Kapitel 2

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Montag

Still sah ich an die Decke. Die vielen Farbkleckse, ließen mich an früher erinnern. Damals war ich gerade 10 Jahre alt und meine Eltern fuhren ohne mich in den Urlaub. Ich musste hier bleiben und bekam dieses Zimmer. Aus Langeweile hatten Leyla und ich angefangen, die Decke mit den verschiedensten Farben zu bespritzten. An den Wänden waren noch leichte Farbkleckse und ein wenig Glitzer, das wir versucht hatten auf die Farbe zu tun. Ein kurzes Lächeln schlich mir über die Lippen. Mein Blick ging zur Zimmerür. Die einzigen paar Sachen die ich hier hatte waren erstens, bedauerlicher Weise ausschließlich für den Sommer gedacht und zweitens passten sie mir nicht mehr wirklich. Ich ging aus dem Zimmer heraus, die Treppe runter und schnurstracks in Leyla's Zimmer. Musste halt ihr Kleiderschrank dran glauben. Ich zog mein Top aus, das ich schlauerweise heute morgen garnicht ausgezogen hatte. Aus dem Augenwinkel sah ich mein Spiegelbild. Der monströse Spiegel erstreckte sich die halbe Wand entlang. Gleich davor war der riesige lilane Teppich. Das Bett, auf der linken Seite des Zimmers, hatte Leyla's Dad vor zehn Jahren für sie gebaut. Seit dem weigerte sie sich ein neues zu kaufen. Sie hing sehr an ihm. Die Trennung hatte ihr schwer zu schaffen gemacht. Ich drehte mich komplett zu dem weiß gestrichenen Spiegel. Viele blaue Flecken und Schrammen zierten meinen Oberkörper. Jeden Tag fragte ich mich, wieso Jack das getan hatte!? Er hatte sich schon immer einen Dreck um mich geschert, doch trotzdem war es ihm aus irgendeinem Grund überaus wichtig gewesen, das ich keinen Freund hatte ... oder überhaupt normale Freunde. Jedes Mal wenn er mitbekam das ich mich mit jemanden befreundet war oder nur gut verstand, flippte er vollkommen aus und schlug so lange auf mich ein bis ich ihm schwor das ich ihm gehorchte und allen Kontakt abbrach. Letztendlich hatte er mich von der Schule abgemeldet. Er hatte ein regelrechtes Gefängnis für mich erschaffen. Immer nachdem er ging, sperrte er die Türe mehrmals ab, überprüfte ob die Gitter vor den Fenstern auch ausbruchsicher waren und vergewisserte sich, dass ich keine Schlüssel oder sonstige Fluchthilfsmittel vorhanden hatte.
Nachdem ich mir etwas angezogen hatte, steuerte ich die Treppe die zum Wohnzimmer führte, an. Auf der Couch saß Jacob und hörte Musik. Er sah zu mir auf. Seine stechend grünen Augen brachten mich zum stehen. Alles hier war voller Erinnerungen. Erinnerungen an meine Vergangenheit. Zwar waren es gute, doch trotzdem waren es welche. Und genau damit konnte ich zurzeit nicht umgehen. Ich musste hier schnellstens raus. Irgendwo hin wo ich für mich allein sein konnte. Entschlossen ging ich in den Flur.
>> Was machst du hier? << rief er mir hinterher.
Wie kam er nur immer auf diese blöden Fragen? Es war doch vollkommen offensichtlich warum ich hier war. Es lief gestern immerhin auf allen Nachrichtenkanälen und war teilweise im Radio zu hören.
>> Braucht dich nicht zu interessieren <<
Ich schlug die Tür hinter mir zu. Es war selbst Schuld. Auf blöde Fragen bekam man halt eben blöde Antworten. Ich lief auf das kleine Wäldchen ein paar Blocks hinter dem Haus zu. Hier hatten Leyla und ich früher immer gespielt. Die Blätter unter mir raschelten bei jedem Schritt und leichte Sonnenstrahlen drangen durch die Baumkronen. Ein frostiger Wind wehte. Doch das war mir egal. Kälte war nichts schlimmes. Im Gegensatz dazu, hatte ich schon schlimmeres erlebt. Endlich kam ich an der Straße an. Stumm lief ich weiter. Die Bäume standen alle korrekt in Reihen auf den beiden Seiten der Hauptstraße. Die letzten Schneereste lagen noch auf den teilweise kahlen Ästen. Ein Auto fuhr an mir vorbei. Durch die Scheiben konnte ich ein streitendes junges Ehepaar erkennen das auf der Rückbank einen kleinen Jungen sitzen hatte der sich die Ohren zuhielt. So ungefähr hatte meine Kindheit ausgesehen. Wie an dem einem Tag vor acht Jahren. Damals fuhren Mum, Jack, ich und mein kleiner Bruder Elijah zu unserer damals noch lebenden Großtante Olivia. Doch in dieser Nacht stürmte es heftig. Mum hatte schon damals gesagt das wir lieber später hätten fahren sollen, doch Jack war stur wie eh und je. Wir kamen vom Kurs ab, überschlugen uns mehrmals und schlitterten letztendlich in einen Graben. Mein kleiner Bruder war schwerstverletzt. Doch jegliche Hilfe kam zu spät. Ich hatte ihn verloren. Meinen kleinen Elijah. Er war noch so klein gewesen. Hatte so viele Träume. Er war mein Leben. Nachdem ich im Krankenhaus erfahren hatte das Elijah tot war, schrie und weinte ich stundenlang. Ich schlug mit aller Kraft auch Jack ein ... Vergebens. Leider hatte ich damals noch nicht sehr viel Kraft. Seit dem Tag nannte ich Jack nur noch Jack und nicht mehr ... Dad. Das hatte er nicht verdient. Er war Schuld daran. Er hatte mir meinen Bruder genommen. Oft sagte er zu mir ich solle doch verstehen das es nur ein Unfall war und nicht meine Schuld. Pah! Es war nie meine Schuld gewesen, sondern allein seine. Heute bezweifelte ich, das es überhaupt ein Unfall war. Er hatte meine Mum umgebracht, also warum nicht dann auch noch meinen Bruder? Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis er wiederkam oder jemanden schickte um letztendlich mich auch zu töten. Mehrmals blinzelte ich um die aufkommenden Tränen zurückzuhalten. Irgendwann würde ich auch sterben. Irgendwann würde er es schaffen. Aber bis es soweit war, tat ich alles erdenkliche dagegen. Ich lies mich nicht von ihm niedermachen. Ich lies mir wegen ihm nicht mein Leben zerstören. Ich würde es genießen und es vollkommen auskosten. Denn ich versteckte mich nicht und lebte von Selbstmitleid. Nein! Ich ging raus in die Welt und stellte mich meinen Problemen. Sollte er nur kommen, er würde schon sehen was ihn erwartete.
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Ich starrte aus dem Fenster. Vor mir erstreckte sich der riesige Garten mit den vielen kleinen Gartenmännern. Manchmal bezweifelte ich wirklich ob Max Geschmack hatte oder nicht. Wenn man ihre Klamotten und ihr Schlafzimmer ansah, konnte man das Thema Geschmack nur befürworten. Doch wenn man ihren Garten ansah, bezweifelte man es oft. An der rechten Seite des Garten, konnte ich ihr selbst angelegtes Beet ausfindig machen. Mittendrin stand ein großer Holztisch mit vielen Plastikstühlen drum rum. Links davon eine alte, aber schön gestaltete Hundehütte. Daneben noch ein selbst bemaltes Vogelhäuschen, auf dem ein Eichhörnchen saß. Die seichte Abendsonne spiegelte sich in dem mittelgroßen Kristall, der auf dem Tisch stand, und ergab damit ein tolles Lichtspektakel.
>> Magst du nicht runter kommen? <<
Leyla's Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
>> Nein << antwortete ich strikt.
Sie stellte sich neben mich. Ihre blauen Augen scannten den ganzen Garten ab.
>> Wow, Mum hat wirklich keinen Geschmack <<
Vergebens versuchte sie mich aufzumuntern. Wieso glaubten alle immer mir helfen zu müssen? Mir ging es blendend. Okay, nicht wirklich blendend aber trotzdem gut. Ich hatte keine psychischen Störungen, keine Trauer Mine und lebte immer noch also war doch alles bestens ... irgendwie. Kurz schnaufte Leyla.
>> Mum will das du schon morgen wieder in die Schule gehst. <<
Ich sah zu ihr. Ich konnte nicht wieder in die Schule gehen. Zu viele miese Erinnerung hingen daran. Warum sollte ich wieder dorthin zurück gehen wo ich nur ausgeschlossen wurde? In dem Zeitpunkt meines Lebens als ich wirklich Hilfe gebraucht hätte, hatte man mich fallen lassen. Ich hatte all meine Freunde verloren und meiner Lehrer hatte jegliche Hilfeversuche für mich aufgegeben. Die einzige die ich hatte war Leyla. Sie war für mich da. Immer. Sie hatte mir aufgeholfen, mir Mut gegeben und mich nicht allein gelassen. Bis Jack es geschafft hatte uns auseinanderzubringen. Irgendwann konnte auch ich nicht mehr. Die Leute hatte es sowieso nie interessiert wenn ich mal mit einem blauem Auge in die Schule kam oder mein Arm verstaucht war. Also warum sollte ich jemals dorthin zurück kehren?
>> Werde ich aber nicht << gab ich schon etwas genervt zurück.
Sie zuckte mit den Schultern. Ihren Kopf lehnte sie gegen die Scheibe und blieb eine Weile stumm.
>> Wenn du dich versteckst, wird es dir auch nicht besser gehen <<
Auch wenn sie meine beste Freundin war, so konnte ich manche Taten von ihr nicht nachvollziehen, diese eingeschlossen.
>> Ich versteck mich nicht << meinte ich schroff.
Sie stieß sich zurück und sah mich erwartungsvoll an. Kurz wand ich mich ihr zu, dann aber wieder dem Garten. Leider hatte sie Recht. Ich hatte wirklich vor mich zu verstecken, doch ich wollte nicht in mein altes Leben zurück kehren. Ich wollte all das nicht noch einmal durchleben. Doch anscheinend hatte ich keine Wahl, ich musste es durchziehen. Wie ich es hasste wenn sie Recht hatte.
>> Du hast gewonnen <<
Ich flüsterte diesen Satz schon fast. Auf Leyla's Gesicht breitete sich ein Lächeln aus.
>> Wunderbar. Wir sehen uns morgen früh. Schlaf gut, Eisblock <<
Glücklich ging sie raus während ich betrübt zurück blieb. Ich hätte nicht gedacht das stark sein damit zu tun hatte, wieder in mein altes Leben zurück zu müssen. Doch ich wusste schon das ich mich Dingen stellen musste die mir Unwohlsein bereiteten. Nur hätte ich gehofft das dies nicht so bald geschah. Wenn ich doch damals nur eine Wahl gehabt hätte, dann wäre wahrscheinlich alles anders ausgegangen.


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Und? Tolles Kapitel oder?😎 Ich weiß, Eigenlob stinkt😄 Aber hey, manchmal muss man sowas einfach tun wenn man ganz genau weiß wieviel Mühe, Stress und Zeit in so einem Kapitel steckt😌 Man könnte so etwas nicht einfach wegwerfen. Man muss so einer Geschichte, so einem Kapitel allen Respekt zeigen den sie verdient. Sonst ist es einfach nicht fair gegenüber dem Schreiber👍
Also merkt euch, in einem einzigen Kapitel steckt sehr viel Arbeit😇

Luna❤️

Herzblut || Pausiert ||Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt