Gefühl anders zu sein. Der hübschen Frau drängten sich Tränen der Peinlichkeit auf und sie flüchtete rasch, mit großen Schritten, aus dem Krankenzimmer. Meine Kopfschmerzen begannen sich zu verschlimmern und ich verdrehte meine Augen vor Schmerz. Ich führte meine Hände zu meinem schmerzenden Kopf und verdeckte meine Augen. Der drahtige Doktor kam auf mein Bett zu und holte sich einen Stuhl. Er positionierte sich neben meinen Bett und atmete ruhig.

„Dass was gerade passiert ist, tut mir Leid, Marieke. Sie wusste es nicht und wenn ich es ihr nicht erzählt hätte, hätte die ganze  Situation noch unangenehmer werden können. Geht es dir etwas besser, Marieke?", begann er.
Ich nahm die Hände von meinem glühenden Kopf und sah ihn an. Leicht nickte ich und bemerkte, dass mir Tränen vom Gesicht rollten. Ich seufzte auf und drehte mich schnell von dem besorgten Doktor weg. Plötzlich überrollte es mich wie eine Welle. Ich konnte mich an jedes einzelne Gefühl, welches ich im Wasser verspürt hatte, erinnern. Ich begann sehr schnell zu atmen und meine vorherigen Tränen verschlimmerten sich.Ich weinte und drückte mich fest in das Patientenbett. Hilfesuchend sah ich den Doktor an. Ich wollte schreien, ich wollte meine ganzen Gefühle herauslassen. Doch es ging nicht. Ich öffnete meinen Mund, doch kein Laut kam aus ihm. So ist es  halt stumm zu sein. 

Viele Leute, die es anfangs nicht mitbekommen und es erst später, durch andere Menschen erfahren, reagieren genauso wie die Krankenschwester vorhin. Am Anfang hat es mich sehr bedrückt und verletzt,doch inzwischen finde ich die Reaktionen von Menschen irgendwie lustig. Es stört mich also nicht, wenn mich Leute deswegen urteilen und denken das ich unfreundlich sei. Die einzigen Leute, bei denen mich es verletzte, waren meine Eltern. Ich verlor meine Stimme plötzlich. Ich hatte sie noch als ich dreizehn war, doch dann passierte es. Meine Krankheit heißt Audimutitas, also Hörstummheit, und ist durch eine Beschädigung meiner Stimmbänder entstanden. Langsam beruhigte ich mich wieder und versuchte mich auf etwas anderes zu konzentrieren. Der drahtige Doktor hatte seine Hände auf meiner Schulter gelegt und sah ziemlich verzweifelt aus. Er versuchte zwar seriös zu bleiben, doch er wusste alles. Er war bei meiner Operation dabei. Die Operation, bei der ich meine Stimme verloren habe. Er hatte Schuldgefühle, dass sah man ihm an. Angespannt sank er wieder in seinen Stuhl und stützte seine Hände auf seiner Schoß ab. Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus und sah ihn an. „Bitte geh", sprach ich, also ich versuchte es zu sagen, doch meine Lippen bewegten sich nur lautlos. Seufzend setzte ich mich auf und befreite meine Hände von der Decke. Der Doktor sah auf und blickte mich an. Meine Hände zitterten zwar, doch ich begann mit dem Doktor zu kommunizieren. Ich streckte meine Hand gerade aus und legte meinen Daumen in meine Handinnenfläche. Der Doktor verstand die Gebärdensprache zwar, doch konnte sie nicht flüssig. Rasch holte er sich einen Block und einen abgekauten Stift und begann zu schreiben. „B". Das nächste Zeichen war eine Faust, doch der kleine Finger war ausgestreckt. „I". Zweimal machte ich eine schräge Faust und formte mit meiner Hand eine Art Pistole. Kurze Stille. Ich machte die Nachricht noch einmal und beim zweiten mal verstand er sie. „T". „T". Ich formte mit meiner Hand ein seitliches O und zeigte ihm dies aber von vorne. „E". Wieder hielt ich meine Hand leicht seitlich und streckte den Ringfinger und den Mittelfinger aus. „H". Geduldig formte ich noch die Buchstaben: E S T U T M I R L E I D. Er war sehr langsam, aber wenigstens beherrschte er die Gebärdensprache, wenn auch nicht flüssig. Er starrte auf die hart gewonnenen Buchstaben auf seinem Block und las die Nachricht laut vor. „Bitte geh. Es tut mir Leid", sagte er mit leiser, angespannter Stimme. Der Doktor blickte von seinem Block auf und sah mich intensiv an. Er sah aus, als wäre er kurz vorm Weinen. Als ich seinen Gesichtsausdruck sah stockte ich und schluckte tief. Es tat so weh. „Möchtest du Matthias sehen?", fragte er schon fast schüchtern. Ich drehte mich mit dem Gesicht zu der Decke und nickte zögerlich. Die Wahrheit ist, dass ich ihn unbedingt sehen wollte. Der braunhaarige Mann nickte sich selber zu und ging zur Tür. Bevor er die Tür schloss, sah er mich noch einmal an und rief Matthias. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich sehr angespannt und kerzengerade in meinem Bett saß. Ein paar Schweißtropfen flossen von meiner Stirn und hektisch strich ich sie weg. Ich entspannte meinen Körper und ließ mich in den Hospitalpolster fallen. Kurz danach konnte ich ein leises Klopfen an der Tür hören, doch ich wollte mich nicht bewegen. Ach wie gerne ich nur: „Herein!" gesagt hätte. Doch mein Besucher kam in den Raum und sah beschämt auf den Boden.

Schrei, niemand wird dich hören Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt