Steffen

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,,Denkst du nicht, du hast mich lange genug zappeln lassen?", gebe ich etwas zickig von mir.

Wir sind fertig mit frühstücken und Niclas hat angefangen die Zeitung zu lesen.

Er schaut auf und blickt mir in die Augen. ,,Wieso geht ihr in eine Disco? Nachts! Wer hätte diese bescheuerte Idee? Du oder Lara? Was wäre wenn ich nicht da gewesen wäre?", ernst blickt mir Niclas in die Augen.

Soll ich Lara verpetzen? Es war ja ihre Idee... aber das machen Freunde nicht. ,,Es ist alles meine Schuld. Ich hatte die Idee.", gebe ich knapp von mir.

,,Das beantwortet nicht meine erste Frage.", sagt er immer noch ernst.

Das ist ja echt schlimmer wie ein Verhör. Hätten meine Eltern auch so reagiert? Eher anders.

,,Weißt du was Niclas? Du kannst mich mal! Du bist nicht mein Vater, kapier das endlich.", schreie ich an, springe vom Stuhl auf und flüchte aus seinem Haus. ,,Lina bleib hier verdammt!", ruft mir Niclas hinterher. Doch ich ignoriere ihn. Mir ist klar, dass er mir nachrennen wird und da er schneller ist, brauche ich einen Plan. Ich renne nach rechts in eine Straße und da ist ein Spielplatz dort verstecke ich mich. Hier wird er mich nicht finden. Ca. 10/15 Minuten warte ich noch ab bis ich dann vorsichtig wieder zur Straße gehe.

Einige Tränen verlassen meine Augen. Ich vermisse meine Eltern so schrecklich. Weder Niclas, noch Dule oder Niko können sie ersetzen. Meine Eltern hätten mich angemeckert und angebrüllt, aber hätten sich nicht so kindisch verhallten wie Niclas, welcher mich stundenlang ignoriert.

,,Fuck! Scheisse!", brülle ich und fahre mir mit meinen Händen unruhig durchs Gesicht. Wie soll ich bloß ins Heim kommen? Ich habe nur mein Handy. Kein Geld nichts. Soll ich Niko, Dule oder jemand ganz anderen anrufen. Mit Disse und Rune habe ich mich auch gut verstanden. Aber auch mit Steffen. Niko und Dule habe ich schon so oft mit meinen Problemen genervt. Mit Disse und Rune habe ich noch nicht ganz so viel zu tun gehabt. Also Steffen. Zum Glück habe ich auch seine Nummer.

,,Weinhold?", meldet sich eine Männerstimme. ,,H-i, hier...hier, ähm ist Lina.", stottere ich. Verdammt nicht stottern.

,,Lina? Ist was passiert? Wo bist du?", ,,In Melsdorf, kannst du mich abholen?", ,,ja klar, bin in 15 Minuten da. Weißt du wie die Straße heißt?", ich schaue mich um und siehe da: ,,Kramerstrasse.", ,,Ok, bin gleich da.", und schon aufgelegt.

Wieso ist Niclas immer so scheisse zu mir? Vielleicht sollte ich den Kontakt mit ihm abbrechen. Wir streiten so oft, zu oft, dass ist mit Niko zum Beispiel nicht der Fall. Ich hasse auch seine Art, wenn man mit ihm Streit hat, erstmal ignoriert er mich und dann später macht er mir Vorwürfe und meckert mich an. Dann soll er das lieber gleich machen. Was mich auch extrem an nervt ist, dass Niclas mich anmeckert wie mein Vater, aber das ist er nicht verdammt noch mal. Er nimmt sich Freiheiten, die er nicht hat.

Ein Huppen reißt mich aus meinen Gedanken. Steffen. Ich laufe auf ihn zu und steige in sein Auto ein. Wahrscheinlich habe ich noch rote Augen vom weinen, aber das ist mir egal. ,,Was ist passiert Lina?", er legt seine Hand auf meine Schulter und Besorgnis kann man aus seiner Stimme raushören. ,,Niclas, er..er, also gestern Abend..., Niclas hat mich ignoriert und dann total angemeckert.", rede ich wirr durcheinander. ,,Warte ich komm nicht ganz mit, Erzähl noch mal alles von Anfang an wenn du willst.", in seinen Augen ist so viel Vertrauen zu sehen, dass ich einfach Anfänge ihm alles zu erzählen, von Lara und der Party, bis eben zum Streit und meiner Flucht. Außerdem erzähle ich ihn meine Gedanken, welche ich hatte, als ich auf Steffen gewartet habe. Ohne mich zu unterbrechen hört er mir zu und nickt an manchen Stellen. ,,...Was soll ich tun Steffen?", beende ich meine Frage und schaue ihn verzweifelt an. Tränen sind bis jetzt keine mehr gekommen, aber das wundert mich nicht, denn davor, als ich von Niclas geflüchtet bin, habe ich schließlich durchgehend geweint.

,,Am besten ist, du redest mit Niclas. Sag ihm wie du darüber denkst, also das er sich benimmt wie sein Vater. Aber nebenbei gefragt: ich dachte du findest es eigentlich ganz gut, dass Niclas diese Rolle übernimmt, zumindest hast du mir das mal erzählt.", ,,Ja, aber es wird immer schlimmer und außerdem, ähm, habe ich Angst meinen Vater zu vergessen. Und meine Mutter natürlich auch. Ich habe Angst ihre Stimmen zu vergessen, ihr lachen, ihre Art, einfach alles.", sage ich traurig.

Bin ich etwa doch noch labiler wie ich dachte?

,,Oh verstehe. Da liegt also das Problem.", seufzt Steffen, streichelt mit seiner Hand meine Wange und seufzt einmal. ,,Fahr!", sage ich auf einmal und wende meinen Blick aus dem Fenster. ,,Weiß Niclas eigentlich wo du jetzt bist und ob du in Sicherheit bist?", hakt er nach. ,,Nein, ist mir aber auch egal, und jetzt fahr!", seufze ich genervt. ,,Pubertät!", höre ich ihn noch murmeln, doch ignoriere es gekonnt. ,,Wohin soll ich fahren.", fragt er und startet den Motor. ,,Weg von hier.", sage ich hilfreich. Steffen stöhnt genervt. ,,Zu die nachhause?", fragend schaut Steffen mich an. ,,Du meinst ins Heim.", verbessere ich ihn. ,,Ja.", ich nicke und er fährt los. Plötzlich reicht er mir sein Handy und sagt: ,,Ruf Niclas an und sag du bist in Sicherheit.", ,,Hundertprozentig nicht.", sage ich leicht aufgebracht. Steffen hält an einer Seitenstraße an, seufzt und wähl schließlich eine Nummer. Ich bekomme nur Wortfetzen mit.

,,Moin Steffen hier, ich wollte nur sagen, Lina ist bei mir. Ja..., du musst dir keine sorgen machen. ..Ja mach ich.. Ok bis zum Training. Tschüss.", Steffen legt sein Handy weg und fährt weiter. Beim Heim will ich gerade aussteigen da hält Steffen mich noch einmal am Arm fest: ,,Lina, falls was ist, Ruf mich an, egal wann, verstanden?", ernst schaut er mich an. Ich nicke, verabschiede mich und betrete das Heim. Dort gehe ich dann auch bald schlafen, zumindest versuche ich es, gegessen habe ich nichts mehr. Ich habe einfach keinen Hunger, auch wenn ich eigentlich was essen muss, aber das ist mir egal.

Verdammt, neulich habe ich gesagt, dass mir nach dem Tod meiner Eltern alles egal war, vor allem meine Gesundheit, ist diese schwierige Phase etwa wieder gekommen? Bin ich rückfällig geworden? Bin ich Nutzlos?

Das Leben läuft nicht immer nach Plan...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt