chapter 72

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Ich kann von Glück sprechen, dass Grace so spontan ist und mich bei ihr schlafen lässt. Ihre Eltern kommen erst spät nach Hause und es scheint ihnen nichts auszumachen, dass ich über Nacht hier bleibe. Ich bekomme einen Pyjama von ihr, mit dem ich mich sogar zu ihr in ihr Bett legen darf. Und wie es sich nunmal für Mädchen gehört, quatschen wir vor dem Einschlafen noch viel zu viel über Jungs. Und Ryan. Und Mädchen. Also im Endeffekt über alles mögliche und das macht sich vor allem am nächsten morgen bemerkbar, wo wir beide kaum aus dem Bett kommen, weil wir so dermaßen müde sind. Im Gegensatz zu mir, wird Grace nicht von ihren Eltern sondern ihrem Wecker geweckt, was die Situation auch nicht gerade besser macht. Irgendwann rafft sich Grace auf und schlendert ins Bad, wo sie auch eine Weile bleibt. Ich muss gestehen, dass ich keine Lust habe mich heute wirklich fertig zu machen. Zähne putzen und frisches Gewand muss reichen. Also bleibe ich noch im Bett liegen und beginne zu Lächeln, weil ich mich endlich richtig ausbreiten kann.
"Steh auf du Schlafmütze! Du hast 10 Minuten um dich fertig zu machen!", ruft mir Grace von der Tür aus zu und schweren Herzens muss ich mein Bett verlassen. "Ich will nicht!", beschwere ich mich und drehe mich noch einmal auf die andere Seite des Bettes. "Ich auch nicht, aber wir gehen trotzdem also mach dich wenigstens ein bisschen frisch", rät sie mir und angewidert von dem Gedanken in die Schule zu gehen, stampfe ich ins Bad, in dem nur schnelle Katzenwäsche erfolgt und mich kurz darauf wieder in Grace' Zimmer befinde. "Hier das kannst du anziehen." Sie wirft mir einen Stapel von ihren Klamotten zu und ich lächle sie dankend an.
Sie hat mir gar nicht ihre hässlichsten Sachen gegeben, was ich hätte verstehen können. Das Outfit steht mir sogar recht gut und wenn ich mich schminken würde und meine Haare stylen würde, könnte ich sogar richtig gut aussehen. Dafür fehlt mir aber die Motivation, also gehe ich so mit ihr außer Haus. Es ist angenehm zur Fuß in die Schule zu gehen und nicht so wie ich auf einen Bus angewiesen zu sein. Den ich zwar die letzten Wochen nicht nützen musste, weil ein gewisser Herr darauf bestand, mich mitzunehmen, aber trotzdem kann ich mich gut daran erinnern wie schrecklich es gewesen ist. Umso näher wir zur Schule kommen, umso paranoider werde ich. Ich sehe mich die ganze Zeit nach Ryan um, doch entdecke ihn nirgends. Wenn dieses Weichei wieder nicht in die Schule kommt, weil er Angst vor mir hat, dann werde ihm ordentlich meine Meinung sagen, wenn ich ihn das nächste Mal sehe.
Ich habe das Gefühl, Ryan läuft vor seinen Gefühlen weg und möchte so wenig es geht mit Konflikten konfrontiert werden. Wir können aber nicht immer nur Friede Freude Eierkuchen spielen, sondern uns auch ab und zu richtig streiten. Das gehört nunmal dazu. Auch wenn es schmerzhaft ist und man in dem Moment nie wieder aus seinem Zimmer möchte.

Ich sitze stumm neben Grace, während sie mich voll quasselt, ich aber nur sinnloses Zeug auf meinen Block kritzle. Auf einmal spüre ich einen Windstoß, der mich aufsehen lässt und ich entdecke, dass dich Ryan doch in die Schule getraut hat und wie immer neben mir sitzt. Er sagt nichts und ich tue es ihm gleich und richte meinen Blick kurz darauf wieder auf meine Zeichnung. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Grace ihm leicht zuwinkt, er darauf aber keine wirkliche Reaktion gibt und sich anschließend mit seinem Handy beschäftigt. Äußerst höflich der Herr!
Der gesamte Schultag fühlt sich total komisch an. Wir sind uns so nah wie immer, nur sprechen kein Wort miteinander. Hin und wieder zieht sich mein Magen zusammen, weil unsere Situation so weh tut. Ich muss auch ehrlich gestehen, dass ich hin und wieder überlege einfach mit ihm zu sprechen, aber dann setzt meistens doch wieder mein Verstand ein und gibt mir eine gedankliche Ohrfeige für diese Idee. Und das geht den ganzen Tag so, bis ich beim Bus stehe. Und selbst da zieht sich mein Magen zusammen, als ich Ryans Auto vorbeifahren sehe und er ganz genau weiß, wie sehr ich Busfahren hasse. Ich kann ihm aber gar nicht böse deswegen sein, denn ich würde mich nicht anders verhalten. Oder besser gesagt ich verhalte mich auch jetzt nicht wirklich anders als er. Zu Hause folgt ein großer Fress-Marathon, begleitet von den Simpsons und einer überdimensionalen Teetasse, die mich 3 mal auf die Toilette rennen lässt.
Irgendwann am Nachmittag meldet sich Grace, ob ich Gesellschaft brauche, aber ich verneine dankend, da ich viel lieber alleine bin und das jetzt erst recht brauche. Aber ich weiß ihre Geste sehr zu schätzen und ich hoffe sie weiß das auch. Am Abend rufe ich irgendwann Cole an, nur um ihn am Laufenden zu halten und beende das Gespräch auch ziemlich schnell, da ich nicht zu viel über Ryan und meine Gefühle sprechen möchte. Das liegt mir wohl nach wie vor nicht wirklich.
Beim Abendessen fragen mich meine Eltern gefühlte hundert mal, was los ist und jedes mal aufs neue gebe ich ihnen nur ein Brummen als Antwort, welches eigentlich abweisend sein sollte aber sie fragen immer und immer weiter, bis ich irgendwann einfach aufstehe und in mein Zimmer gehe. Ich meine, sie merken, dass es mir nicht gut geht und versuchen es dann "besser" zu machen, indem sie es 40 mal ansprechen? Niemand kann mir erklären, dass das Sinn machen soll.
Ich bin mehr als erledigt von dem Tag und gehe schnell duschen und lege mich anschließend in mein Bett und versuche sofort einzuschlafen. Doch meine nachtaktiven Gedanken, kommen erst jetzt raus und beschäftigen mich somit einige Stunden. Irgendwann wird es mir zu viel und ich stecke mir Kopfhörer in die Ohren und drehe die Musik ganz laut auf, sodass ich meine Gedanken nicht mehr hören muss. Und so, bei lauter Musik, kann ich besser einschlafen, als wenn ich meinen dämlichen Gedanken zuhören muss. 

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